Engel aus Eisen
Von Jamal Tuschick // 16. September 2014 // Tagged: Deutsches Kino, featured, Thomas Brasch // Keine Kommentare
Keine Tochter Courage. Der Dichter als Regisseur. „Engel aus Eisen“, das Debüt von 1981. Im Jahr der Rosinenbomber dreht der Sohn eines Fleischers aus Friedrichshain auf.
Vom Kino auf Ideen gebracht, gründet Werner Gladow ein „Krawatten-Kartell“ mit Etikette und enormer krimineller Energie. Der Alexanderplatz ist schwarz von Schwarzhändlern – „der Al vom Alex“ bringt es zu erheblichem Ansehen in dem Verbreitungsgebiet seiner Ausstrahlung und Einfälle.
Er hat das Zeug zur Legende. Bis er überzieht. Bei einem Limousinenraub Unter den Linden schießt Gladow oder ein Komplize auf den Chauffeur. Eduard Alte erliegt seiner Verletzung im Alter von vierundvierzig Jahren. Nun hat Gladow bei den Berlinern keinen Stein mehr im Brett: „Berlin ist nicht Chicago.“ Nach einem Feuergefecht in Friedrichshain, die Mutter lädt nach, wird der kaum Achtzehnjährige von Volkspolizei überwältigt. Die Deutsche Demokratische Republik vollstreckt in seinem Fall das erste Todesurteil. Das Fallbeil bleibt zweimal in Gladows Nacken stecken. Ein Treppenwitz dieser Lokalgeschichte: Zur Bande gehörte der Scharfrichter Gustav Völpel. Brasch rückt ihn ziemlich ins Zentrum des Geschehens. Er zeigt Völpel als gesellschaftlichen Irrläufer, der Anerkennung bei Jugendlichen sucht. Für die Jungen um Gladow (Ulrich Wesselmann) bedeutet ein Führerschein schon Überlegenheit. Völpel zeigt ein stumpfes Gemüt und eine beschädigte Rechtsauffassung. Sein Milieu, Polizei und Justiz, begegnet ihm mit Argwohn. Er ist seinem Wesen nach Spitzel, Zuträger und Hehler. Jedenfalls spielt Hilmar Thate so den Henker. Er spielt Völpel geduckt und lauernd. Fast zum Schluss wird es heißen, Völpel habe die Bande ausspähen wollen in amtlichem Auftrag. Ihm ist das Handbeil lieber ist als die Guillotine. Er exekutiert in der Zeit seines Prozesses, insgesamt exekutiert er achtundvierzig Mal. Seiner eigenen Hinrichtung entgeht er als Denunziant.
Am Anfang von „Engel aus Eisen“ verfolgt Völpel kleinkriminelle Jugendliche zu Berliner Luftbrückengeräuschen. Das ist ein genialer Erzähleinfall. Die Versorgung der Frontstadt mit Flugzeugen endet offiziell am 12. Mai, tatsächlich am 27. August 1949. Der Film quittiert das: „Hört ihr das? – Man hört nichts mehr.“
Als man nichts mehr hört, ist Völpel der große Einflüsterer. Er treibt die Gladow-Bande zum Schafott. Braschs Eisenengel führen Einbrüche wie Ballette im Stil der West Side Story auf. Ihre blanken Gesichter scheinen einer besseren Zukunft zugewandt. Ihr „Hände hoch“ klingt wie der Refrain eines Kinderliedes. Doch dann wird die Luftbrücke abgebrochen, „die große Ordnung bricht aus“. Völkel will sich absetzen, er warnt Gladow: „Die da oben haben sich geeinigt. Morgen hörst du hier jede Fliege husten.“
Gladow und sein Gefolge spielen im Kalten Krieg mit staatlichen Organen Katz und Maus. An den Grenzen der Besatzungszonen endet die Verfolgung. So wie man im Kino über den Rio Grande nach Mexiko ausweicht, nachdem man in Texas Beute gemacht hat, so flutschen die Jungen nach einem Coup am Alexanderplatz in die erstbeste Westzone. Einmal erbeuten sie Maschinenteile, die Bande mausert sich zu Mechanikern. Das passt Gladow nicht, er versenkt Metall für „achtzigtausend Mark“ in einem abgesoffenen Bombenloch. Manchmal klingt das Großsprechen verfrühter Halbstarker an, ein Sound viel mehr noch der Hitlerjugend, der heim geschickten und im Schwarzhandel mit „Kippereien“ (dem Ausmisten anderer Händler) groß gewordenen, wehrwölfischen Flakhelfer.
Während die ausgebrannte Stadt immer noch zu brennen scheint und die alltägliche Illegalität ein Schattenspiel ist, schnoddert Werner „Sohni“ Papke von seiner ersten Begegnung mit Gladow – Kinderknastgipfel am Plötzensee. (Werner Otto Papke eist sich rechtzeitig los von der heißlaufenden Bande und kommt mit fünfzehn Jahren Zuchthaus glimpflich davon. Er trainiert mit Bubi Scholz, bringt Meister hervor. Er wäre wohl ein Großer der volkstümlichen Geschichte, hätte er nicht den Gestank von Missbrauch am Haken. Bei einem Prozess im Jahr 2008 führte er zu seiner Verteidigung eine anatomische Anomalie an.)
Zur Bande zählt ferner Gustav Redzinski (Hanns Zischler) aka „Bomme“, ein Berliner Wort für Kopf. Die Frauen im Spiel heißen Lisa Gabler und Mutter. Karin Baal spielt Gladows bis zur letzten Patrone parteiische Mutter. Sie war einmal die Filmfreundin eines Berliner Anführers namens Freddy Borchert, den Horst Buchholz in den „Halbstarken“ spielte. Diese Koinzidenz wird Brasch ein Vergnügen gewesen sein. Katharina Thalbach spielt Lisa nicht als Räuberbraut oder Tochter Courage. Sie spielt eine Sängerin, die nicht singt. Sie spielt eine, die ständig in Sorge ist. Sie hält einen Vorsprung gegenüber den kindlichen Verbrechern. Sie schwebt vorbei an aufgetriebenen Kadavern.
Lisas Genossen sehen aus wie Surfer auf der Neuen Deutschen Welle, Brasch lässt die Gladow-Gang im Jetzt der unmittelbaren Nachkriegszeit als Kinder vom Bahnhof Zoo im Schutt stehen. Nur Lisa passt in das unaufgeräumte Berlin von Neunundvierzig. Nur das Trümmer-Babe legt sich mit Gladow an, obwohl sie ihn wohl sehr gern hat. Nur sie ist erwachsen genug für die Liebe. Lisa macht den Lockvogel bei einer Entwaffnungsaktion von Volkspolizisten. Sie spielt mit der Gier junger Männer, sie animiert einen Staatsangestellten, um ihm nachher Bescheid zu geben: „Wenn man nichts in der Hose hat, braucht man wenigstens was in der Hand.“ Die Bande jagt Vopos in Unterhosen über die Brunnenstraße. Nach den Verhaftungen wirft Lisa, versteckt in einem Kinderwagen, ihren Jungs einen letzten Blick nach.
Gladows Schicksal wird rasch besiegelt. Es ist das Schicksal einer rabiaten Laus im räudigen Pelz der vier Mächte. Der Prozess (350 strafbare Handlungen, zwei Morde inklusive stehen zur Debatte) gegen „das Doktorchen“ bietet sich 1950 als letztes Beispiel für Einigkeit in einer geteilten Stadt an. Ihm geht eine kurzfristige Aufhebung der Teilung Berlins auf dem Behördenweg voran. Ohne die Konzertanz verfeindeter Pendants hätte der Prozess sich nicht ergeben. Er findet im Reichsbahndirektionsgebäude an der Linienstraße statt, man hat da das Schwurgericht in den Festsaal gesteckt. Waldemar Schmidt garantiert die Sicherheit in seiner Eigenschaft als Polizeipräsident des Berliner Ostsektors, amtlich SBZ. SBZ wie sowjetische Besatzungszone. Volkspolizisten eskortieren die Angeklagten vom Präsidium (Ost) in der Dircksenstraße zum Gericht. Das Volk reißt sich auf dem Schwarzmarkt um Billets für eine Groteske um Recht und Gesetz in einer Welt aus den Fugen. Brot und Spiele im neuen Deutschland.
BRD 1981, Regie: Thomas Brasch