Anderson
Von Jamal Tuschick // 20. November 2014 // Tagged: Deutsches Kino, Dokumentation, featured // Keine Kommentare
Die Küche als Salon
Die Kamera leckt den Hochglanz der Frankfurter Skyline. Sie speichelt vor den Erektionen und der Hypertrophie. Anderson sitzt am Steuer wie Jedermann, er fährt durch das Bankenviertel. Er bewegt sich in der Ungeheuerlichkeit, sie ist Alltag. Man sieht ihn mit verstaubten Stasi-Akten, Anderson will sie allenfalls quergelesen haben. Er sagt, worauf es ihm ankommt: „Das Gleichgewicht zwischen Fremd- und Selbstbild“ muss gewahrt werden. Dem steht ein Aktenstudium im Weg. Die Begegnung mit sich im Spiegel einer Bürokratie könnte ihn umbringen.
Ihn hält sein Narzissmus in Gang, die Fähigkeit, sich selbst besonders zu finden. „Das Ich als Zentralgewalt“, sagt jemand. Gleichwohl sieht man die Stigmatisierung, als trüge Anderson ein Mal auf der Stirn. Jemand, der von ihm enttäuscht wurde, sagt, dass er Enttäuschung gut findet. Sie sei in jedem Fall das Ende der Täuschung. Das ist ein Kalenderspruch. Ekkehard Maaß, der Anderson diente, vermutet, dass Anderson seinen Verrat der Freunde in einer anderen Gesellschaft nicht überlebt hätte. Jemand schildert die Samisdat-Subversion in Hinterhofküchen, das spezielle Verhältnis von Küche und Kultur in der DDR. Die Küche als Salon. Dass ausgerechnet ein Popstar der Ostszene Spitzel war, wundert jemand.
Es gibt keinen Augenblick der Katharsis, der Film klärt nichts. Anderson duckt sich weg, einerseits. Andererseits übernimmt er die Dokumentaristin Annekatrin Hendel, er verführt sie zur Vertraulichkeit. Sie berlinert sich in die Gemütlichkeit. Es geht um Ostidentität in der Spielart sozialistisches Dissidententum. Da war man Wenige und kann bis heute auf keinen verzichten. Das suggeriert der Film. Dass Verdienste und Umstände Anderson rehabilitieren können. Der Film zeigt aber auch die Fassungslosigkeit der Verratenen. Die Fassungslosigkeit verbirgt sich in Erzählungen von einem anderen Leben. Anderson fährt S-Bahn in Berlin, er fotografiert mit seinem Telefon den Prenzlauer Berg. Er gibt sich bodenständig, als ein Mann, der was Richtiges gelernt hat und außerdem noch Kunst kann. Er verweigert Auskünfte, die sein Privatleben mit Alissa Walser betreffen. Er laviert. Hendel hat die Maaß-Küche in Babelsberg nachbauen lassen, Anderson freut sich darüber, dass alles so wie damals erscheint. Sogar der Heizkörper ist „original DDR“. Jemand sagt: „Anderson hat immer gelogen.“ Anderson wuselt sich aus jedem Vorwurf. Regnet es Brocken, distanziert er sich in der Dritten Person. Er spricht über sich wie über einen Anderson. Der Film „Anderson“ ist jetzt schon ein Schnipsel, den man mit anderen Schnipseln als Ausweise des eigenartigen Daseins im Plural der Erscheinungen betrachten wird. Guck mal, das bin ich und das ist der Prenzlauer Berg. Und das da ist Cornelia Schleime. Weißt du noch?
D 2014, Dokumentation. Regie: Annekatrin Hendel