Playgirl
Von Jamal Tuschick // 14. Juli 2017 // Tagged: Deutsches Kino // 1 Kommentar
Ein Späti im Jugendstil der Republik. Eva Renzi startete ihre Karriere 1966 als Playgirl in einem Film gleichen Namens.
Heinrich Tremper sah aus wie Heinrich George und trat auch so auf. Der Braubacher Gastwirt hatte einen Sohn, der ihm nach Berlin davonlief, da Bonvivant studierte und den Boulevard brutalistisch aufmischte. Will Tremper (1928 – 1998) verfügte über die Reflexe eines Boxers und das sanguinische Temperament einer Balinesischen Tempeltänzerin. Fit hielt er sich mit Getränken. Gern verschanzte sich mit zwei Mädchen, wie man damals noch zu jungen Frauen sagte, und zwanzig Zeitungen (dem Internet des Wirtschaftswunders, Zeitunglesen war schick) in einer Hotelsuite mit Ausblick auf den Kudamm und antizipierte gonzojournalistisches Brainstorming. Er war der Michael Graeter seiner Zeit und ein Hunter S. Thompson im Format des kleinen Bruders. Von seinem Vater wusste er, was die Leute wollen: Fleisch und Spiele. Er bediente eine lüsterne, ziemlich offen sadistische, sich trotzdem in alle Richtungen genierende Gesellschaft. Gleichzeitig stellte er die Bigotterie dar. Er schrieb das Drehbuch zu den „Halbstarken“, der deutschen Antwort auf „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit Horst Buchholz als James Dean, und „Flucht nach Berlin“, einem Zonenreißer voller Agitationspop und Fluchtdramatik, der Bilder vorwegnimmt, die Hitchcock in dem „Zerrissenen Vorhang“ dem Weltgedächtnis engrammierte. Wir beziehen Wissen aus dem Kino auch dann, wenn wir seine Meilensteine verpassen. Trempers Spezialität war die pseudokritische Schilderung gesellschaftlicher Verwerfungen. Er servierte Vorlagen für Spanner. Einen Höhepunkt erreicht das (den Hausfrauen- und Schulmädchen-Reportagen vorgreifende) Genre der didaktischen Verlogenheit in „Playgirl“.
In dem Film von 1966 führt Tremper auch Regie. Der Titel reagiert expliziert und doch nur huberisch auf „The Playboy of the Western World“ von John Millington Synge so wie auf die noch ziemlich neuen, nur für gutverdienende Männer brauchbaren Unverbindlichkeitsfloskeln des „Playboys“, die Entspannungssex legitimierten. Man bleibt indes beim Sie. Zur Handlung. Als neuer Spielball der happy view erscheint Alexandra Borowski. Sie kommt aus der Provinz und hat von Berlin keinen Begriff. Für Alexandra ist Berlin „die Stadt von diesem Hitler.“ Keine zwanzig Jahre nach dem Krieg ist ein Verdrängungswerk vollbracht. Der Film erzählt Alexandras Initiation als einen Prozess des Scheiterns. Doch zunächst zieht sie mit freimütigem Geschwätz, verlockender Naivität und Schlagfertigkeit sympathisierendes Interesse auf sich. „Freunde fliegen mir zu wie einem Hund die Flöhe.“ Alexandra erfreut sich an einem „versteckten alten Pensionszimmer am Ende des Gangs“. Die heruntergekommene Bude illustriert eine Verwegenheit, die sich darin erschöpft, nicht auf den Mund gefallen und (zum Vergnügen der Männer) beim Sex nicht abwartend zu sein. Einen Straßenjungen namens Nullnullsieben hält sie sich als Fahrer und Leibwächter. Seine Zentrale ist ein Späti im Jugendstil der Republik. Tremper besetzte die Hauptrolle mit einer Debütantin. Das Fotomodell Eva Renzi startete als Alexandra eine internationale Karriere. Renzi verkörperte den Typus der natürlichen Schönheit aka Frau zum Pferdestehlen. Ihr Wesen erschien jenseits der Forderungen, die eine Rolle an sie stellte, frei von Allüren und skandinavisch aufgeräumt. Bereits ein Jahr nach ihrem Debüt spielte sie als Samantha Steel neben Michael Caine in „Finale in Berlin“. Tremper zeigt sie und eine Rivalin nackt von allen Seiten. Die Szenen sind dramaturgisch so offensichtlich unnötig, dass ihre Mutwilligkeit zum Sujet wird. Es verhandelt die Verfügbarkeit der Frau in einer von Männern geführten Gesellschaftshorde. In drei Durchgängen unterwirft sich Alexandra männlicher Dominanz und bestimmt jedes Mal nur ihren Preis. Ein Fotograf versucht den Preis zu drücken. Das Modell widersetzt sich dieser Deklassierung, während es im Übrigen immer nur gehorcht. Alexandras Zielpersonen erinnern nicht zufällig an Axel Springer und seine mit ihm das Berliner Revier bejagenden, hanseatischen Herzasse. Westberlin ist das Schaufenster der freien Welt. Alles dreht sich um den Checkpoint Charlie in der Kochstraße, wo Imponierarchitektur direkt an der Grenze hochgezogen wird, um den in der DDR eingesperrten Landsleuten und ihren russischen Bewachern zu zeigen, wo der Hammer über der Spree hängt. Der Mann von Welt liest auch „Die Welt“. In einem Rohbau küsst er eine „Verrückte“, dann muss er weiter in die Schweiz. Paul Hubschmid spielt den Magnaten Joachim Steigenwald ansprechend abgefeimt. Der Steigbügelhalter des Unternehmerfürsten erhält den Auftrag, Alexandra Steigenwald mit vollem Einsatz vom Leib zu halten. Harald Leipnitz spielt Siegbert Lahner als charmanten Lappen. Siegbert gibt mit einem Jaguar an. In seinem Hinterkopf rumort eine Verlobte, weit weg vom Es. Alexandra trägt ihm ihren offenen Mund an. Siegbert erfüllt Erwartungen, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Er mimt bloß den Playboy, einmal auch zu einer „As-time-goes-by-Klimperei. Am Klavier sitzt Paul Kuhn mit Molle und Kippe. Fehlen nur noch Bubi Scholz und Harald Juhnke – die alte Berliner Schule. Die Subalternen verlieben sich. Sie verlieren die schwachen Schalen ihrer Rüstungen. Ihre Leidenschaft gibt ihnen kein Vertrauen. Die Liebe bleibt unbewiesen. Sie wird immer wieder von Steigenwald gestört, wenn ihn zwischen Rennbahn und Flughafen die Begierde streift und ihr Objekt sich dann auch noch einstellt wie gerufen. Trempers Knackwurstpsychologie unterscheidet Frau und Mann in Beute und Jäger. In diesem Fall düpiert das Zuvorkommende der Beute den Jäger. Er traut dem Braten nicht, der ihm wie die gebratene Taube zufliegt. Um sich von Ambivalenzen zu befreien, erklärt er Alexandra für verrückt und zwingt auch Siegbert, in ihr eine Verrückte zu sehen. „Playgirl“ schildert beinah zaghafte Liebesentscheidungen in Abhängigkeit von Gelegenheiten, dem Alkoholpegel und den Lichtverhältnissen (nicht aber in Abhängigkeit von Scham und Benimm) als Entfremdungsprojekt, das Alexandra schließlich zu Füßen eines Mannes zusammenbrechen lässt. Sie erlebt ihre Freiheit plötzlich als Illusion. Nun ist sie reif für die Ehe. „Playgirl“ überliefert Ängste der Kriegsverlierer vor der „Unberechenbarkeit“ und der „Schamlosigkeit“ ihrer Frauen. Die Sieger leben unter ihnen und lassen sich vom Fräuleinwunder verzücken. Der Film denunziert Frauen. Er setzt sie systematisch herab. Er dokumentiert, vor welchen Herausforderungen die Frauenbewegung stand, als sie ihren Gleichberechtigungserwartungen Nachdruck zu verleihen begann.
Deutschland 1966. Regie: Will Tremper, mit Eva Renzi, Paul Hubschmid, Harald Leipnitz
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