Schau mich nicht so an
Von Jamal Tuschick // 9. Juli 2016 // Tagged: Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Nachbarinnen. Begehren, Liebe, Verrat – Uisenma Borchus Spielfilmdebüt wühlt auf und strengt an mit direkten, konfrontativen Schilderungen. “Schau mich nicht so an” ist ein Film mit Sogwirkung.
Andrzej Stasiuk entdeckt in seiner Marcopologie “Der Osten” das Echo einer von Absichten kaum beschwerten Expansion. Man eroberte, um die Pferde in Gang und die Männer in Form zu halten, ritt Fleisch unter dem Sattel mürbe, zerstörte, was den Weg verstellte, und stellte dann doch nur wieder eine Jurte zwischen rauchenden Ruinen auf. “Gleichgültige Blicke, reglose Gesichter. Genauso müssen die Mongolen vor siebenhundert Jahren ausgesehen haben, als sie von ihren Sätteln herab auf die vor Schreck erstarrten Bewohner der unterworfenen Gebiete blickten”.
Hedi kommt den mongolischen Eroberern nach. Sie ist zugleich Falke, Sturm und großer Gesang (ungefähr Rilke) – eine Schamanin unserer Zeit. Immer weiß Hedi, was sie will. Allein das löst Begehren aus. Das Begehren diffundiert im Allgemeinen. Am Ende des Films hat Hedi ein kleines Mädchen, eine junge Frau und einen alten Mann (für sich) eingenommen wie drei Städte.
Die Geschichte, die Uisenma Borchu mit sich als Deutschmongolin Hedi in ihrem Spielfilmdebüt “Schau mich nicht so an” erzählt, spielt mit den Möglichkeiten des Erzählens. Auf einem Traumpfad stolpert Hedi über ihre Wurzeln. In einem Jurtenrondo mit Tee und mongolisch-traditionellem Trallala wird sie von der Oma über den Grad der Entfremdung von ihrer Ursprungskultur informiert. Das steckt Hedi nicht einfach weg, sie ist so ein bisschen zerrissen. Außerdem betrachtet sie sich als Global Player, befähigt die Abstände zwischen Asien und Europa zu bestimmen und für sich zu nutzen.
Ferner agiert Hedi als Führerin und (gedanklich auch) als Entführerin der kleinen Sofia (Anne-Marie Weisz). Das schwierige Kind der alleinerziehenden Nachbarin zeigt sich Hedi gegenüber folgsam wie eine Hypnotisierte. Hedi ist stolz darauf, Sofia im Griff zu haben – so wie sie alle im Griff hat.
Sie hat angeblich jede Menge Arbeit auf dem Tisch, doch die stört nicht. Sie wohnt schick und lässig und trägt eher ausgefallene Sachen. Wenn sie läuft, sieht das aus wie Leichtathletik auf internationalem Niveau. Sie raucht wie unsterblich.
Borchu spielt Hedi als Vorläuferin einer neuen Leistungs- und Lustkultur. Dicht an einer angenehm unaufdringlich wirkenden Lethargie spielt Catrina Stemmer die Nachbarin mit Schrumpffamilie. Die Begeisterung der Tochter führt Iva zu Hedi, sie will wissen, was dahinter steckt. Sie verteidigt sich solvent gegen das impulsive Übergriffsrepertoire einer Macherin.
Hedi ist ein weiblicher Macker. Mitunter provoziert sie die gleichen Einwände wie ihre Brüder im Geist. Iva bleibt Hedi gegenüber in der vertrauten Rolle, das klärt die Frage: wer fickt wen.
Es entsteht eine Wohn- und Lebensgemeinschaft, in der erstmal alle auf ihre Kosten kommen. Borchu bebildert ein Glück mit Münchner Kulisse. Sie schildert das letzte Aufbäumen der thirty somethings vor den planmäßigen Verminderungen und Einweisungen in eine Vorgartensphäre, sofern einem nichts Schlimmeres widerfährt. Plötzlich bevölkert Ivas Vater den Rand des Geschehens. Josef Bierbichler spielt einen Unbesorgten, den das vage Interesse an der Tochter und ein stärkeres an Sofia treibt.
Deutschland/Mongolei 2015. Regie: Uisenma Borchu. Mit Uisenma Borchu, Catrina Stemmer, Josef Bierbichler, Anne-Marie Weisz
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