Phoenix
Von Jamal Tuschick // 18. November 2014 // Tagged: Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Goodbye Johnny. In „Phoenix“ erstarrt Nina Hoss als Auschwitz-Überlebende.
Nelly dramatisch in schwelenden Ruinen Berlin im Sommer Fünfundvierzig. Die Verbrechervisagen in den alliierten Karteien identifizieren Würdenträger des Dritten Reichs. Während sich viele um eine neue Identität bemühen, möchte Nelly ihre alte unbedingt zurück. Sie hat in einem Konzentrationslager ihr Gesicht verloren. Das ist so unglaublich, dass sie den Verlust beweisen muss.
So beginnt „Phoenix“. Der Titel spielt auf eine Bar an – das „Phoenix“ in der Asche. Noch ist keiner auferstanden aus Ruinen, die Ruinen schwelen noch. Trümmerpyramiden wirken wie steinzeitliche Wegzeichen. Nelly wird an einem Checkpoint gezwungen, den Gesichtsverlust offenbaren. Ihr Kopf ist bandagiert. In der „Schwarzen Natter“ spielt Humphrey Bogart ebenso vermummt. Christian Petzolds „Phoenix“ ist eine Zitatensammlung, der Film unterläuft als Hommage sein größtes Risiko – eine mit ästhetischer Ineffizienz inszenierte Erinnerung an die deutsche Vernichtungseffizienz zu sein. Der Film konnte nur als Nachtrag zum film noir scheitern. Die Schauplätze sind so eingetrübt wie in den Vorlagen aus den Vierzigern. Nina Hoss spielt die Überlebende dramatisch erstarrt und trotzdem wie schwebend.
Nelly kehrt zweimal aus einem Lager zurück. Die zweite Rückkehr ist eine Inszenierung. Nelly steigt markant wie ein Kakadu aus dem Zug, angeblich kommt sie direkt aus Polen. Doch wundert sich keiner über den Art déco-Auftritt. Die Bekannten auf dem Bahnsteig begrüßen Nelly wie eine Rekonvaleszentin nach der Kur. Nelly taut im Verband dieser Vorkriegsverbindungen auf. Niemand interessieren Nellys Wiederherstellungssehnsüchte. Nelly sucht Anschluss (an sich) bei Leuten, die mit sich selbst genug zu tun haben. Nelly gelangt zuerst in der Obhut einer Freundin nach Berlin. Lene arbeitet für die Jewish Agency, sie ist auf dem Weg in den neuen Staat Israel. Nina Kunzendorf spielt die Aktivistin schwankend zwischen Zukunftsmut und Verzweiflung. Ein Chirurg bietet Nelly ein neues Gesicht an. Sie könne nach der Operation aussehen wie Zarah Leander. Nelly verlangt es danach auszusehen wie sie selbst vor dem Angriff auf ihr Gesicht. Hier endet ihre Nachgiebigkeit. Der Arzt rekonstruiert ihre Schönheit, offenbar mit kleinen Abweichungen vom Original. Lene erträgt ihr Holocaust-Wissen nicht. Sie sichtet die Todeslisten, Kolonnen von Namen. Zugleich sind Nazis wieder obenauf. Alle Energie geht in die Verdrängung und kommt aus ihr. Auch Opfer nehmen die erste Abkürzung, um zu verdrängen. Die Jüdin Nelly sagt: „Ich bin keine Jüdin.“ Sie will nicht nach Palästina und einen jüdischen Staat aufbauen. Sie sehnt sich nach ihrem nichtjüdischen Johnny, der sie gewiss lange beschützt, schließlich doch fallengelassen und vielleicht auch verraten hat.
Diese „Finsterworld“ begreift das Herz so wenig wie der Verstand. Das spiegelt Nina Kunzendorfs Gesicht. Das Drama schafft auf dieser Fläche die eindrucksvollste Bewegung. Lene drückt Nelly einen Revolver in die Hand, sie behauptet, der bloße Besitz einer Waffe böte Schutz. Nelly will aber nicht Soldat werden, sie klammert sich an ihre Vorkriegsidentität als (mit einem Pianisten verheiratete) Sängerin. Sie entdeckt ihren Ehemann im „Phoenix“. Johnny (Ronald Zehrfeld)macht den Abräumer, er hält seine Frau für tot. Nellys Ähnlichkeit mit ihr bringt ihn auf die Idee, das Erbe von Nellys ermordeter Familie zu erschleichen. Er stellt der vermeintlichen Doppelgängerin zwanzigtausend Dollar in Aussicht. Er stationiert sie in seinem Souterrain, das viel zu wünschen übrig lässt. Hier träumt Nelly von der Liebe und dem Glück im Ehewinkel. Johnny verweigert das Erkennen. Wird sie Nelly zu ähnlich im Verhalten und passen ihr Nellys Pariser Schuhe zu gut, dann herrscht er die Untermieterin und Komplizin an. Sie solle ihn nicht zu täuschen versuchen, sondern Leute täuschen, die sowieso getäuscht werden wollen. Nelly tanzt nach Johnnys Pfeife, sie braucht den eingebildeten Witwer, um an sich heranzukommen.
D 2014, Regie: Christian Petzold