Paris Decadence – The Skin Territory
Von Jamal Tuschick // 13. März 2015 // Tagged: featured, französischer Film, Sex // Keine Kommentare
Fashion Week das ganze Jahr
Im „Skin Territory“ gilt das Gesetz der Permanent Performance
„Wirst du für mich bluten?“ fragt Chloé. „Wirst du mich immer anbeten?“
Die Antworten stecken in den Fragen, jeder kennt sie. Im „Skin Territory“ wird der Augenblick zur abschüssigen Fläche. Niemand kann sich halten. Chloés Liebhaberin, das Spitzenmodel Xin Sheng (Xin Wang), will nicht als aktuelle Belle de Jour im Spiel bleiben, wie angeblich Clarisse, Chloé, Ira und Sylwia. (Kate Rozz, in bürgerlicher Wahrheit Katarzyna Gwizdala, verstümmelt sich als Sylwia genital.) Xin verweigert einem Agenturchef einvernehmlichen Beischlaf und wird als Vergewaltigte express „in die Gosse zurück“ geschickt. (Der Chef scheucht sie aus dem Apartment, in dem „die Mädchen“ konzentriert sind.) Man sieht Xin beruflich auf Knien in einem Pariser Vorort, in ihrem monologue intérieur geistert eine kranke Großmutter als letzter Halt vor der Endstation Prostitution.
Das ist außerordentlich kitschig und weit weg von dem, was ich zu einem Loblied auf „Paris Decadence – The Skin Territory“ imaginiert hatte. Die Eloge suggerierte etwas in der Art von „Deep End“. Ich falle immer wieder auf Frauen herein, die Nouvelle Vague und Art House in einem Satz zusammenbringen. Die finden dann auch „Paris Decadence“ gut.
Der Film ist so dünn wie Klarsichtfolie, die Kritik an Mechanismen des zeitgenössischen Mädchenhandels trieft vor Faszination für diesen Fleischmarkt. Viel kommt in Sepia und überdrehten Farben an. Als Shanghai Belle wird Xin zur willensschwachen Domina. Sie unterscheidet Männer nach ihrem Rasierwasser. Sie flüchtet in Perücken. Sie besucht Menschen in Hotels, die hohe Dosen Schmerz brauchen und daheim nicht kriegen. Einer sucht die Nähe zum Erstickungstod, das ist die Nummer mit der Plastiktüte. Einer lässt sich Nadeln unter die Haut treiben. Shanghai Belle bestraft ihre Kunden mit moralischem Impetus. Sie peitscht zu folgender Einlassung: „Das ist für deine Kinder, die nie erfahren werden, was sie für einen furchtbaren (vermutlich im Sinne von bigotten) Vater haben.“
Hinter Shanghai Belle liegt nun „ein Leben voller Anmut und Freude. Das Mädchen im Spiegel mit dem seidenen schwarzen Haar, das bin ich gewesen.“ Einst suchte sie „die Schönheit in allem“. Beispiel: „Eine Zigarette, die in einem Glas Champagner ertrinkt.“
Nachts „wirft Paris seine Haut ab“, Chloé verkündet einem Verehrer: „Fick dich, die Session ist vorbei.“
Ja, ich habe mitgeschrieben. Marie Février spielt die resolute, resistente und egomanische Chloé. Chloé verbindet Glamour mit klarer Kante: „Sei bloß vorsichtig, dem sein Gehirn liegt zwischen seinen Beinen.“
Männer spielen im „Skin Territory“ keine beachtlichen Rollen, sie wollen immer nur noch ein Foto schießen. „Weibliche Schönheit“ erscheint ihnen so unerhört wie „Poesie“. Der unvermeidliche High Society-Lude („Ich tu meinen Freunden doch nur einen Gefallen. Die kriegen ganz einfach keinen mehr hoch, wenn die Frauen älter als ihre Töchter sind.“) heißt „Roman wie Polanski“. Das ist sein Spruch, David Atrakchi spielt ihn so, dass ich mich an keinen Zug erinnere.
Shanghai Belle, Frankreich 2011, Regie: Jean-Louis Daniel, mit Xin Wang, Marie Fevrier, Elena Kuletskaya
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The Skin Territory – Paris Decadence