Der Passagier / Welcome to Germany
Von Jamal Tuschick // 15. September 2014 // Tagged: Deutsches Kino, featured, Thomas Brasch // Keine Kommentare
Der amerikanische Patient. Thomas Brasch und „Der Passagier“.
1988 dreht Thomas Brasch seinen letzten Spielfilm – „Der Passagier/Welcome to Germany“ mit Tony Curtis in der Hauptrolle. Das Drehbuch schreibt er gemeinsam mit Jurek Becker. Der Film erzählt eine Geschichte zwischen Hollywood und Holocaust.
Tony Curtis spielt einen kurzangebundenen, unnahbaren Regisseur, einen ungarischen Juden, der in Europa den Nationalsozialismus überlebt – und in Amerika Karriere gemacht hat. In meiner Lieblingsszene trinkt Tony Curtis an einer Hotelbar Jack Daniel’s aus der Flasche. Er beschimpft seinen Assistenten, während eine Geliebte wütend ihre Sachen packt. Nicht, dass es darauf ankäme. Cornfield kommt nach Berlin, um einen KZ-Film „in der Sprache der Mörder“ zu drehen. Jede andere Sprache sei ausgeschlossen, behauptet er. Rasch wird deutlich, dass ihn etwas Unsagbares antreibt. Die Geschichte dreht sich um diesen traumatischen Kern, sie dreht sich um Freundschaft und Feigheit im Faschismus. Sie verschachtelt einen Film im Film. Für eine antisemitische Auftragsarbeit rekrutiert ein Regisseur namens Körner (Matthias Habich) 1942 dreizehn Juden in einem Konzentrationslager als „Kleiderständer“. Sie sollen keine Rollen spielen, ihr Engagement dient lediglich der Illustration erniedrigender Feststellungen. Ihr horrender Lohn, der ohne besondere Plausibilität in die Nähe eines Judaslohns rückt, ist die Freiheit in der Schweiz. Veit Harlan setzte 1940 in „Jud Süß“ jüdische Statisten ein. Davon geht Braschs Vorlage aus.
Irm Hermann spielt die Lagerleiterin, Georgi Tabori den Lagerältesten – einen Rabbiner. Er kann sein Amt nicht aufgeben, selbst wenn es ihn zum Handlanger der Mörder macht. Er muss, todmüde und todesmutig, mit der Kommandantin um Leben feilschen. Man beteiligt ihn an der Selektion, deren besondere Infamie ein großer Gegenstand des Films ist.
Tabori repräsentiert den Schtetl. Er hat das Gesicht und die Stimme für geniale Schachzüge. Ein berühmter Schauspieler wirbt für sich mit einem Vortrag aus dem „Kaufmann von Venedig“. „Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt“. Er gerät ins Stocken, der Rabbiner vollendet ihn: „Sollen wir uns nicht rächen?“ „Shylock“ nutzt nichts auf einem Appellplatz. Zu den Auserwählten zählt Silbermann, da er typisch erscheint.
Charles Regnier verkörpert den Bankier herausgehoben als delikaten Charakter, der, das „internationale Finanzjudentum“ grüßt aus der Dunkelkammer, jeden Vorteil zu mehren weiß. Seine inferiore Lage stellt sich ihm als Missverständnis dar. Seine Dünkel trennen ihn von seinen Mitgefangenen, er fraternisiert mit der Macht. Die Kommandantin, „Frau Kommandeuse“ genannt, verstellt einem jungen Mann die Aussicht auf Freiheit. Um Körners Verständnis zu gewinnen, sagt sie systementlarvend: „Der ist nicht nur Jude, der ist auch kriminell.“
Baruch (Birol Ünel) erscheint schlau und ungebrochen und er hat einen Freund, dem er heilig ist. Ein typischer Brasch und Becker-Typ. Der Kriminelle äußert sich dann ganz unbeschwert bei einem zynischen Bankett, er kommt nämlich mit. Man päppelt die unterernährten Komparsen, die Wachmannschaft nagt „ihre“ Knochen ab.
Katharina Thalbach verfängt sich im Spiel als Maskenbilderin, in der Gegenwart von Cornfield fragt sie: „Gab es mich wirklich?“ Baruch und Janko Es gab sie in der Kinowirklichkeit als Mustergültige aus dem Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg. Katharina Thalbach spielt die Maskenbilderin 1942, eine Kesse mit dem Herz am rechten Fleck, Cornfields Darstellerin der Maskenbildnerin, konfus von der verstörenden Arroganz des Regisseurs, und die greise Maskenbilderin, die von den Nazis zwar in einen Rollstuhl geprügelt wurde, ihren streitbaren Gerechtigkeitssinn jedoch nicht verloren hat.
Gedeon Burkhard spielt Baruchs Blutsbruder Janko. Einer ist zu feige selbst für Verrat, der andere ein Stürmer. Baruch und Janko wirken an einer Puppenspielfassung des Filmvorhabens mit, später erfahren sie, dass Körner als Regisseur abgesetzt und eingezogen wurde. Man sieht ihn an seinem letzten zivilen Abend, Körner schmeißt eine Party, er warnt die Freunde vor seinem Nachfolger. Baruch entschließt sich zur Flucht und stirbt beim Versuch. Janko Cornfield überlebt, er erzählt die Geschichte zu seiner Entlastung falsch. Die Maskenbildnerin korrigiert Cornfield. Dessen seelischer Ausnahmezustand destabilisiert das Ensemble. Es leidet unter dem verfehlten autotherapeutischen Ansatz des amerikanischen Patienten. Da Cornfield immer weiter fortfährt in der Vermeidung einer Konfrontation mit seiner Vergangenheit. Die Vergangenheit lässt ihn nicht aufhören, ein Gefangener zu sein. Er ist ein Gefangener in teuren Anzügen. Seit Jahrzehnten steht ihm seine Hinrichtung bevor.
BRD 1988, Regie: Thomas Brasch.