Inherent Vice
Von Jamal Tuschick // 27. Februar 2015 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Charles Manson und der Werwolf
„Inherent Vice – Natürliche Mängel“ – Ein Film von Paul Thomas Anderson nach einem Roman von Thomas Pynchon
Larry „Doc“ Sportello ist ein Acid-Age-Marlowe oder Marlow, je nachdem, wie weit man gehen oder wie tief man graben möchte. Doc lebt an einem kalifornischen Strand, „Gordita Beach“ steht auf einem verwehten Schild, seinem Kalender ist das Jahr 1970 eingeprägt. Die Hippies machen schlapp, Altamont hat stattgefunden. Eine Gewährsfrau kämpft mit „Lidstrichproblemen“. Das Drogenphlegma legt Doc flach. Joaquin Phoenix spielt den privaten Ermittler mit Mut zum Backenbart. Er sieht mit der wölfischen Wolle nicht so gut aus wie Jack Nicholson in „Shining“. Als heimliches Rollenmodell taugt Charles Manson.
Doc ist ein reduzierter Typ, und da fangen die Schwierigkeiten an. Man sieht nie mehr als Doc und Doc sieht so gut wie nichts. Das jedoch in allen Farben des Regenbogens. Doc hebt immerhin ein Lid, als seine Verflossene aufkreuzt. Sie heißt Shasta Fay Hepworth und könnte bis eben in „Chinatown“ abgehangen haben. Der Film filtert ein Potpourrie der Anspielung aus der Pop-Ikonografie, die Musik klingt eine halbe Stunde nach „The End“ mit Zimbeln wie in „Apocalypse Now“. Katherine Waterston spielt Shasta Fay mit Schamhaar, das zu dick aufgetragen wurde. Shasta Fay orientiert sich am morbiden Charme der hörigen Familie. Sie trifft die Linie einer Susan Atkins alias Sadie Mae Glutz (siehe The Manson Family).
Sie bringt den Ex auf den neusten Stand ihres Liebeslebens, bevor sie sich unter mysteriösen Umständen verflüchtigt. Das Mysteriöse greift um sich. Die Realität zieht sich zurück wie eine erschöpfte Tänzerin, sie lässt den Zuschauer sitzen oder hängen. Docs Wahrnehmung ist nicht zu trauen; ebenso gut könnte man zu einem Betrunkenen ins Auto steigen. Auf Docs Bürotür steht LSD für „Lokalisierung, Sicherheit…, Detektei“.
Shasta Fay hat oder hatte was mit Tycoon Mickey Wolfmann, den eine späte Erleuchtung zu einem Wohltäter und kapitalistischen Irrlicht macht. Er lässt eine Gratis-Wohnmaschine in die Wüste stellen, Doc inspiziert die Baustelle so wie den Massagesalon „Chick Planet“ zum Nachteil seiner körperlichen Unversehrtheit. Er kommt neben der Leiche eines arischen Bruders zu sich und steht nun unter Mordverdacht. Die konvulsivische Erzählweise des Films, die auf eine konvulsivische Erzählweise der Vorlage wenig vorteilhaft verweist, verhindert, dass Spannung aufkommt. Es geht um Drogenhumor, den muss man erst einmal haben. Ich verirre mich im psychedelischen Disco-Bauch des Handlungswals, Joaquin Phoenix spielt zusammen mit Reese Witherspoon wie schon einmal in „Walk the line“. Nun spielt Reese Witherspoon eine Staatsanwältin. Penny Kimball legt sich zu dem speckigen Detektiv, wie Liebe sieht das schon deshalb nicht aus, weil Doc so verdammt lethargisch ist. Er findet Wolfmann in einer Klinik, Nazi-Rocker ergänzen das Pflegepersonal. Auch ein schwarzer Panther spielt seine Rolle. Die intensivste Beziehung hat Doc zu dem LAPD-Agenten Christian „Bigfoot“ Bjornsen. Josh Brolin spielt den Polizisten als kantiges Kinn. Die Karikatur wirkt karitativ, sie ist das Steak in der Suppe.
Doc treibt einen Surfer auf, den alle schon auf der ewigen Welle wähnten. Er legt sich mit einem Triaden-Kartell an – dem „Golden Fang“. Nichts ist so wie es den Anschein hat, die gelbe Gefahr besteht aus weißen Zahnärzten. Shasta Fay taucht wieder auf und pumpt genug Leben in den Doper Doc, dass er sowohl Adrian Prussia als auch Puck Beaverton kaltmachen kann. Wenn auch mit einer hölzernen Choreografie. Ich erkläre Ihnen jetzt nicht, wer Adrian Prussia und Puck Beaverton waren. Warum sollte ich für Klarheit sorgen, wenn es sonst keiner tut? Ich sage noch eins. Der Titel bezieht sich auf einen Begriff des Seerechts, der Begriff taucht auch in einem Roman von William Gaddis auf. Ansonsten gilt: Wenn du dich erinnern kannst, dann warst du nicht dabei.
USA 2014. Regie: Paul Thomas Anderson, mit Joaquin Phoenix, Katherine Waterston, Joanna Newsom, Josh Brolin, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Benicio Del Toro