Act! Wer bin ich?
Von Jamal Tuschick // 6. Juli 2017 // Tagged: Deutsches Kino, Dokumentation, featured // Keine Kommentare
Die Opferperspektive verweigern und Stärke gewinnen im Aktionsraum Theater – In “Act! wer bin ich?” dokumentiert Rosa von Praunheim die Arbeit der Theaterpädagogin Maike Plath im Berlin-Neuköllner Heimathafen
Nach einem Wort von Gottfried Benn, kommt das Beste in Deutschland aus Lehrer- und Pastorenhaushalten. Als Bastionen geordneten Daseins erschienen sie Königen vorbildlich. Das Programm steht noch. Es wird musiziert, auf andere geachtet. Man lässt sich nicht gehen. Man geht nicht über seine Mittel hinaus. Man verwittert in gesunden Schuhen. Ich male dem Genre Girlanden, weil es Rosa von Praunheims Dokumentation eine Folie für Kontraste bietet. In langen Passagen geht die Kamera mit den Eltern der Theaterpädagogin Maike Plath in einer norddeutschen Idylle spazieren. Die Mutter unterrichtete Sport, der Vater Musik an einem Gymnasium. In diesem Trutz wurde die Tochter zur Lehrerin. Die Liebe zu einem Mann, der Berlin braucht, versetzte sie nach Neukölln, wo sie an einer Hauptschule jedes Jahr ein neues Stück auf die Bühne brachte, bis man ihre Extratouren stoppte und sie mit Vorschriften einkreiste. Plath erwiderte die Angriffe auf ihre Empowerment Pädagogik mit einer Preisgabe der Beamtensicherheit. Mit einigen Schüler*innen zog sie als freie Pädagogin in den Neuköllner Heimathafen. Die Beendigung einer vorhersehbaren Laufbahn löste bei den Eltern Befremden aus. Sie verbergen das in Floskeln des Wohlwollens. Man stelle sich vor, jemand würde mit diesem Repertoire in Neukölln seinen Standpunkt für befestigt halten.
Plath verfolgte als Lehrerin den Ansatz des “partizipativen biografischen Theaterunterrichts”. In der Freiheit des Heimathafens hält sie daran fordernd fest. Ihre Elevinnen holen den Stoff jeder Produktion aus ihren Erfahrungsräumen. Gewalt und Ausgrenzung werden in der Bewältigung zu starken Motoren. Es geht darum, sich nicht kleinkriegen zu lassen, die Opferperspektive zu verweigern und dem Alltag einen poetischen Mehrwert abzuringen. Das Theater liefert Lebens- und Kampfmittel. Es widerspricht der Straße, die ins Gefängnis führt. Es versorgt die Spieler*innen mit Argumenten gegen die einfachen Lösungen des Faustrechts und die paternalistischen Zementierungen vorgefundener Verhältnisse. Praunheim zeigt Premierenszenen, in denen Eltern wie erlöst der Kraft ihrer Kinder applaudieren. Plaths Interventionstheater leitet durchgreifende Prozesse ein. Vermutlich entfesselt es Familien. Jedenfalls suggeriert die Dokumentation Grund zu Optimismus. Die Spieler*innen treten wie Geheilte auf. Manche äußern sich in Erwartung großer Karrieren. Andere finden es richtig, ihre Theaterleidenschaft mit Hinweisen auf ein sportliches Vermögen abzusichern. Für sie ist Schauspiel eine leichtathletische Disziplin. Gegebenenfalls markieren sie auch einen Gangster zur Illustration der Neuköllner Härte für zehn Euro Gage. Ein weiblicher Jungstar kolportiert den Gebietsjargon. Die Theatralisierung des sprachlichen Notstands erlaubt eine Distanzierung von trist-vertrauten Verhältnissen, ohne aus der Redundanzdeckung kommen zu müssen. Ich bewundere einen Zwölfjährigen, der Designer werden möchte und der Kamera Zeichnungen vorlegt, die mehr als nur ein unzerstörtes Innenleben bezeugen. Begabung schützt – mit überirdischem Selbstbewusstsein erläutert er seinen Lebensplan.
Regie: Rosa von Praunheim, Dokumentarfilm, Deutschland 2017