Von jetzt an kein zurück
Von Jamal Tuschick // 14. März 2015 // Tagged: Deutsches Kino, featured // 1 Kommentar
Gleich brennt Berlin – „Von jetzt an kein zurück“ könnte 2015 der beste deutsche Film sein
Zuerst sieht man Benno Ohnesorg am Boden. Demnächst flippt die Republik aus. Eine bleierne Zeit liegt in den letzten Zügen. Rosemarie, die Ruby genannt werden möchte, verdient im Plattenladen heimlich dazu. Die Mutter darf nicht arbeiten, sie ist dem „Haushaltsvorstand“ genauso unterworfen wie die Töchter. Ben Becker spielt Rubys Vater als Tyrann in der Strickjacke. „Von jetzt an kein zurück“ enthält eine Liste mit Aufregungen vergangener Tage, angefangen bei gefährlich langen Haaren über gefährlich kurze Röcke bis zu der in Zweifel gezogenen Jungfräulichkeit einer Minderjährigen. Der Erziehungsaberglaube einer Ära quillt aus jeder Filmpore. Plötzlich versteht man die 68er-Rebellion wieder. Ruby pflegt eine verbotene Freundschaft, Martin lehnt sich mit Rimbaud gegen die Verhältnisse auf. Der Heranwachsende lebt mit einer abgedrehten Oma und einen in Stalingrad abgeklärten (mit Halluzinogenen vertrauten) Vater zusammen in einem Widerstandsnest. Er gehört zu einer naturwüchsigen Opposition. Anton Spieker spielt Martin wie einen dunklen Stern. Spiekers kantige Konturen geben Martin skulpturale Gestalt. Martins Unbedingtheit und seine Zweifel erinnern an Rolf Dieter Brinkmann und an die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Er dichtet für Ruby: „Beiß in den Apfel, Schneewittchen, willst du ewig mit Zwergen leben?“ Das Paar bricht aus, ein Konzert der Monks ist sein Ticket in die Freiheit. In Berlin will es untertauchen, die Rede ist ferner von Wohngemeinschaften in Frankfurt am Main, wo jugendliche Ausreißer, zumal Fürsorgeflüchtlinge willkommen sind. Die RAF der ersten Stunde tritt durch die Pforten der Wahrnehmung, man erinnere sich an Baader-Meinhofs „Heimkampagne“. Peter-Jürgen Boock wurde so rekrutiert, auch seine Biografie spielt mit. Ruby und Martin werden aufgegriffen, der Junge landet in der „Moorpension“ von Freistatt. Da singen sie das Lied von den Moorsoldaten und haben allen Grund dazu. Rubys Eltern befürchten bei der Tochter „sexuelle Verwahrlosung“, sie nehmen sich selbst als Überforderte wahr. Sie geben Ruby in die Obhut „barmherziger Schwestern“, die erbarmungslos und durchaus mit ausbeuterischen Absichten auf die Schutzbefohlenen einwirken. Victoria Schulz spielt das Mädchen Rosemarie. Sie sieht aus wie eine ausgeruhte Ulrike Meinhof. Das ist kein Zufall. „Von jetzt an kein zurück“ referiert „Bambule“-Gegenstände. Der Film, zu dem Meinhof das Drehbuch schrieb, griff das BRD-Fürsorge-Regime an. Rubys silberner Sopran hebt sie empor, die Mutter Oberin schenkt Ruby besondere Beachtung. Sehr schön finde ich eine Stelle, da weist die Chefin den feisten Steiß der Selbstgefälligkeit einer Nonne so zurecht: „Wir bräuchten dich als Fels in der Brandung, aber du bist bloß ein Pudding.“ Die Nonnen foltern „in Demut“. „Von jetzt an kein zurück“ hat keine Lücke. Man staunt vor Glück, ist alles da – eine Geschichte, die hinhaut. Der Film wechselt die Farbe mit dem Aufkommen des Farbfernsehens. Dieter Thomas Heck dreht ein Glücksrad der Republik. Ruby tritt in seiner Hitparade auf. Martin sieht nun aus wie Christian Klar. In seinem Auto fährt eine Pistole mit. Von jetzt an kein zurück.
D 2015, Regie: Christian Frosch, mit Ben Becker, Victoria Schulz, Anton Spieker
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