Gardenia. Bevor der letzte Vorhang fällt.
Von Jamal Tuschick // 4. November 2014 // Tagged: Deutsches Kino, Dokumentation, featured, Queer // Keine Kommentare
Was ist schwul? „Gardenia. Bevor der letzte Vorhang fällt“ – Ein Film von Thomas Wallner.
Ein Kabarett schließt, die finale Vorstellung soll nicht zum Rührstück werden. Die Geschichte vom letzten Vorhang erzählt „Gardenia“ in einer Choreografie von Alain Platel und Frank Van Laecke. Alles sieht aus wie auf einer Probe, aber das ist die Inszenierung. „Gardenia“ reagiert auf das glanzlose Ende eines Travestie-Theaters in Barcelona. Es geht um den Verlust einer Basis für Außenseiter und um das Vorrücken der Isolation im Alter. Die Künstlerinnen deklinieren bourgeoise Kategorien als bloße Verhaltensattrappen. Sie tragen Anzüge, jede könnte den Conférencier geben. Die Zeiten, da man auf dem Strich eine große Nummer war, sind lange vorbei. Der Film von Thomas Wallner zeigt „die Show als Katharsis“. Jedenfalls wird das behauptet. Die Sterne von „Gardenia“ reden vor der Kamera über Existenzformen, die keinen Halt in Konventionen haben. Andrea berichtet von einer Vergangenheit als Prostituierte. Inzwischen putzt sie im Bordell. Vanessa ist eine männliche Säuglingsschwester, mit einer Vorliebe für Schwarze. Verliebt ist sie aber in einen Chinesen, der Vanessa vor seiner Familie verbirgt. Niemand spielt auf der Bühne, alle gewähren Einblicke. „Was ist schwul?“ fragt eine. Sie wüsste nicht, was sie sei. Sie hat sich mit fünfundvierzig operieren lassen. „Besser spät als nie“, sagt sie in einem Geisterbahn-Zuhause voller Guevara-Devotionalien. Sie verteidigt den Sozialismus an den Haustüren ihrer Nachbarn. Ihren Hund hält sie für eine Reinkarnation. Der Hund scheint „Frauchen“ aber eher für eine Nervensäge zu halten. Eine ist nach sechsundzwanzig Jahren als Frau zu der ersten Geschlechtsbestimmung, so wie sie im Pass festgestellt wurde, zurückgekehrt. Sie erinnert sich an eine Ära lebensgefährlicher Operationen im Nahen Osten. „Man flog mit viel Cash und ohne Voranmeldung“ zu einem orientalischen Gynäkologen. Zu verbluten blieb immer eine Option. Eine führt eine Kosmetikkollektion vor, wie sie ein ständiges Leben im Hotel stiften kann. „Gardenia“ ging in fünfundzwanzig Ländern über die Bühne. Jede lebt in Erwartung ihres letzten persönlichen Vorhangs und verbreitet darüber ihre Lieblingsbinsen. Vielleicht steckt in den Offenbarungen ein besonderer Mut.
Deutschland 2014, Regie: Thomas Wallner