Antiviral
Von Gregor Torinus // 2. November 2014 // Tagged: featured // 1 Kommentar
Das Kreuz des berühmten Vaters: David Lynchs Tochter Jennifer brauchte 15 Jahre, um sich nach den vernichtenden Kritiken zu ihrem – zugegebenermaßen sehr schwachen – Debüt Boxing Helena (1993) wieder aufzurappeln. 2008 folgte Surveillance (Unter Kontrolle) und gewann den Hauptpreis beim Filmfestival in Sitges. Diesmal waren die Kritiken zwar überwiegend wohlwollend, enthielten jedoch in der Regel die obligatorische Einschränkung, dass die Tochter natürlich nicht das Niveau ihres Vaters erreiche. Jennifer Lynch hatte diesen Vergleich allerdings auch selber provoziert, indem sie sich mit ihren Psychothrillern auf ein ähnliches filmisches Terrain, wie ihr berühmter Vater begab. Spätestens mit ihrem dritten Film Chained (2012) sollte jedoch klar geworden sein, dass Jennifer tatsächlich kein zweiter David ist, sondern ganz eigene Qualitäten zu bieten hat.
Was David Lynch für ein subversiv-surreales Kino in den USA, dass ist sein Kollege David Cronenberg in Kanada. Auch dieser David hat mit Brandon Cronenberg einen filmschaffenden Sprössling, der mit Antiviral 2012 sein Spielfilmdebüt hingelegt hat. Brandon provoziert noch weit stärker, als Jennifer einen Vergleich mit dem großen Vater. Denn Antiviral ist purer Body-Horror, also ein Vertreter des Genres, dessen wichtigster Vertreter ausgerechnet Papa Cronenberg ist. Außerdem zeichnet den Film eine klinische Kälte aus, wie sie ebenfalls für das Werk des Vaters charakteristisch ist. Doch Brandon kann dem Vergleich mit seinem Vater durchaus standhalten. Denn mit Antiviral entpuppt sich Cronenberg Junior in als cronenbergesker, als David Cronenberg selbst:
Antiviral zeigt eine nahe Zukunft, in der die Massenkultur und der Starkult eine neue Dimension erreicht haben. Voneinander entfremdete Menschen suchen einen Ersatz für ihre verlorenen Mitmenschlichkeit durch die kollektive Teilhabe an der „Gruppenhalluzination“ der Prominenten. Entfallender körperlicher Kontakt in einer völlig sterilen Welt wird ersetzt durch die körperliche Einverleibung der Stars. Der Fan nimmt teil, an den Krankheiten seiner Stars, indem er sich für viel Geld deren persönliche Krankheitserreger spritzt. Hinzu gesellt sich das Essen einer widerwärtigen Fleischmasse, die aus den Muskelzellen der Stars gezüchtet wird. Völlig richtig wird dieser perverse Akt der fleischlichen Einverleibung der Stars im Film als eine Form von Kannibalismus bezeichnet. Diese Menschen haben ihre Stars tatsächlich zum Fressen gerne.
Syd March (Caleb Landry Jones) arbeitet in der Lucas Clinic als Verkäufer, der den Kunden die Krankheiten ihrer Lieblingsstars schmackhaft macht. Er verdient zusätzliches Geld, indem er sich selbst Viren spritzt, um diese unbemerkt in seinem Körper aus der Klinik heraus zu schmuggeln. Seine Freizeit verbringt er größtenteils damit, sich zuhause wieder auszukurieren. Dort hat Syd auch eine Apparatur, mit der er den Kopierschutz der Viren knackt, um die Krankheitserreger anschließend teuer auf dem Schwarzmarkt zu verticken. Eines Tages spritzt sich Syd die aktuelle Krankheit von Hannah Geist, dem wichtigsten Star, den die Lucas Clinic vertritt. Diesmal geht es dem bereits an zeitweilige Unpässlichkeiten gewöhnten Schwarzmarktverkäufer so richtig dreckig. Auch scheitert das Knacken des Viren-Codes und führt zur Zerstörung der Dekodierungs-Apperatur. Dann erfährt Syd, dass Hannah Geist zwischenzeitlich an dieser Krankheit gestorben ist…
Gerade hat David Cronenberg in Maps to the Stars gezeigt, wie in Hollywood bereits Kinderstars zu großen Arschlöchern mit gigantisch aufgeblasenen Egos und unkontrolliertem Kokainkonsum mutieren. Im Rückblick offenbart sich Brandon Cronenbergs Antiviral als das passende filmische Gegenstück zu Papas ätzender Gesellschaftssatire. Denn was wären all die sich unglaublich wichtig wähnenden, aber emotional verkrüppelten Stars, ohne all ihre emotional verkrüppelten Fans, die sie erst zu dem machen, was sie sind? So zeigt Antiviral die bittere Kehrseite der gleichen fatalen Realität. Der in einem sterilen Weiß gehaltene eiskalte Film bohrt sich langsam, aber gnadenlos in das Hirn des Betrachters hinein. Der Film Antiviral ist selbst wie die sterile Nadel, die dem Fan die mit einem Virus infizierte Flüssigkeit in die Blutbahn jagt.
Antiviral schreitet lange so unspektakulär und bedächtig voran, dass man kaum bemerkt, wie der Film langsam, aber sicher seine todbringende Wirkung entfaltet. Doch hat Brandon Cronenberg einmal seine bösen Bilder in das Hirn des Zuschauers injiziert, gibt es kein Zurück. Dann hilft kein Toben und kein Schreien. Antiviral ist der Virus, ist das real gewordenen neue Fleisch aus Videodrome.
Antiviral, Brandon Croneberg, Kanada/USA 2012
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