The Human Centipede

Von  //  7. März 2016  //  Tagged: ,  //  1 Kommentar

Als im Jahre 2009 der bis dato vollkommen unbekannte niederländische Filmemacher Tom Six einen Horrorfilm mit dem ominösen Titel The Human Centipede schuf, ging ein Aufschrei des Entsetzens um die Welt. Schnell war von einem der härtesten Horrorfilme aller Zeiten die Rede. Tatsache ist, dass der sicke Six dem bekannten Begriff „ass to mouth“ zu ganz neuer Bedeutung verhalf. Jetzt, wo die gesamte Trilogie fertiggestellt ist und wo ein gewisser zeitlicher Abstand zum ursprünglichen Film besteht, kann man das Phänomen The Human Centipede endlich ein wenig nüchterner betrachten.

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The Human Centipede (First Sequence)

Die Grundidee zum „menschlichen Tausendfüßler“ ist so krank, wie bestechend: mehrere Menschen werden so Arsch an Mund zusammengenäht, dass ein durchgehender Verdauungstrakt entsteht. Hierbei werden im ersten Teil zur Verstärkung der Stabilität dreieckige Lappen aus den Arschbacken des Vordermanns an die Wangen der hinteren Person festgenäht. So bizarr diese Idee sein mag, versichert Tom Six, dass diese laut eines konsultierten Chirurgen zu einhundert Prozent medizinisch machbar sei. Doch diese Realitätsnähe macht dieses abnorme Gebilde nur noch furchteinflössender. Der von Dieter Laser verkörperte teutonische Mad Scientist erscheint als ein Nachfolger filmischer Artverwandter vom Schlage eines Udo Kier in Andy Warhols Frankenstein (1973).

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Diese Spannung zwischen krassester B-Movie-Expolitation und relativer Seriosität bestimmt den gesamten Film: Einerseits reiht sich Dieter („your’re gonna be the middle-piece!“) Laser mit seiner over-the-top Performance in The Human Centipede in die Reihe der ganz großen Filmpsychopathen ein. Andererseits ist dies ein mit großer Sorgfalt gemachter Film, der an einzelnen Stellen sogar recht „artsy“ daherkommt. Ein gutes Beispiel für Letzteres ist die Szene, wo der frisch zusammengenähte Tausendfüßler in goldgelbes Licht getaucht erstmals ins Bild gesetzt wird. Was zutiefst abstoßend sein sollte, ist von irritierend bizarrer Schönheit.

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An solchen Stellen nähert sich The Human Centipede dem Arthouse-Horror der derangierten Chirurgen-Zwillinge in David Cronenbergs Drama Die Unzertrennlichen (1988) an. Auch zeigt sich bei nüchterner Betrachtung, dass The Human Centipede erstaunlich arm an echten Ekelszenen ist. Was an dem Film schockiert, ist dessen perverse Grundidee. Doch bei deren Umsetzung ging Tom Six erstaunlich dezent vor. Tatsächlich begnügt sich der Holländer weitestgehend mit Andeutungen. Das wahre Grauen entsteht – wie bei vielen guten Thrillern – erst im Kopf des Zuschauers. Doch mit The Human Centipede II lieferte Tom Six genau den kruden Schmoddder ab, den viele bereits zuvor zu sehen geglaubt hatten. – Wenigstens auf den ersten Blick …

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The Human Centipede II (Full Sequence)

Ist der gute Ruf erst ruiniert, lebt’s sich bekanntlich gänzlich ungeniert. – Etwas in der Art muss Tom Six gedacht haben, als The Human Centipede zu einem weltweiten Sturm der Entrüstung geführt hatte, der bei näherer Betrachtung jedoch nur in sehr beschränkten Umfang gerechtfertigt war. Also legte der lustige Holländer (zuvor hatte Six Komödien gedreht) mit The Human Centipede II (2011) ordentlich nach – und diesmal so richtig! All die ekelhaften Details, die in The Human Centipede lediglich im Hirn des Zuschauers herumspukten, schleudert Six im zweiten Teil überdeutlich – in Kackbraun (!!!) auf die ansonsten schwarzweiße Leinwand. Diese ungenierte Direktheit geht zudem einher mit einer neuen Derbheit, die sich einen Scheiß um jede medizinische Akkuratesse schert:

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Da werden Münder einfach an Ärsche getackert und wo diese Verbindung nicht ganz abdichet, da kleckert halt kräftig die Scheiße heraus. Da werden aus drei penibel vernähten Tausendfüßlergliedern ein Dutzend geschundene Kreaturen, die zur Feier des Tages erst einmal anständig durchgefickt werden. Da wird quasi im Vorbeigehen mal so eben ein Neugeborenes per pedes zerquetscht. – Mit The Human Centipede II sahen die üblichen Verdächtigen mal wieder das Ende des Abendlandes als gekommen an. Schnell wurde The Human Centipede II zu der immer länger werdenden Liste der schlimmsten Filme aller Zeiten hinzugefügt und in einem Atemzug mit A Serbian Film (2010) genannt.

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Dagegen erhobt sich die Fraktion derer, die in so viel vizeralen Visualitäten unbedingt eine tiefere Vision erkennen wollten. Hierbei drängt sich ein möglicher Sinn einer dem Film im Film immanenten Metaebene dem Betrachter ebenso schreiend auf, wie das Wimmern der armen aneinandergetackerten Arschgesichter: Der neue Protagonist des Films, das schwabbelige, unterbelichtete Muttersöhnchen (genial: Laurence R. Harvey), das sich von der Sichtung des ursprünglichen The Human Centipede zu seinen zutiefst kranken Taten animieren lässt, steht dieser Deutungsvariante nach für die nicht minder degenerierten Fans solcher menschenverachtenden Horrorschocker! Auf diese Weise halte Six seinen eigenen Fans einen fatalen filmischen Spiegel vor, der jene vor lauter Scham in einem nicht endenden wollenden Anfall tödlicher Diarrhö vergehen lassen soll.

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Gegen diese Interpretation spricht jedoch zweierlei: die tatsächliche Gestaltung des Films und last but not least der Macher desselben: Der ganze over-the-top-Tonfall des Films, sowie dessen das visuelle Grauen in erträglichen Umfang belassende Stilisierung in Schwarzweiß, machen aus The Human Centipede II eher eine sehr kranke und sehr schwarze Komödie, als einen Film, der wie der berüchtigte serbische tatsächlich maximal verstören will. Dieser Eindruck festigt sich, wenn man Tom Six im Interview eloquent über seine Filme reden sieht. Dort entpuppt sich das düstere Monster als ein kleiner Spaßvogel, der unumwunden zugibt, dass sein Humor sehr krank und seine Lebensphilosophie der nackte Existenzialismus ist: Da er nicht wisse, wieso wir hier seien, halte er seinen Hund für das ideale Vorbild für ein glückliches Leben. Dieser frisst, kackt, schläft, spielt und fickt und fühlt sich gut dabei. – Und des Herrchens liebstes Spiel sind halt dessen Filme …

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The Human Centipede III (Final Sequence)

Doch mit The Human Centipede III (2015) überspannt Tom Six eindeutig den Bogen. Das Ergebnis ist extrem unlustig und über weite Strecken hinweg zudem gähnend langweilig ausgefallen. Immerhin lässt sich festhalten, dass Six Wort gehalten und erneut einen Film vorgelegt hat, der sich vollkommen von seinen beiden Vorgängern unterscheidet. Damit wären die Qualitäten dieses Machwerks allerdings bereits erschöpfend dargestellt: The Human Centipede III besitzt innerhalb der berüchtigten Trilogie das Alleinstellungsmerkmal tatsächlich so abgrundtief schlecht zu sein, wie man es bereits von den Vorgängern behauptet hatte.

Die alles umgreifende Dummheit dieses dritten Teils macht den wahren Horror von The Human Centipede III aus. Denn obwohl der Trailer etwas anderes suggeriert, ist der abschließende Teil nicht erneut expliziter, als sein Vorgänger. Der in einem Gefängnis mitten in der Wüste von Arizona spielende Film folgt im wesentlichen den üblichen Irrgängen US-amerikanischer Neufassungen von europäischen oder asiatischen Genre-Krachern: Hier wird nicht mehr gekleckert, sondern geklotzt. Doch der ursprüngliche Spirit, der die Originale so gelungen erscheinen ließ, geht dabei allzu oft komplett flöten.

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So besteht der menschliche Tausendfüßler im dritten Teil nicht mehr aus 3 und auch nicht aus 12, sondern gleich aus 500 Gliedern. Diese nehmen spielzeittechnisch jedoch so wenig Raum ein, wie in keinen anderen Teil. Auch ist die Methode des Aneinanderheften der einzelnen Delinquenten die Harmloseste von allen Varianten: damit es nach der Entlassung der Gefangenen keinen Ärger gibt, werden diese lediglich mit ein paar Stichen um den Mund herum an den Anus des Vordermanns angenäht. Die Stabilisierung erfolgt bei dieser Variante jedoch nicht durch herausgeschnittene Partien der Arschbacken, sondern durch entfernt an Pferdegeschirr erinnernde Lederriemen. Dieser Tausendfüßler wirkt US-typisch weniger erschreckend, als erschreckend zahnlos.

Den Großteil der Handlung nimmt dämliches Gefasel ein, bei dem sehr bemüht versucht wird ein Maximum an politisch inkorrekten Unfug in jeden Satz hineinzupressen. Diese verbale Gülle erbricht sich bevorzugt aus dem zerknitterten Maul von Dieter Laser heraus. Dieser verblüfft hier in seiner Rolle als Gefängnisdirektor Bill Boss dadurch, dass er so schlaksig und so schlecht ist, wie er im ersten Teil charismatisch und genial war. Seine hölzerne Performance versetzt The Human Centipede III den endgültigen Todesstoß. Auch ein paar gute Ideen, wie das Erscheinen von Tom Six als Tom Six, können hier nicht mehr retten, was nicht mehr zu retten ist.

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Der einzige Lichtblick ist der aus dem zweiten Teil noch im schaurig schöner Erinnerung gebliebene Laurence R. Harvey, der in der Figur des Steuerberater Dwight Butler die rechte Hand von Bill Boss spielt. Buttler ist wesentlich besonnener, als sein größenwahnsinniger Chef. Entsprechend zurückhaltender, als in seiner Hauptrolle in The Human Centipede II, legt Harvey diese Figur an – und brilliert erneut! Das Gefängnisbüro-Trio wird vervollständigt durch die Sekretärin Daisy. Deren Job besteht vorrangig darin, Bill Boss mit ausreichend vielen Blow-Jobs bei der Stange zu halten. Passenderweise wird sie durch die ehemalige Pornodarstellerin Bree Olson verkörpert. – Davon abgesehen schwört Bill Boss auf Kräcker aus getrockneter Klitoris aus Afrika. – So viel zum „Humor“ in diesem Film …

Was mag den lustigen Holländer bei The Human Centipede III bloß geritten haben? Ich persönlich hege den vagen Verdacht, dass Tom Six diesen Film als eine Parodie auf die oben erwähnten vermurksten US-Fassungen toller europäische oder asiatischer Genrefilme angelegt hat. Zudem lässt sich vermuten, dass Six – nachdem The Human Centipede II doch recht extrem ist, sich dafür entschlossen hat, diesmal lieber den sicken Humor auf die Spitze zu treiben, als ein weiteres Mal an der Ekelspirale zu schrauben. – Aber egal, wie genau die Absicht ausgesehen haben mag. Das Ergebnis ist umso eindeutiger: The Human Centipede III ist schlicht scheiße!

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Ich lebe und schreibe in Frankfurt am Main.

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