Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte
Von Jamal Tuschick // 19. Januar 2017 // Tagged: Deutsches Kino, Dokumentation, featured, Literatur // Keine Kommentare
Das Sichgenügen auf dem Brevierweg.
Erfindungen schaffen Materie – Corinna Belzs Dokumentation zeigt den Dichter zwischen Wald und Flur
Eine Großproduktion könnte so losgehen: vor einem Nachthimmel, den ein Lichtfries begrenzt. Der Fries verliert sein Geheimnis als Scheinwerferfräse. Am nächsten Morgen kommt Peter Handke mit Pilzen pünktlich aus dem Wald. Er präsentiert die Strecke. Er arrangiert und erwägt die Gültigkeit des Arrangements. Er spielt mit einem Fruchtkörper. Er befriemelt Hut und Stiel in animatorischer Absicht. Er teilt die Trama mit dem Taschenmesser und inszeniert den Schnitt als Akt zwischen Gewalt und Hochamt.
Handke riecht, schmeckt, gurgelt, proustet und murmelt. Auf dem Weg zum Zuschauer passieren seine Abgangsmeldungen keinen Filter der Skepsis. Hier kostet einer sein Leben aus, das gesteigerte Dasein erzeugt Erlebnisstürme bis zu den Kapillaren. Jedes Schnitzgeräusch kommt als Notiz ins Moleskine. Denn da ist kein Rechner in der Niemandsbucht. Der technische Fortschritt endete für Handke bei der elektrischen Schreibmaschine, die falsch brummte. Im Film taucht zu der Bemerkung eine mechanische Schreibmaschine auf. In einer Einspielung aus den Siebzigern schlägt Handke dieselbe Taste immer wieder an, begeistert vom Anschlagslärm. Er reißt das Papier von der Walze und kaspert es ins Abseits des Geschehens.
In der Gegenwart pflanzt Handke Muscheln in seinem Garten. Er feiert den Sand in einer Kalkschale und datiert dessen Alter nach einer Geschmacksprobe auf zwei Millionen Jahre. Handke wird sich auch an Maronen noch vergreifen. Er zeigt sich als Einfädelungsversager mit geringer Frustrationstoleranz. Ein Nadelöhr muss sich als Arschloch verunglimpfen lassen. Die Kurzstrecke zur Gedankenverfertigung im Gehen vor dem Pariser Vorstadthaus vergleicht Handke mit den Brevierwegen der Pfarrer als einer Einübungsroutine. Er deutet Gewinne aus Litanei, Monotonie und religiöser Bindung an. Belz bastelt dieser beinah konfessionellen, François Mauriac und Julien Green streifenden Einlassung ein lächerlich kunstgewerbliches Passepartout. Sie zeigt ein Bündel mit Halsketten verbundener Kreuze. Aus einem Pendlerzugfenster sieht Handke Hanna Schygulla im Jugendstil der Generation Protest. Der surreale Zusammenschnitt erinnert an den Wendersfilm “Falsche Bewegung”, zu dem Handke, inspiriert von Howard Hawks, das Drehbuch lieferte. Später erfreut sich Handke an einer Tochter im Restaurant. Es gehört paradox zu Handkes Sichgenügen, Vater zu sein. Das führt er aus, alte Aufnahmen illustrieren das Textprogramm Vaterschaft in den Hyperfarben der Polaroidära. Die Textgewordenen zeigen sich gnädig, aber nicht unkritisch. Sie versperren sich einem durchgreifenden Deutungsanspruch und den Vernebelungsabsichten des Nachlassenden.
Manche Archivaufnahmen funktionieren wie Rückblenden in Spielfilmen. Man sieht Handke 1966 als Provokateur bei einer Tagung der Gruppe 47 in Princeton und als Merlin in der Frankfurter Publikumsbeschimpfungspremiere.
Ein Schriftsteller lebt für sich und gegen seine Zeit und ihre Behauptungen. Jahrzehnte nach den Etablierungsskandalen reist Handke ”in die falsche Richtung”. Sein Einsatz für Serbien und Milošević im Jugoslawien-Krieg wird bis heute als Verfehlung historischer Tatsachen bewertet. Weit davon entfernt: sich selbst zu erklären, rückt Handke weiter Nebensachen ins Licht. Dabei erscheint er so, als wolle er eine Person, die allein mit ihrer Stimme anwesend ist, aus ihrem Versteck locken. Das ist die vor Handkes sanfter Tyrannei hörbar einknickende Regisseurin.
Regie: Corinna Belz, Dokumentation, Deutschland 2016