Coldwater

Von  //  10. August 2015  //  Tagged:  //  1 Kommentar

Mit dem Einen heben sie keine Soziabilität. Mit dem Anderen steigern sie keine Produktivität. Eine Besserungsanstalt ist und bleibt der pädagogische Ableger eines Arbeitslagers. Es geht um Strafe. Nur um Strafe… und um kleinkarierten Sadismus. Kleinkariert bedingt Durchschnitt und der Durchschnitts-Dealer Brad Lunders muss den Durchschnitts-Schleifer  Colonel Reichert ertragen.

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Mit einem Dauerlauf geht es los. Es folgen Trostlosigkeit und Hitze. Einzelnen wird kein Wasser zugestanden. Ein kardiovaskulärer Alptraum. Brad flieht. Der örtliche Deputy bringt ihn zurück. Der Marsch in die Abwärtsspirale setzt sich fort. Vor versammelter Mannschaft muss Brad sich ausziehen und wird anschließend mit einem Teleskopschlagstock verprügelt.  Brutal, aber nicht ganz reiner Selbstzweck. Der Job des Wärters ist ein Job des zweiten Arbeitsmarktes. Ehemalige Berufssoldaten und High School Sportler kämpfen um ihren Platz in der Gesellschaft. In früheren Gefängnis-Filmen ging es um den Verlust zur Außenwelt. In „Coldwater“  nimmt die Außenwelt das Gefängnis dienstleistend in Anspruch. Entweder erziehen sich die Kinder von alleine oder die „guten,altmodischen“ Schläge sollen es richten. Eine gewisse Form von Anti-Autoritarismus ist mit jeder Form von Despotismus verwandt. Das wird zu Recht intoniert.

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Dagegen ist es manchmal zu einfach mit Brad zu sympathisieren. Er sprintet nicht nur souverän, sondern Ryan Goslingt sich durch die Handlung. Eben dieser eindimensionale Zynismus, der innere Konflikte ohne Mimik kaschiert. Klar, passt zum zeitgemäßen Jojo-Narrativ. Doch, jemand der den Tod seiner eigenen Freundin verursachte, sollte eine kompliziertere Ausstrahlung haben. Plötzlich entwickelt dieser Web 2.0 Nihilist nämlich einen Beschützerinstinkt für den unsportlichen Schwarzen. Die Katze, die, nach Erfolgsautor Blake Snyder, in jedem Film gerettet werden muss. Sonst könnte das Publikum Brad für unsympathisch halten. Der Streifen will die Sinnlosigkeit einer Einrichtung aufzeigen, nur fehlt es an Geschick. Jetzt landet auch noch Brads alter Dealer-Kumpel Gabriel Nunez in Coldwater. Der verwandelt durch freche Bemerkungen den Coldwater-Leiter Reichert in eine Kopie von Colonel Kurtz. Die Jugendlichen werden nicht mehr gezüchtigt, sondern gleich verstümmelt oder willkürlich ermordet. Genau hier macht es sich Regisseur Vincent Grashaw zu einfach. Jedem sollte klar sein, dass man mit Boot Camps keine strukturelle Arbeitslosigkeit lösen kann. Der Antagonismus von Brad und Leiter Reichert ist gut gewählt. Beide sind gescheitert, ansonsten wären sie nicht an diesem Ort. Das Setting ist so öde, es kann nur Schauplatz eines Psychoduells sein. Sprint für Sprint, Liegestütz für Liegestütz, Schlag für Schlag. Leider ist die Antipathie Grashaws gegenüber Bootcamps schon bei der Auswahl der Jungen erkennbar. Weiche, ebene Gesichtszüge. Weiße Zähne und ruhige Stimmen, die selbstreflexive Sätze auswerfen. .. Solche Menschen sind im Schnitt keine Drogendealer oder Totschläger. Allerdings verdeutlicht Colonel Reichert die Tragik des Musterarbeitnehmers heutzutage.

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Es wird geschätzt, dass 70% aller Geschäftsschädigungen von leitenden Angestellten begangen werden. Sie können die Erwartungen einfach nicht mehr erfüllen. Selbstverständlich wird auch eine Verwaltungstätigkeit mit den in den Produktionstechniken ermittelten Effektivitätsnormen gemessen. Es kommt auf die Anzahl angenommener und bearbeiteter Jungen, mithin auf den Ausstoß an. Selbst die eigentliche Tätigkeit, das Verwalten, ist nur unter Aufhebung zivilisatorischer Errungenschaften möglich. Der Wunsch, auf eigenen Füßen zu stehen, wird hierbei systematisch abgetötet. Erweitert wird diese Krise durch den Aspekt der Ausbildung. Die öffentlichen Institute des Unterrichts werden angesetzt, der Bedarfsbefriedigung der Industriegesellschaft zu dienen. Sie verwandeln sich selbst und ihre Schüler in Produktionsfaktoren. Somit darf der Bildungshorizont mittlerweile als zerstört gelten. Der Forschungsbericht des „Government Accountability Office“ ist dementsprechend niederschmetternd. Es wurden tausende Fälle physischen Missbrauchs dokumentiert. Vor 10 Jahren waren 1619 Angestellte solcher Camps in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt. Das geht zum einen auf den Hilfsarbeiterstatus der Angestellten zurück. Bildungsferne verwalten Bildungsferne. Zum anderen auf den Sadismus dieser Hilfsarbeiter. Die Studie schildert zum Beispiel den Fall eines 14jährigen, der sich 2001 erhängte. Bevor er in das Programm ging, unternahm er bereits zwei Selbstmordversuche. Die Mitarbeiter des Camps gaben ihm ein Messer und ein Seil. Beides brauchte er um ein Zelt aufzubauen. Am nächsten Tag musste man seinen baumelnden Körper abschneiden. Oder 15jährige Vergewaltigungsopfer, die mit den Ausbildern eine Wandertour unternehmen. Dumm nur, wenn man den Weg nicht kennt. Am dritten Tag war der Körper des Mädchens bereits so dehydriert, dass sie Wasser kotzte. Es konnte keine Hilfe geholt werden, da die Ausbilder über kein Funkgerät verfügten. Stattdessen sendeten sie mit einem Lagerfeuer Rauchsignale. Sie verstarb zwei Tage später.

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Vincent Grashaw hätte hier wirklich in ein gewaltiges Wespennest stechen können. Bedauerlicherweise war ihm ein glatter Protagonist und eine profane Narrativ-Fuzziness deutlich wichtiger. So bleibt „Coldwater“ ein Torture Porn, der spurlos an einem vorbeigeht. Die erste Stunde zeugt aber von Gespür für eine angebrachte Bild/Ton-Komposition. Ein leichteres Thema, mit narrativen Mut und mehr Konsequenz inszeniert, sollte klappen. Das Thema Bootcamp dagegen, und dafür kann man dem Streifen danken, braucht dringend mehr cineastisches Interesse…und eine breite Öffentlichkeit.

USA 2013, Regie: Vincent Grashaw

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