Am Sonntag bist du tot

Von  //  19. November 2014  //  Tagged: ,  //  1 Kommentar

Chronik eines angekündigten Todes

„Am Sonntag bist du tot“ lässt sich einfach unterschätzen. Vorderhand changiert der Priesterfilm von John Michael McDonagh zwischen Thriller und Exerzitium. Tatsächlich knüpft er an eine abgebrochene Tradition des katholischen Erzählens

Die Kamera fährt zu einem Tafelberg. Er ragt so solitär aus einer irischen Landschaft, dass man seine Symbolkraft akzeptiert. Er gibt der Phantasie Raum für ein vorchristliches Heiligtum. – Eine keltische Thingstätte. – Einen königlichen Grabhügel. Die Assoziationen führen nicht in die Irre. Man sieht den Knocknarea, der eine megalithische Nekropole in seinen unterirdischen Abteilungen beherbergt. Der Berg scheint einen eigenen Aktionsradius zu haben, er wirkt wie ein Protagonist. „Am Sonntag bist du tot“ schildert eine Woche im Leben des Seelsorgers James Lavelle. Brendan Gleeson spielt einen wandernden Tafelberg. Er spielt Gulliver beim Studium der Hyposomie. Pater Lavelle ist sich nicht zu schade für eine Kneipenschlägerei, kaum zu glauben, dass er blessiert vom Platz geht. Er hat seine Gemeinde in der Gegend von Sligo und untersteht dem, nach christlichen Maßstäben, steinalten Bistum Elphin. Ein Flughafen spielt weiter keine Rolle. Das Meer ist nah, der Strand ein lyrischer Streifen.

Man hält Lavelle für einen guten Mann. Er war verheiratet, bevor er seine Berufung erkannte. Er hat eine Tochter, die nach einem Selbstmordversuch das Leben neu entdeckt. Lavelle lebt spartanisch. Sein Amt garantiert ihm keine Unantastbarkeit. Er spricht mit Leuten, deren Glaubensgewissheit zerfressen wurde. Der institutionalisierte Missbrauch in der katholischen Kirche fördert die Säkularisierung einer religiös formatierten Gesellschaft. Ich finde Lavelle vorweggenommen in der katholischen Literatur Frankreichs. Der Typus geistert in den Romanen von Georges Bernanos und Julien Green. Die Frage, die den Typus formt, lautet: Klebt das Blut einer fremden Schuld an meinen Händen, wenn man mich (als Repräsentanten) mit dieser Schuld identifizieren kann? Lavelle beantwortet die Frage grandios. Schließlich wird er gefragt, ob er noch einmal beten möchte. Wie im Western entgegnet der Priester: „Hab ich schon.“

Am Anfang sagt ein Mann: „Ich war sieben, als ich zum ersten Mal Sperma schmeckte“. Jahrelang sei er von einem Priester vergewaltigt worden. Mit Mord will er die Last abschütteln. Für die Verbrechen des anderen soll der untadelige Lavelle büßen. Die Ankündigung erfolgt unter der Abdeckung des Beichtgeheimnisses. Der „Beichtende“ rechnet mit der Schweigepflicht des Bedrohten. Er setzt Lavelle eine Frist um Abschied zu nehmen, entweder von einem Leben in der Provinz Connaught oder vom Leben auf Erden. Es wäre nun leicht für den Vater, sich Aufschluss zu verschaffen. Er müsste nur Regeln brechen.

Also weiß er nicht, wer es auf ihn abgesehen hat. Lavelle besorgt sich einen Revolver – ein Mann sieht rot. Er diskutiert mit seinem Vorgesetzten den Fall, er wird zum Detektiv in eigener Sache. Beinah jedes männliche Gemeindemitglied könnte der Wolf im Schäfchenpelz sein. Der Film bietet eine Reihe schräger Gestalten auf … einen wahnsinnigen Arzt und Schwadroneur, einen Metzger, dessen Frau zwanghaft fremdgeht, und entweder von ihrem Gatten oder einem Liebhaber geschlagen wird, einen greisen Romancier, der auf Suizid gepolt ist, einen Stricher mit dem Auftritt eines Popstars, einen Gangster, der als Marottenkönig von sich reden macht, einen kirchenkritischen Mechaniker, einen ungastlichen Wirt, einen geistlichen Kollegen von intriganter Art und einen Millionär im Dauerrausch, der über seinem Vermögen verzweifelt.

Calvary, GB 2014, Regie: John Michael McDonagh


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