Emitai
Von Jamal Tuschick // 12. Januar 2015 // Tagged: Afrika, featured // 1 Kommentar
Afrikanisches Kino
„Emitaï“ – Es sind die Frauen im Film, die für Furore sorgen und das revolutionäre Potential generieren
Ousmane Sembène (1923 – 2007) war der B. Traven Westafrikas und „ein Vater des afrikanischen Kinos“. Mit fünfzehn trat er in die französische Armee ein, er nahm sich die Welt als Maurer und Hafenarbeiter vor. Seine Erfahrungen wurden Literatur, doch erreichte er mit Büchern nur die dünne Schicht der Gebildeten seiner Heimat – dem Senegal. Sembène wollte breit wirken, für ihn war Kunst „ein Mittel der politischen Aktion“. Sie sollte „zu den Massen sprechen“. Deshalb verlegte sich Sembène auf Filme im Stil „volkstümlicher Schauspiele“. Das erklärt wieder einmal Enoka Ayemba, Kurator der Reihe „Beyond the Maps – African Resistance Against Colonial Power“. Die Reihe des Ballhaus Naunynstraße reagiert auf die „Berliner Konferenz aka West Africa Conference aka Congo Conference. Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 konferierten im Reichskanzlerpalais Delegierte von dreizehn Staaten, die einer Einladung des Reichskanzlers Otto von Bismarck gefolgt waren. Sie legten „die Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolonialbesitz fest – the go-ahead to the extensive colonization of the continent – the arbitrary partition of Africa in absence of the Africans“. Inzwischen hat Ayemba eine Gemeinde, es ist ein Vergnügen und immer ein Gewinn, ihm zuzuhören. Heute verstärkt ihn Ibou Diop. Diop promoviert über Michel Houellebecq an der Humboldt Universität. Außerdem befasst er sich mit der Négritude.
Wir sehen „Emitaï“ „un film franco-sénégalais, écrit et réalisé par Sembène, sorti en 1971“. Sembène geht von einem historisch verbürgten Vorfall aus. 1942 werden die jungen Männer eines Dorfes ausgehoben. Die Zwangsrekrutierten sollen in Frankreich unter Pétain in einem Krieg kämpfen, „der nicht unserer ist“. In einer Kaserne erklärt man ihnen, dass sie „Freiwillige“ sind. Inzwischen bestellen die zurückgebliebenen Frauen ihre Felder. Sembènes Bildsprache ist malerisch, sie verfolgt didaktische Ziele. Das Dorf bewahrt die ursprüngliche, tendenziell demokratische Kultur, die indes keine Anerkennung findet in den Registern der französischen Fremdherrschaft. „Wo Frankreich herrscht, ist Frankreich“, wird Diop später erläutern. In der kolonialen Perspektive kommt die Kultur des Senegal überhaupt nicht vor. Die Existenz dieser Kultur wird geleugnet. Dagegen stemmt sich „Emitaï“. Der Film verherrlicht das Dorf und entlarvt die Selbstherrlichkeit der Herrschenden in der Manier des sozialistischen Realismus. Ein Jahr nach der Aushebung schickt die Kolonialverwaltung eine kleine Streitmacht in das Dorf, um sich der landwirtschaftlichen Mühe Lohn zu bemächtigen. Es geht um Reis, den die Frauen kultivieren. Der Reis ist heilig, inzwischen regiert de Gaulle. Er mag ein besserer Franzose sein als Pétain, als oberster Kolonialherr hat er die gleiche Ausbeutungsbereitschaft wie sein Vorgänger. Die Feststellung dieser Kontinuität gibt dem Film eine zentrale Aussage.
Die Dorfältesten hadern mit zaudernden Göttern, bei einer Erhebung gegen die Besatzungstruppe verliert eine Persönlichkeit ihr Leben. Die Darstellungen einer animistischen, von Patriarchen kontrollierten Religion entbehrt nicht der Komik. Es sind die Frauen im Film, die für Furore sorgen und das revolutionäre Potential generieren.
„Emitaï“ sollte auch von einem nicht alphabetisieren Publikum verstanden werden, das unterjochte den Kunstwillen. Sämtliche Zuordnungen sind konkret, „Emitaï“ ist keine pan-senegalesische Predigt. Gezeigt wird ein Dorf der Diola an der atlantischen Küste der Casamance. „Hinter uns ist nur noch das Meer.“ Hier führte Aline Sitoe Diatta in den Vierzigerjahren eine Rebellion der Diola an. Reisanbau ist eine Domäne dieser Ethnie. Obwohl sich der Monotheismus durchgesetzt hat, existiert Totem und Tabu in lokalen Ausprägungen, die internationale Karrieren bis in die Karibik absolviert haben.
Ibou Diop weist darauf hin, dass „man den Aufstand der Aline Sitoe Diatta in keinem Buch“ beschrieben findet. Er erklärt die kolonialen Strategien einer systematischen Entwertung aller indigenen Aspekte im Spektrum von Afrique-Occidentale française. „Emitaï“ zeigt mit Beweisführungsabsichten eine Dorfdemokratie, von der kein Franzose etwas wissen wollte. Die Plünderung der Bevölkerung ging als Steuern durch die Legitimation. Egal, wer regierte, Frankreich brauchte den Reis.
Als man de Gaulle auf die senegalesische Unabhängigkeit ansprach, entgegnete der General: „Vous voulez l’indépendance, prenez-la.” („Sie wollen die Unabhängigkeit. Sie sollen sie haben.“)
Senegal 1971, Regie: Ousmane Sembène
Das Ballhaus Naunynstraße zeigt im Rahmen von „We are tomorrow“ und unter dem Titel „Beyond the maps“ bis zum 26. Februar jeden Sonntag um 15 Uhr Filme zum Thema Berliner Konferenz bzw. Kolonialgeschichte. https://www.ballhausnaunynstrasse.de/
Ein Kommentar zu "Emitai"
Mit fünfzehn trat er in die französische Armee ein
Kleine Korrektur: Sembène wurde offenbar erst 1944 (also mit 21) eingezogen. Nach einige Quellen schon 1942, aber laut Samba Gadjigo ist 1944 richtig (siehe z.B. auch hier).
Zur kolonialen Thematik hätte auch Sembènes CAMP DE THIAROYE gut gepasst (den ich im Gegensatz zu EMITAÏ schon kenne), und natürlich auch LA NOIRE DE…