Braindead. Ein Märchen von der ewigen Liebe.
Von Patricia Donassy-Derek // 1. Juli 2014 // Tagged: featured, Horror, Komödie, Peter Jackson, Splatter // Keine Kommentare
Originaltitel: Braindead (Dead Alive), Blood Edition, ca. 138 min.
Neuseeland, WingNut Films 1992
Regie: Peter Jackson
Drehbuch: Stephen Sinclair, Francis Walsh, Peter Jackson
Der Film ist in ungekürzter Version in Deutschland beschlagnahmt.
Braindead wird größtenteils chronologisch erzählt, die Figuren wirken fast archetypisch, die Musik ist beschwingt und die Bilder warten mit nostalgischem 50er Jahre Flair auf. Es ist die Geschichte einer angeblich vorherbestimmten Liebe, die, zwischenzeitlich belastet von einem blutigen Gemetzel mit Zombies, dem Happy End entgegenstrebt. Die Handlung spielt 1957, zu einer Zeit, in der Serienmörder, die Körperteile abtrennen und sammeln, noch exotisch waren, der Horror-Trick-Film seltsame und faszinierende Blüten trieb und Hitchcock die Theorien der freudschen Psychoanalyse noch nicht vollends massentauglich bebildert hatte. Die Filmindustrie war bis dahin vorrangig Kinoindustrie gewesen, das heimische Fernsehen kam gerade erst auf.
Zum Auftakt des Films markieren plakative Hinweise die vorgeführte Welt der Regression als künstlerische Spielwiese, auf der realistische und phantastische Elemente zu einer Geschichte verschmelzen, die wahrscheinlich so geschehen sein könnte. Es ist ein Ort des homo ludens, an dem menschliche Emanzipation und Freiheit verwirklicht werden. Das geht sogar so weit, dass Frauen handgreiflich werden anstatt genre- und rollengemäß hilflos zu kreischen, Männer sich in der aktiven Vaterrolle ausprobieren und die Elternschaft von Hirntoten thematisiert wird. Homosexualität ist offenes Partygespräch und das Zölibat von Priestern wird hinterfragt. Folie der Emanzipation ist der Ur-Mythos der Mutterliebe, die als tyrannische Herrschaft stilisiert wird. Wer sich gegen wen und was emanzipiert tritt jedoch in den Hintergrund in Anbetracht der Tatsache, dass sich das Liebespaar auf Augenhöhe begegnet und so allem trotzt, was ihnen entgegensteht. Der Protagonist Lionel muss sich entscheiden zwischen der Familien-Tradition und dem aufscheinenden Horizont einer neuen Freiheit. Da Lionel ein sensibler, pflichtbewusster junger Mann ist, versucht er seine GegenspielerInnen in einen Kompromiss einzubinden, anstatt sie gewissenlos aus dem Weg zu räumen. So betreut er zeitweise eine integrative Wohngruppe motorisch und geistig Gehandicapter – Zombies -, deren Spannbreite das Alter und den sozialen Status betreffend weit gefasst ist, auch ein hyperaktives Kind ist dabei. Seine humanitäre Intervention endet – man kennt es – in einer grausamen Schlacht. Das Produktionsjahr liegt über zwanzig Jahre zurück, was für die Zeit der Handlung anachronistisch ist, war für Anfang der Neunziger immerhin ziemlich modern.
Kurze Inhaltsangabe:
Die Königin von Neuseeland, Queen Elizabeth II, tritt in Paradeuniform reitend auf; Szene vertont mit „God save the Queen“. Der richtige Film beginnt. Ein (weißer) Expeditionsleiter fängt auf Skull Island, Sumatra, einen Rattenaffen und will ihn unter Missachtung der indigenen Bevölkerung, ihrer Sitten sowie der Warnung seiner (schwarzen) Helfer ausführen und verkaufen. Das bezahlt er erst mit einigen Gliedern (Nahaufnahmen), dann mit seinem Kopf (die Blutspritzer formen den Filmtitel). Dieser Auftakt lässt vermuten, dass der zu erwartende Kampf Gut gegen Böse sich satirisch an traditionellen kolonialen Werten orientieren wird. Die Helfer exportieren den unheilbringenden Affen wegen des Geldes und er landet im Zoo von Wellington. Die ortsansässige Paquita sucht einen Mann und findet dank der Vorsehung ihrer kartenlesenden Großmutter Lionel (O-Ton: „Es wird eine Romanze geben, und die ist für die Ewigkeit.“) Beide verlieben sich ineinander. Paquita hat einen Hund, Lionel hat eine Mutter. Lionels Mutter stalkt das Paar bei ihrem ersten Date, einem Ausflug in den Zoo Wellingtons. Dort wird die Mutter vom Rattenaffen gebissen und tötet ihn umgehend. Die Mutter ist infiziert und durch den Aufruhr entdeckt. Sie erpresst Lionel emotional, der ihr daraufhin verspricht, Paquita zu entsagen. Der Affenbiss wirkt und die Mutter verwandelt sich, ihr Körper beginnt zu verfallen. Beim Essen mit den Mathesons, die wegen einer Ehrung der Ladies‘ Welfare League zu Besuch sind, fällt Mutters Ohr in den Pudding und sie isst es mit; Vorbote der weiteren Metarmorphose. Die Liebe erweist sich stärker als das mütterliche Verbot und Lionel erliegt der nachts seinen Balkon erklimmenden Schönheit Paquita. Am nächsten Tag verspeist die Mutter Paquitas Schäferhund („nicht ganz“) und verstirbt.
Die herbeigerufene Krankenschwester McTavish wird das erste menschliche Opfer der Zombie gewordenen Mutter und verwandelt sich ebenfalls. Beide müssen in den Keller. Nach einer technisch anspruchsvollen Beerdigung und einem nächtlichen Vorfall auf dem Friedhof folgen der Rocker Void und Pfarrer McGruder. Lionel hat sich bei einem Veterinär, der sich dank seiner Nazi-Vergangenheit mit Injektionsseren auskennt, Beruhigungsmittel besorgt, mit denen er die Pflegefälle im Zaum hält. Pfarrer und Krankenschwester kommen beim Mittagessen auf andere Gedanken und zeugen ein Baby, das ihren Elternstolz weckt. Das Chucky-ähnliche Baby erweist sich als sehr agil und testet bei einem Ausflug Lionels Betreuungskompetenz. Seit der Beerdigung von Lionels Mutter tyrannisiert Onkel Les Lionel (wegen des Erbes) und Paquita (wegen der Triebe). Les entdeckt Lionels (untote) Leichen im Keller und presst diesem das Erbe ab. Als Les im Haus zu einer riesigen Party lädt, um seinen Erfolg zu feiern, eskaliert die Situation. Lionel hat sich nach innerem Kampf für den Gnadentod der Zombies entschieden. Das vermeintliche Gift, das er injiziert, stellt sich später als Aufputschmittel heraus. Ein betrunkener Gast öffnet die Kellertür, woraufhin die hyperagilen Zombies die Gäste anfallen und sich alle nach und nach verwandeln. Während der blutigen Schlacht findet Lionel heraus, dass sein Vater nicht bei dem Versuch, ihn vor dem Ertrinken zu retten, gestorben ist, sondern samt seiner Geliebten von der Mutter ermordet wurde. Lionel erkennt, dass seine Schuldgefühle allein aus der mütterlichen Manipulation resultieren. Paquita und Lionel können sich mithilfe von allerlei Elektrogerät erfolgreich verteidigen und die Zombies im Gemetzel vernichten – bis auf Lionels Mutter. Diese, zur riesigen Steinzeit-Venusfigur mutiert, versucht während des Showdowns auf dem Dach des Familienanwesens Lionel gänzlich zu vereinnahmen, indem sie ihn in ihren aufklappenden Bauch aufnimmt. Lionel, der sich bereits innerlich abgenabelt hat, befreit sich mit einem fatalen Schnitt. Das Anwesen mit den Überresten des Kampfes brennt ab, Lionel und Paquita stehen sich frei gegenüber. Blut und Dreck bilden auf Lionels Hemd fast das gleiche Muster wie die Blumen auf Paquitas Bluse. Hand in Hand gehen sie einer gemeinsamen Zukunft entgegen. Abspann.
Das mal subtil gezeichnete, mal brachial hingeschmetterte Filmvergnügen, das sich stilsicher in einem psychotisch-freudschen Rahmen bewegt, bindet Referenzen auf andere Filme, Mythen und historisch verbürgte Verbrechen an den Nucleus der 50er-Jahre-Gesellschaft, die Familie. Damit ist klar, dass es sich um eine komplexe interdiskursive Wundertüte handelt, die über reines Popkornkino hinausgeht. Wie viel gesellschaftlichen Sprengstoff diese Musterfamilie bunkert, wird nicht nur an deren privat zu verantwortenden Taten ersichtlich, sondern eben an jenen Verbindungen, die der Film zu anderen Diskursen knüpft. Allein die Sequenzen der Injektionen, die Lionel meist in die Nase der Zombies setzt, um diese mit Tranquilizern ruhig zu stellen, sind assoziative Anknüpfungspunkte zu den verschiedensten Themenbereichen.
Familienmanagement mithilfe von Beruhigungsmitteln war zu jener Zeit durchaus schon üblich, in Deutschland bekanntes Beispiel ist der „Kinosaft“ Contergan, 1957 auf den Markt gebracht (die Bezeichnung daher, weil die Eltern des beruhigten Kindes selbst beruhigt ins Kino gehen konnten). Modern weitergeführt wird die Beruhigungsstrategie bei Pflegepatienten sowie hyperaktiven Kindern, die Ritalin und Co. erhalten. Lionel kauft den Tranquilizer unter der Hand bei einem Veterinär, der mit seinem weißen Kittel eine Naziuniform versteckt. Dieser ehemalige Experte für die industrielle Herstellung von Untoten ist nun Lionels Rohstoffquelle für die „medizinische“ Behandlung von Wesen, deren Status zwischen Tier und Mensch nicht einfach auszumachen ist. Als Lionel die Zombies töten will, spritzt er statt des Giftes versehentlich „Animal Stimulant – not for human consumption“. Was soll man sagen – bei der Bezugsquelle…
Die Filmfigur der Krankenschwester ist namensverwandt mit der Pflegerin Jessie McTavish, die 1974 angeklagt wurde, per Insulininjektion mindestens eine Patientin getötet zu haben. Sie behauptete, als Placebo lediglich steriles Wasser gespritzt zu haben. Als Lionel sich durchringt, den Untoten zum Tod zu verhelfen, spritzt er ebenfalls (!) oder jedenfalls statt des tödlichen Giftes ein anderes Serum.
Wenn man sich nun Familie und Gesellschaft in einem spiegelbildlichen Verhältnis vorstellt, kann nicht verwundern, dass die Aufdeckung des Gattenmords, die Vernichtung aller Zombies und das Niederbrennen des Familienanwesens die Handlung abschließen. Soviel zum Psychotischen, nun zum Freudschen. Der männliche Protagonist Lionel Cosgrove hat neben Schwierigkeiten mit der Mutter ein Trauma, das er wegen einer Deckerinnerung nicht erkennt. Die Zombies, Ermordete und mörderisch zugleich, lehren ihn den Antagonismus von Eros und Todestrieb sowie die daraus folgenden Auswirkungen auf die eigene Lebensplanung nicht zu unterschätzen. Das ist Anstoß für einen Selbstfindungsprozess, in dem Lionel die Chance ergreift, die Norman Bates nie hatte: Lionel kann die Beziehung zu seiner Mutter durcharbeiten, sich mit den traumatischen Erinnerungen konfrontieren und seine Schuldgefühle auflösen. Die Kraft dazu findet er in der Liebe zu Paquita, die schön, mutig und praktisch veranlagt ist. Sie kann mit Haushaltsgeräten ebenso gut umgehen wie Lionel mit Gartenwerkzeug, was sich im Kampf gegen unzählige, vom Rock and Roll aufgeputschte Zombies als hilfreich erweist. Belohnt wird Lionel mit einer „für die Ewigkeit“ reichenden Beziehungsfähigkeit. Was für eine Party.
Gewalt und Tabu
Peter Jacksons Film Braindead teilt das Schicksal einiger Werke, auf die er referiert, wie Hitchcocks Psycho (1960), Lewis‘ Blood Feast (1963), und Romeros Dawn of the Dead (1978). Diese stilprägenden Filme verstießen zum Zeitpunkt ihrer Produktion gegen kulturelle Normen und wurden deshalb von Teilen des Publikums abgelehnt – in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Dauer der Ablehnung (1). Die institutionellen Restriktionen waren bei Psycho am geringsten, Braindead gilt weiterhin im Sinne des Paragraphen 131 StGB als gewaltverherrlichend. Im Vergleich mit den anderen genannten Filmen ist Braindead der einzige mit Happy End und der einzige, der eine gelingende Liebesgeschichte ins Zentrum stellt, wie es in Märchenerzählungen üblich ist. Die fiktive Welt zeigt weitere märchenhafte Züge wie Vorhersehung, klare Gut/Böse Zuordnung der Figuren, das Auftreten einer Königin und dunkler Mächte, archetypische Protagonisten, die sich in einer herausfordernden Situation bewähren müssen, sowie Darstellungen brutaler psychischer und physischer Gewalt.
Auf einen solchermaßen fiktiven – im Gegensatz zu einem faktualen – Erzählmodus verweist auch der zwanglose Wechsel zwischen Verkehrsmitteln und deren Miniaturmodellen am Anfang des Films (Flugzeug, Straßenbahnen) und die vielen Referenzen auf andere phantastische Filme. Die erste Ortsbestimmung beispielsweise, „Skull Island, Southwest of Sumatra“, bezieht sich auf die Heimat des animalischen Protagonisten aus King Kong und die weiße Frau (1933). Braindead zitiert nicht nur andere Filme, sondern scheint die eigene Gefährdung durch Zensur zu reflektieren, indem gerade frühere Überschreitungen von Filmkonventionen aufgegriffen und durch Übersteigerung ins Absurde geführt werden. Exemplarisch ist die Anspielung an eine für heutige Sehgewohnheiten unauffällige Szene aus Psycho und generell an Hitchcocks Verfahren, wenig zu zeigen und viel aus der Imagination der ZuschauerInnen entstehen zu lassen, wie bei der berühmten Duschszene: „Als ‚Psycho‘ 1960 in die US-Kinos kommt, schwappt ein Schwall der Entrüstung durchs ganze Land. Aber es ist nicht die Brutalität der Duschszene, der [sic] die Kritiker aufschreien lässt, ebenso wenig wie die spärlich bekleidete Janet Leigh. Es ist der Umstand, dass Hitchcock gewagt hat, eine offene Toilettenschüssel zu zeigen und das Geräusch einer Klospülung zu verwenden.“ (2) Jackson geht einige Schritte weiter: Onkel Les muss wegen seiner Blaseninfektion dringend zur Toilette und lässt die Türe offen, um das Gespräch mit Lionel fortsetzten zu können. Die Kamera folgt, registriert den angespannten und später erleichterten Gesichtsausdruck sowie Abschüttel-Bewegungen, und fängt auf der Tonspur zusätzlich zur Spülung das Klimpern der Harnsteine, das Plätschern des Urins und das Ratschen des Reißverschlusses ein. Während seiner Verrichtung mit dem (mutmaßlich) eingeschränkt virilen Organ phantasiert Les über potentiellen intimen Kontakt mit Paquita.
Die Toilettenschüssel ist in dieser Szene im Gegensatz zur Hitchcock-Referenzszene nicht zu sehen, man weiß nicht, ob sie wirklich da ist, ihr Vorhandensein erschließt sich aus dem auditiven Kontext. Direkt folgend schließt Onkel Les aus dem auditiven Kontext, dass Lionel sodomistische Pornofilme konsumiert, was gar nicht zutrifft. Was Onkel Les da zu erkennen glaubt, sind keine Kunstprodukte perversen Inhalts (Filme), sondern tabuisierte Realität (echter Zeugungsakt von Schwester McTavish und Pfarrer McGruder, allerdings völlig bekleidet). Imagination bedarf also wenig, um zu arbeiten, und schießt dann gerne über das hinaus, was momentan verifizierbar ist. Das hat Hitchcock bekanntlich zu nutzen gewusst und den Titel des Meisters des Suspense errungen. Wo die Imagination jedoch nicht mehr zwischen Kunst und Realität unterscheiden kann (es ist kein Pornofilm, sondern filmechter Sex) und nicht mehr zwischen Tod und Leben (zeugende Zombies), da folgt traditionell die Strafe stehenden Fußes. Lionel reißt die Liebenden und ihren Kuss auseinander, wodurch McGruders Gesichtshaut in McTavishs Mund verbleibt, zumindest solange, bis sie geschluckt hat. Im griechischen Mythos der Schindung des Marsyas durch den Gott Apollo war das Abziehen der Haut Strafe für die Erschaffung von Musik, die die Grenzen der Ordnung gefährdete und für die Herausforderung eines Gottes (Götter beanspruchen meist das Schöpfungsmonopol). Bei der Frage, ob der Künstler Bösewicht ist, der Grenzwertiges erzeugt, oder die BeobachterInnen, die bei der Rezeption Grenzwertiges denken, wird institutionell heute wie früher zu Ungunsten der Kunst entschieden.
Die Sache mit der Toilette ist noch nicht ausgestanden, im finalen Kampf Mensch – Zombie spielt sie eine weitere Rolle. Der Rockerzombie Void, der Lionel selbst unterleibslos noch unnachgiebig verfolgt, wird von Lionel schließlich in eine Kloschüssel gesteckt und mit dem Ring des Sitzes fixiert. Bei dem Versuch, sich heraus zu ziehen, betätigt Void die Spülung und erzeugt eine blutige Überschwemmung. Ohne Unterleib, könnte man annehmen, ist Void offensichtlicher seiner Potenz beraubt als Les in der Vorgängerszene. Doch Voids Unterleib und seine Innereien führen jeweils ein Eigenleben, Gedärm richtet sich phallisch auf, bewundert sich im Spiegel (Frank aus Hellraiser war in diesem Zustand noch scheu und wollte nicht angesehen werden) und jagt Lionel dann weiter, indem es sich an seinen Fuß hängt und versucht, durch sein Hosenbein zu seiner Mitte zu gelangen. Der parasitäre Griff zur menschlichen Potenz ist nur eine unter vielen Aktivitäten der Zombies, sie bleiben nicht dabei stehen, sondern entwickeln von vorneherein ihr Eigenleben.
Man könnte analogisierend sagen, Jacksons Weise der Adaption ist eine totale Eskalation (der Trickeffekte), die nicht lediglich das Fleisch und Blut der Film-Ahnen frisst, sondern eine eigenständige (Kunst-)Form entwickelt. Heute Fun-Splatter genannt. Viele Gewaltdarstellungen persiflieren jedenfalls Genretypisches und sind selten faktisch zutreffend. Der Erzählstrang, der die Emanzipation Lionels von seiner Mutter und seinen Kampf gegen die dunklen Mächte des Todes vorführt, setzt auf Tötungs- und Deformationsszenen, deren Umsetzung anatomische Kenntnisse und diese weit hinter sich lassende Phantasie erfordert. Es ist ZuschauerInnen ohne besonderes Vorwissen bekannt, dass Beine, denen Haut, Muskeln und Sehnen in einem Ruck entfernt wurden, sich nicht mehr selbständig zusammenhängend bewegen und dass der Kopf eines Menschen (bzw. Zombies), in den eine Glühbirne samt Fassung eingeführt wird, bei Stromzufuhr nicht hell wie eine Stehlampe leuchten kann. Der Vorwurf der Gewaltverherrlichung trägt die Sorge vor Nachahmung mit sich. Wer Ego-Shooter spielt, könnte AmokläuferIn werden. Braindead weist auf diese Gefahr hin und zeigt, wozu das führen kann. Als Paquita eine Frau vor Les‘ Hackebeil schützt, da diese gebissen, aber noch nicht in einen Zombie verwandelt ist, weist er sie zurecht: „Halt Dich da raus! Ich weiß, was zu tun ist, die kannst Du vergessen. Ich habs in den Comics gelesen, der Körper muss total zerhackt werden.“ Dieses fundiert erworbene Wissen über den Umgang mit Untoten wird Les kurze Zeit später lustvoll in die Tat umsetzen und sich vor dem Haufen Zerhacktem die Zigarette danach anstecken. Lust an Gewalt ist etwas für Sittenstrolche, soviel ist deutlich geworden. Und wer Comics liest, den kann man vergessen. Aber wie steht es mit der Lust an Tricktechnik, die sich klassischerweise an Monstern und dem offenen Körperinneren zu beweisen pflegt? Die Präparation von Verwesenden ist in einem speziellen kulturellen Rahmen ja sogar ein angesehener Beruf. Es ist sicher alles andere als Zufall, dass Peter Jackson für seinen Cameo-Auftritt die Figur des Assistenten des Bestatters gewählt hat und als solcher die „verdammt schwere Einbalsamierung“ letztlich gründlich ruiniert.
Moralische Werte
Im vorigen Abschnitt wurde dafür plädiert, die übertrieben unrealistischen und teils mit Ekel, teils mit Humor versehenen Gewaltdarstellungen als Lust an Trickeffekten und weniger als Lust an Gewalt zu verstehen. Dafür spricht der Modus der Persiflage mit selbstreflexiven und selbstironischen Momenten. Moral betrifft jedoch nicht nur Gewalt, sondern auch andere Umgangsformen. Braindead ist in gewisser Weise moralisch freizügig in Fragen des sexuellen Kontakts vor der Ehe und nach dem Tod, also im Prinzip nach der Ehe. Die Darstellung der betreffenden Akte ist im Vergleich zu den Gewaltdarstellungen sehr zurückhaltend bis zugeknöpft. Die Beurteilung hängt in moralischen Dingen nun sehr vom individuellen Standpunkt ab, denn es gibt auch eine andere Seite dieser vor- und nachehelichen Kontakte. Mit dem unglücklichen Ende von Lionels untreuem Vater, seiner Geliebten und der mörderischen Mutter und im Gegensatz dazu dem glücklichen Überleben von Paquita und Lionel bestätigt Braindead eine fundamentale kulturelle Norm des christlichen Abendlandes: die monogame, heterosexuelle, auf Liebe beruhende und auf ewig angelegte Paarbeziehung. Die zuvor diagnostizierten Verfallserscheinungen der Familie, die der Film visualisiert, sind demnach keine Verabschiedung, sondern eine konstruktive Kritik dieses Modells menschlichen Zusammenlebens. Ähnlich verhält es sich mit der Mutterliebe, dessen schreckliches Abbild Vera Cosgrove konterkariert wird von der Mutter der Nation, Queen Elizabeth II. Deren eingerahmte Fotografie im Haus der Cosgroves wird umgedreht vor der finalen Schlacht, damit sie nicht vom Blut besudelt wird. Oder ist die Reinheit dieser Mutter nur ein weiteres Bild, hinter dem Fragwürdiges liegt?
Der Queen ist die erste Filmminute gewidmet, sie war schließlich auch eine wichtige Protagonistin der ersten Fernsehbilder, die in den 50ern in die Wohnzimmer flimmerten, zum Beispiel mit wichtigen Ereignissen wie dem „Trooping the Colour“. Queen Elizabeth II wusste die mediale Innovation zu nutzen. 1957 hielt sie eine historische Fernsehansprache für das gesamte damalige Commonwealth, ‚The first televised Christmas Broadcast‘ (3). Darin erinnerte sie an den Wert überzeitlicher Ideale im Zusammenwirken der Menschen und Völker. Die Zeit, in der Lionel und Paquita ihr Abenteuer bestehen müssen, beschreibt die Queen als kritischen Moment der Geschichte, in der ein neuer Mut benötigt wird. Dieser Mut soll sich nicht in der Schlacht bewähren, sondern darin, „to stand up for everything that we know is right“. Dieser Entschluss zum Mut ist notwendig in Anbetracht des globalen technischen Wandels: „Because of these changes I am not surprised that many people feel lost and unable to decide what to hold on to and what to discard. How to take advantage of the new life without loosing the best of the old. […] The trouble is caused by unthinking people, who carelessly throw away ageless ideals, as if they were old and outworn machinery.” Nachdem die Königin von Neuseeland und Namensgeberin eines Naherholungsgebietes bei Wellington, dem Queen Elizabeth Park, sich so als moralische Garantin fundamentaler Prinzipien ausgewiesen hat, konnte sie eine beachtenswerte Rolle in den ersten Filmen von Peter Jackson einnehmen (in Bad Taste ist direkt zu Beginn ein Foto der Queen in Großaufnahme zu sehen). Lionel kommt diesem allgemeinen Aufruf heldenhaft zuvor (spielt ja vor Weihnachten). Zuerst kümmert er sich mutig und fürsorglich um die Untoten und macht sich jede Menge Gedanken, wie zu verfahren sei, dann steht er auf für sein Recht und behauptet sich gegen die Mutter. Er kommt zwar nicht um die Schlacht herum, aber schließlich muss er sich auch als Mann bewähren, und so modern ist Braindead nun auch wieder nicht.
Zombiefilme (und -comics) dienen häufig zur Reflektion moralischer Grundfragen. Romeros Klassiker Dawn of the Dead (1978) z. B. kann als Zerrbild einer sinnentleerten Welt gedeutet werden, welche die Menschen in Konsumsklaven verwandelt, sie korrumpiert und das Schlechte in ihnen zum Vorschein kommen lässt. Die Zombies sind dort symbolisch in der Mitte der Gesellschaft verortet. Oft dient der fiktive Konflikt zwischen Menschen und Zombies dazu, die Grenzen des Humanen auszuloten. Einflussreich für diesen Aspekt des Zombiefilms war der mehrfach verfilmte Roman I am Legend (1954) von Richard Matheson (ein Figuren-Ehepaar in Braindead trägt den Nachnamen Matheson). Anhand des Konflikts Mensch/Zombie wird die biologische Differenzierung (lebendig/untot) gegen die ethische ausgespielt, das Verhalten der (noch-)nicht in Zombies Verwandelten stellt ihr Menschsein vor diesem Kontrast nachhaltig infrage. In Braindead wird die menschliche (im Sinne von: durch Menschen angewendete) Praxis der In- und Exklusion satirisch in den Fokus gerückt, das macht bereits zu Beginn die Anspielung auf King Kong und auf kolonialistische Machtstrukturen deutlich.
Liebe und Ekel
Ekel galt früher als das Andere der Kunst, das schlicht nicht ästhetisch Darstellbare. Denn während ZuschauerInnen aus Gewaltdarstellungen ästhetische Lust gewinnen können (weil es a. so schön aufregend ist und b. man sich allzeit bewusst ist, nicht real in Gefahr zu sein), ist Ekliges immer real eklig, distanzlos, selbst gewaltsam. Daher lässt es die Grenze Kunst – Realität kollabieren, kann sozusagen per Definition kein Gegenstand der Kunst sein.
Darüber hinaus galt die Annahme, dass reine Schönheit zu Langeweile und Übersättigung führt und somit dem Ekel anheim fällt: „Schreckliche Gegenstände verschaffen uns erstens besonders heftige Reizungen unseres Seelenapparates und dann auch noch die freudige Erleichterung darüber, daß sie ’nur‘ künstliche Illusion waren. Angenehme Gegenstände bewirken dagegen nur mäßigere Bewegungen der Leidenschaften, und das Bewußtsein ihrer Unwirklichkeit ist überdies eher eine Enttäuschung.“ (4) Kunst hat sich natürlich über diese Spielregeln hinweggesetzt, vor allem im Vorabendprogramm des Fernsehens. Doch man kann durchaus sagen, dass heute noch in abgewandelter Form das Übersättigungspostulat gilt: Was nur rein und schön ist, ist eklig weil kitschig.
Ausgangspunkt für die Betrachtung der ästhetischen Struktur von Braindead ist somit die These, dass das Hauptmotiv nur ungetrübt als Schönes genossen werden kann über den Umweg der Ekelvermeidung mittels einer Ekelsteigerung auf anderer Ebene. Das Hauptmotiv und die anders nicht zu ertragende Schönheit (frei nach Kant, Lessing usw. (5)) ist die wahrgewordene „Romanze für die Ewigkeit“. Ohne visuelle Ekeleffekte würde der bereinigte Plot an sich eklig wirken. Sei es, weil die erfüllte romantische Liebe in ihrer Süße eine Übersättigung herbeiführte, sei es, weil die Beseitigung der Mutter einem starken sozialen Tabu unterliegt, selbst wenn diese tyrannisch ist und sich der Liebe in den Weg stellt. Eine Szene, die Romanze und Ekel in inniglicher funktionaler Vereinigung zeigt, ist das erfolgreiche nächtliche Werben von Paquita an Lionels Balkon. Nach kurzer Gegenwehr erliegt Lionel Paquita und seinen Gefühlen für sie. Die Kamera wechselt zwischen dem Paar, der kartenlegenden Großmutter Paquitas und der in unruhigem Schlaf leidenden, infizierten Mutter Lionels. Das Pochen von Mutters Blut, das Ablegen der Tarotkarten und die Küsse der Liebenden bilden den gleichen, sich beschleunigenden Rhythmus. Das Seufzen der Großmutter über das gelesene Schicksal und das Schmerzensstöhnen der Mutter ersetzen die Lustlaute der Liebenden (die übrigens nur vollbekleidet bzw. in Nahaufnahme der Gesichter zu sehen sind). Der Höhepunkt des Aktes ist ein Facial Cumshot der anderen Art: Aus der pochenden Bisswunde der Mutter spritzt ein Eitererguss auf das Fotoportrait von Lionels Vater.
Die unappetitliche Entwicklung der mit sadistischen Zügen ausgestatteten Mutter, und die daraus folgenden Meere von Blut, Gedärm und ähnlichen Widrigkeiten, durch die Lionel und Paquita sich einander erkämpfen müssen, wendet die Verkitschung der Romanze ab. Zugleich bietet dies eine auf breiter Basis akzeptable Begründung für die endgültige Emanzipation von der Mutter.
Der Tabubruch des Muttermords wird zwar als großes Spektakel inszeniert, dennoch ist gar nicht das Töten ausschlaggebend, sondern die psychische Abkopplung, die Lionel vollzieht. Im Film ist dies kenntlich gemacht durch groteske Übersteigerung des Zweikampfes und dadurch, dass die Tat – der Kaiserschnitt von innen heraus zur zweiten Geburt – erst nach einer sprachlichen Abnabelung erfolgt („Ich hab keine Angst mehr vor Dir, Mum! [usw.])“ und Notwehr entspricht.
Es ist Gang und Gäbe, das Interesse an einer Romanze zu erhöhen mittels einer „auf unendlich gestellten Vorlust“ (6), berühmte Liebespaare der Literaturgeschichte sind solche, deren Erfüllung durch Komplikationen aufgeschoben oder im Tod aufgehoben war, wie Amor und Psyche, Tristan und Isolde, Romeo und Julia etc. Mit der Geschichte einer romantischen, glücklichen Liebe, die immerfort währen wird, frei von den Beigaben von Eiter, Blut und Knochen, hätte sich Peter Jackson für die Verfilmung von Rosamunde Pilcher Romanen o. ä. empfohlen, nicht für eine großangelegte Neuverfilmung von King Kong. Das hätte niemand wollen können. Das Verbot von Verkauf, Verleih und öffentlicher Vorstellung des Films greift dessen ästhetische Struktur auf und verlängert sie konsequent in die Realität: Für viele bleibt der Genuss einer Sichtung eine „auf unendlich gestellte[] Vorlust“.