Herbert
Von Jamal Tuschick // 19. März 2016 // Tagged: Deutsches Kino, featured // 1 Kommentar
Der letzte Kampf
Herbert schärft sein Profil, bevor er zur Arbeit geht. Er rasiert den Schädel, konturiert die Silberrückensilhouette. Deutschland hat Feierabend, wenn Herbert aus seinem Bau kommt. So wie er aussieht, könnte er nachts Gabelstapler fahren und eine europaweite Fernverkehrsfahrervergangenheit haben. Der Zuschauer beobachtet ihn im Kreuzfeuer kleiner Gelegenheiten. Alles schreit nach dem Döner vor der Schicht. Da geht einer, der beruflich nie gesiezt wurde.
Doch Herbert fährt nachts nicht Gabelstapler im Nirgendwo einer taghellen Lagerhalle am Autobahnzubringer. Herbert treibt Geld ein, mit nachlassender Effizienz. Mit der Statur und dem Repertoire eines Türstehers leitet er die Inkassoabteilung eines Leipziger Paten. Einen säumigen Zahler stellt er auf dem Klo einer Spielhalle. Der Härtevortrag wirkt wie ein kosmetischer Anstrich.
Der Pate ist Gemütsmensch. In einer Schlüsselszene sagt er zu dem nachlassenden Mann fürs Grobe: „Du hättest Profi werden sollen.“ In der Form seines Lebens war Herbert zu einer Zeit, als er nicht Profi werde konnte. Das Schema der Staatsamateure passte nicht zu ihm. Als Bezirksmeister im Schwergewicht suchte Herbert sein Glück auf der Straße. Eines Morgens stand die Polizei vor der Tür, sie bekam alle Hände voll zu tun.
Das ist lange her, Tätowierungen datieren Stadien einer Milieukarriere. Andere Jäger im Revier wittern den Verfall eines Garanten bestehender Verhältnisse zu ihrem Vorteil. Das wird über die Schmerzgrenze hinaus genau erzählt von Regisseur Thomas Stuber, der das Drehbuch zusammen mit Clemens Meyer geschrieben hat.
Man sieht die Liebe der Autoren zu Hinterhöfen, Kittelschürzen, Trainungshosen, Absturzstationen und „dem blanken Osten“ (Uwe Schuster) einer Boxakademie, die jedes Elends- und jedes Hoffnungsklischee des Genres erfüllt.
Peter Kurth leiht Herbert die Schorfheide seiner Fresse. Einen talentierten Eddy bereitet der Stolz von Leipzig auf die Deutsche Meisterschaft vor. Er führt den Athleten mit väterlicher Umsicht. Der Zuschauer ahnt, dass auf dem Sportplatz die größte Annäherung an ein Familienleben für Herbert stattfindet. Gedreht wurde auch in Schusters Kampfkunstschmiede am Ende der Welt. Der Pädagoge spielt mit, in Albtraumszenen gibt er den auftrumpfenden Abstauber. In dieser Rolle beißt er den an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankten Herbert von Eddy weg.
Das ist die Geschichte. Ein Mann verliert sein Leben an eine Krankheit. Er geht öffentlich vor die Hunde, Stuber inszeniert die zunehmende Hilflosigkeit als Kammerspiel.
Mit viel mehr Mut als Sentimentalität nimmt Herbert den letzten Kampf an. Er will sterben, wie er gelebt hat – gerade. Mitleid kann er nicht gebrauchen. Wieder und wieder stößt er Freundin Marlene vor den Kopf. Im Gegenzug fängt er eine Packung nach der nächsten von Tochter Sandra. Ihre Vorwürfe liefern einem letzten Aufbäumen die Anlässe. Schließlich sitzt Herbert sprachlos im Rollstuhl. Während er verkümmert, wird der Film immer größer.
Deutschland 2015, Regie: Thomas Stuber
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