Top Girl oder La déformation professionnelle

Von  //  19. Januar 2015  //  Tagged: ,  //  2 Kommentare

Wie Frauen auf der Strecke bleiben
„Top Girl oder La déformation professionnelle“ räumt mit Freiheitsklischees auf

Eine Konferenzraumszene. Der Kreative lümmelt vor Kopf, er verkörpert diese Mischung aus Boss & Baby. Er wirkt fahrig. Ich traue ihm keine Sorgfalt zu. Flaschen und Kannen stehen akkurat Spalier auf dem Tisch, an dem er sitzt. Da ist die Sorgfalt, die keine Beachtung findet als Produkt einer Arbeit ohne Prestige. Der Mann spricht mit einer Frau, im ersten Augenblick erscheint sie als Assistentin. Sie wuchert mit dem Pfund ihres Verständnisses für die eitlen Nöte eines Verwöhnten. Dabei kommt ihr die Galle hoch. Sie kann alles Mögliche sein, Muse, Madonna, Domina, bloß nicht mächtiger als das Schnittchen in der Führungsrolle. Schnell wird klar, die beiden sind in einem Rollenspiel. In ihrer Rolle heißt Helena (Julia Hummer) Jacky und spricht über sich in der 3. Person: „Jacky kennt euch alle.“ Sie sagt: „Beruhige dich, ich werde dir dein Lächeln aus dem Gesicht schneiden.“

Bald wird die alleinerziehende Mutter einer Tochter dreißig sein. Sie besucht einen Kunden zum ersten Mal. Seine Wünsche hat er telefonisch mitgeteilt: „Ganz normal GV und dann noch mit dir liegen.“ „Willst du oben liegen?“ fragt Helena. Den Kunden überrascht die Frage, er hat doch „ganz normal GV“ gekauft. Der Abmachung folgt der Vollzug in vollkommener Tristesse. Der entladene Mann erscheint zerbrechlich wie eine Vase. Sein Körper entbehrt die Gnade einer liebevollen Betrachtung. Berlin im Winter, Helena hat nichts übrig, gereizt kommt sie zum Vorsprechen in die Volksbühne. Als Schauspielerin hatte sie einmal eine Rolle, die mit flüchtiger Prominenz verbunden war. Jetzt soll sie „notgeil“ spielen. Frustration geht mit ihr durch und dreht sie auf, sie überzieht. Die arrivierten (in der Kultur verharrenden) Kolleginnen bewerten das als Gesichtsverlust. Sie denken laut: „Die hat ihre Zeit gehabt“. Da lauert sie, die Konkurrenz im schwarzen Kasten der Souffleuse. Die Raben der Rivalität plustern sich auf. Nur die Harten kommen in den Garten, zur weiblichen Härte gehört ein Lächeln mit Stehvermögen. Helenas Lächeln geht allmählich die Luft aus, ihr Gesicht gleicht einem Leuchtkörper kurz vor Stromausfall. Das versaute Casting koinzidiert mit einer Performance der Maklerin, die Helena vermittelt. Die Zuhälterin geht am Stock. Sie tritt überlegen auf, als sei sie im Besitz einer Formel, die Männer in fruchtige Gummitierchen verwandelt. Sie lehrt das Kleine Einmaleins der Manipulation. Sie lädt „die Mädchen“ ein zu einer Umdeutung ihrer Verdinglichung. Sie verkauft ihre Angebote als unternehmerische Handlungen. Als einen Gipfel der Selbständigkeit: „Die Wunschliste des Kunden bestimmst du.“

Selbstbestimmung wird immer wieder Thema in Tatjana Turanskyjs „Top Girl oder La déformation professionnelle“. Der Film ist das Mittelstück einer Trilogie „über Frauen und Arbeit“.

Helena pflegt Accessoires, als bekäme der Fetischcharakter in ihrer Häuslichkeit eine vom Einsatz abweichende Beschriftung. Distanziert nimmt sie ihre Tochter wahr, die Elfjährige spielt ihre Rolle als Angehörige einer Überforderten mit dem Ernst der Komplizin. Helenas Mutter (Susanne Bredehöft) repräsentiert ein Vorläufermodell der Vereinsamung. Eine pyramidale Spielanordnung zeichnet sich ab. Die Familie stellt sich so dar, als seien Männer immer nur Besuch gewesen. Aus dem Pool ihrer Gesangsschüler fischt die Älteste einen jüngeren Liebhaber. Seine Funktion erschöpft sich darin, die Attraktivität der Lehrerin zu bestätigen. Der Film verhandelt „weibliche Schönheit jenseits der vierzig“ auch noch an anderer Stelle. Mit steriler Vehemenz rät eine Marktschreierin Frauen zu Schönheitsoperationen. In der nächsten Konferenzraumszene muss Jacky vom Blatt ablesen, was der Kreative ihr vorschreibt. Ich notiere: „Schau dich an/ Schau dir zu.“ Jacky trägt einen Text der Unterwerfung vor. Er liefert eine Kritik zur Praxis, der Kunde lässt sich von Jacky mit einem Strapon penetrieren. Sie hat noch einen Kunden, der ein devotes Repertoire mit Machtausübung mischt. Der Film zeigt eine elaborierte, zugleich leiernde Sexualität. Zum Schluss inszeniert Jacky für den Kreativen einen Jagdausflug. Zur Strecke gebracht werden Frauen. Sie liegen schließlich so da – als Strecke. Kaum vorstellbar, dass eine mit dem Gefühl, selbstbestimmt Geld verdient zu haben, in den Alltag zurückkehrt. Vielmehr gibt sich ein Grad der Unfreiheit zu erkennen, der Karl Marx und das Elend der Philosophie auf den Plan ruft: „Kam endlich eine Zeit, wo alles, was die Menschen bisher als unveräußerlich betrachtet hatten, … veräußert wurde. Es ist dies die Zeit, wo selbst Dinge, die bis dahin mitgeteilt wurden, aber nie ausgetauscht, gegeben, aber nie verkauft, erworben, aber nie gekauft: Tugend, Liebe, Überzeugung, Wissen, Gewissen etc., wo mit einem Wort alles Sache des Handels wurde.“

Deutschland 2014, Regie: Tatjana Turanskyj. Mit Julia Hummer und RP Kahl

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