The Wolf of Wall Street
Von Joris Julius-Sabinus // 25. März 2014 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Man nehme eine Garagenfirma, prophezeie ihr einen kometenhaften Aufstieg und lege einen Startpreis fest. So einfach realisiert sich die fiktive Verdopplung des Kapitals in fungierendes Kapital einerseits und Eigentumstitel andererseits. Der Eigentumstitel wird zum fiktiven Kapital. Mit dem Preis der Eigentumstitel als ihrem „illusorischen Kapitalwert“ (Marx) entsteht der Schein, als bildeten die Eigentumstitel „wirkliches Capital neben dem Capital (…) worauf sie Titel sind.“ Dieser Vorstellung gemäß wird jede regelmäßige Geldrevenue als Ertrag berechnet.
Nur wie sie sehen, sehen sie nichts. Die Börse ist wortwörtlich ein gespenstischer Arbeitsplatz. Dort wird mit Möglichkeiten auf zukünftige Geschäftsereignisse spekuliert, bei denen man in den seltensten Fällen hofft, dass sie denn eintreten werden. Besitzt man die Fähigkeit die gängigen Zeitreise-Paradoxien zu erklären, so hat man gute Chancen dort an Geld zu kommen. Besitzt man diese Fähigkeit nicht, bleibt einen nichts weiter übrig als auf die Gier seiner Mitmenschen zu spekulieren.
Am besten lässt es sich so spekulieren, wenn man säuft, hemmungslosen Sex mit Nutten praktiziert, Jachten in den Sturm und Anleger in den Ruin treibt. Die Ausschweifungen des Maklers Jordan Belfort tragen so sehr die Prosa von Bret Easton Ellis in sich, dass es sich wieder einmal lohnt über das Wort Ironie nachzudenken. An diesem Karneval, in dem Belfort das unartige Zirkuspferdchen gibt, ist doch nichts mehr komisch – und gerade deshalb kommt man aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Jeder weiß ja insgeheim, dass das Leben in der spätkapitalistischen Gesellschaft nichts als Trostlosigkeiten bereithält und dass es in diesem Käfig voller Narren nur darum geht, den anderen die Futterration streitig zu machen. Man versucht diesem furchtbaren Schicksal zu entrinnen und ist dafür bereit, jede erdenkliche Zumutung in Kauf zu nehmen. Der Kampf um das Zahlungsmittel erfordert permanenten Einsatz, er bestimmt das ganzes Leben, da die Gefahr des Absturzes ins Heer der Überflüssigen nie endgültig gebannt werden kann.
Ständig sind die solcherart verzweifelten Subjekte auf der Suche nach Halt und einem gangbaren Weg durch den Dschungel der zweiten Natur. Jordan Belfort und seinesgleichen stehen bereit, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen und bieten ihre Waren feil – aus Scheiße werde Gold. Es wäre unfair, etwa Belforts „Warenangebot“ als Betrug zu bezeichnen, denn jeder Käufer weiß ja,sollte erahnen, dass der Mann ein schlecht verhüllter Scharlatan ist, dennoch spricht die Vereinigung von Lebenshilfe und Schaustellertum Bände über den Zustand der Käufer. Der Budenzauber wird so weit getrieben, dass man es nicht einmal mehr nötig hat, die Illusionsspiegel zu verdecken. Der unvermeidliche Komparativ der Konkurrenz kommt sogar da ins Spiel, wo es um etwas eigentlich so selbstverständliches wie die Selbstreflexion geht – diese muss zwangsläufig intelligenter und effizienter vor sich gehen als beim Nebenbuhler oder in der Sprache Belforts formuliert: Lege ich ihn nicht rein, so legt er mich rein.
Dem Racket der Käufer geht es selbstverständlich um (Distinktions)-Gewinn gegenüber dem Nachbarn. Jede narzisstische Selbstbezüglichkeit will ausgelebt werden. Das weiß Belfort und indem er den armen Tölpeln Schrottpapiere verkauft, versachlicht und verwaltet er nur ihre traurige Liebe zu sich selbst – und streicht den Obolus dafür ein.
Martin Scorsese ist mit „Wolf of Wall Street“ wirklich der Film schlechthin über den Spätkapitalismus geglückt. Leonardo Dicaprio spielt den eingebildeten Fatzken mit der nötigen Nonchalance. Man sieht keinen grimmigen Analsadisten, der noch Schwierigkeiten hätte in der Nacht zu weinen. Man sieht einen kleinen tolldreisten Knaben im Körper eines Mannes. Seine pathologische Infantilität ist Zeitgeist. Allerdings trennt ihn von seinen Mitmenschen seine innere Einstellung, denn er hat ein Ziel. Sein Ziel ist es, möglichst schnell sehr reich zu werden. Dafür bedient er sich der horizontlosen Leere in den Subjekten und macht sie anfällig und gefügig für die präpotenten Drohungen und Verlockungen eines Goldrauschs. Da das ursprüngliche Ideal der ökonomischen Leistungskraft in einen Diskurs von Lebensqualität und nackter Aktivität übergegangen ist, hat er dabei auch ein leichtes Spiel. Ja es ist interessant zu sehen, dass die ökonomischen Fähigkeiten dieses Brokers nicht wesentlich über die Allerweltskenntnisse eines Jedermanns hinausreichen. So verfallen seine Kunden und seine Arbeitnehmer, die er Telefonterroristen nennt, nicht alleine ihm, sondern der morbiden Faszination der nackten Totalität des Marktes. Der Gebrauchswert seines Handelns entsteht erst mit der Kombination von bestenfalls dummen Tiraden um seine Mitarbeiter zu motivieren, denn die Kunden sollen „kaufen oder krepieren„.
Am Ende von „The Wolf of Wall Street“ steht Leonardo DiCaprio alias Jordan Belfort vor Menschen, die den zum Verkaufstrainer degradierten Betrüger anhimmeln. Er bittet einige von ihnen, ihm einen Stift zu verkaufen. Wir wissen, dass Belfort ihnen gleich eines verbal einhämmern wird: Erzeuge ein Bedürfnis. Belfort hat das begriffen. Seine Jünger wollen das begreifen. Die zukünftigen Käufer stehen bereit.