„Jedem Furz ein Fackelzug“ – eine Revolutionsschmonzette aus der Ukraine
Von Joris Julius-Sabinus // 18. März 2014 // // Keine Kommentare
Oberstes Gesetz ist, dass sie um keinen Preis zu dem Ihren kommen, und daran gerade sollen sie lachend ihr Genüge haben. — Horkheimer/Adorno
Man muss sich wohl von dem Gedanken lösen, dass Revolution etwas mit Glück und Freiheit zu tun hat. Sie manifestiert sich vor allem in Lärm und in Bildern. Diese übertönen sowohl die Zweifel der freudlos Mitmachenden an dem, was sie tun, und beweisen denjenigen, die nicht mitmachen wollen, dass sie sich zu ducken haben. Schmunzeln dürfen sie dabei aber freilich.
Die einseitige Berichterstattung über den Mordsgaudi in der Ukraine begann in der BILD-Zeitung am 20.2.2014 mit dem dickgedrucktem „Die Welt darf nicht zusehen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet.“ Die Aufforderung zum Mittun ist obligatorisch. Wer Glück hat, bekommt bloß freundlich-spöttisch eine Bierflasche in die Hand gedrückt. Wer jedoch Pech hat, wird von denjenigen, die sich selbst für lustig halten, wegen eines falschen Gesichtsausdrucks oder fehlender Verkleidung als Spielverderber zur Ordnung gerufen. So verharren tagelang die Sicherheitskräfte von Wiktor Janukowytsch in einer Schildkrötenstarre und werden mit allem beworfen, was sich so finden lässt. Berichtet wird darüber nicht. Im Gegenteil, Paul Ronzheimer vom Qualitätsmedium mit vier Buchstaben kommentiert die Ereignisse wie folgt: „Es ist das eingetreten, wovor Vitali Klitschko alle immer gewarnt hatte: Ein Blutbad, angeordnet vom ukrainischen Präsidenten.“ Ein merkwürdiger Euphemismus, die Bemühungen der ukrainischen Polizei zu beschreiben, das Territorium der Protestierenden zu begrenzen, während sie von einem Bulldozer attackiert werden. Überhaupt scheint es allen ums Dabeisein und Mitmachen, nicht um irgendwelche Inhalte, zu gehen. Die Zugehörigkeit zum Kollektiv als solche wird genossen und als Spaß verbucht. Daher die Begeisterung für seltsam bürokratische Verrichtungen, für Bräuche, die im ausgehenden 18. Jahrhundert at toc erfunden wurden, bereits im 19.Jahrhundert zur Pappnase degradierten und auch so von Karl Marx in seiner Schrift über den 18.Brumaire ihre Erfassung fanden.
Der Preis dafür, dass derjenige, der kein Geld hat, eine Zeit lang unbesorgt mittrinken und -morden darf, um danach wieder in die Geldnot entlassen zu werden, ist die Verpflichtung darauf, sich nicht so anzustellen und das Elend des Alltags zu vergessen. Dabei ist selbst die temporäre Befreiung von Ware und Geld, die von den Heilsbringern in Aussicht gestellt wird, keine: Karneval und Alltag, die dem Selbstverständnis der Jecken nach einander so entgegengesetzt sind, gehen nahtlos ineinander über. Die Suspension vom Denken wird von manchen Karnevalisten als Befreiung beschrieben und so schauten die Politiker dem Volk aufs Maul als sie am Freitag, den 14.Juni 2013 in weniger als einer Minute das Auskunftsrecht für Bürger aus den Angeln hoben. In ihrer Sitcom beschloss die Allparteien-Koalition aus Union, SPD, FDP, Grüne und Linke, dass die Öffentlichkeit fortan kein grundsätzliches Einsichtsrecht mehr in Akten des Bundesrechnungshofs hat. Für Bürger und Journalisten sind nun ausgerechnet Prüfberichte jener Behörde tabu, die Transparenz beim Staat und in der Politik schaffen soll.
Der politische Humor der Karnevalssitzungen ist nach wie vor einer des rebellierenden Konformismus. Wenn die Büttenredner gerade einmal keine Zoten reißen, dann verkünden sie das, was ohnehin alle denken, im Tonfall des Tabubrechers, der es denen da oben einmal so richtig zeigt. Ihr Theoretiker ist ein gewisser Gene Sharp. Mit seinem Buch „von der Diktatur zur Demokratie“ legte er einen Leitfaden für bildertaugliches Franchise-Befreien vor. Es fällt auf, dass die Disziplin, ja die Identifikation von Gewaltfreiheit mit Disziplin, bei Sharp eine große Rolle spielt. Gewaltfreie Aktion, von Sharp bereits in „political defiance“ (politische Herausforderung) umbenannt, wird zu einer großangelegten disziplinierten und geplanten Organisation, die mit Spontaneität so wenig wie möglich zu tun hat. Je direkter die gewaltfreie Aktion mit konventionellem Krieg verglichen wird, je mehr Disziplin und Strategie eingefordert wird, je mehr ihr jede unkalkulierbare und unüberschaubare Dimension abgesprochen wird, desto kompatibler wird sie für Strategien des „Regime Change“. Die armen Jecken, die sich für selbstbestimmt halten, sie wissen gar nicht mehr, was sie tun. Doch der Karneval endet, wie es ihm entspricht, mit einem weiteren fröhlichen Fackelmarsch und der Verbrennung eines Sündenbockes, eines „Nubbel“.
Der Westen verurteilt lieber Russland und hat Verständnis für groben Unfug. Geläufig ist das Entgegenkommen gegenüber „freiheitsliebenden“ Oligarchen und die Rechtfertigung ihrer Taten, die aus sozialer Deprivation, ungebrochenem Gerechtigkeitsgefühl, nicht zu vergessen Verzweiflung erklärt werden. Die westlichen Medien behandeln Russland, als ob diese eine autistische Welt sei, pathologisch infantil, ein verzweifelter Fall. Dass dieses Spiel trotzdem funktioniert, hatte bis vor kurzem seinen Grund wohl darin, dass beide Parteien dieses Spiel augenzwinkernd betreiben: beide wussten, dass es so nicht gemeint ist und nur deswegen inszeniert wird, um der Kritik auszuweichen. Nun fällt der Westen hinter dieses Reflexionsniveau zurück. John Kerry bleibt der Form halber der Posse treu: „It´s really 19th century behavoir in the 21st century… You just don´t invade other countries on phony pretext in order to assert your interests.“
Spätestens seit Sigmund Freuds Aufsatz über den Humor wissen wir, dass jedem Witz ein gewisser Ernst innewohnt. Nur kann der im Raum des Witzes völlig verschwinden. Der mögliche Ernst hinter dem ukrainischen Witz ist, dass Russlands Börse mit der Eröffnung einer eigenen Edelmetallbörse nicht nur einen Kontrapunkt zum Handelsmonopol der westlichen Welt setzt, sondern in erster Linie der eigenen Bevölkerung den Zugang zum tatsächlichen Besitz an Edelmetallen eröffnet. Dadurch entsteht ein neuer Liquiditätsschub, denn das Land produziert nicht nur Gold und Silber, sondern immerhin auch über 40% der weltweiten Palladiumförderung und ist der zweitgrößte Platinproduzent der Welt. Bereits 1996 formulierte Ernst Lohoff im Auftrag der PDS-Bundestagsgruppe ein entsprechendes Papier was uns mit der EU erwartet: „Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß dieser Versuch, durch die Festsetzung recht strikter geldpolitischer Kriterien Stabilität zu simulieren, nun an sich selber zu scheitern droht. Inzwischen ist offensichtlich geworden, dass kein Land außer Luxemburg alle Konvergenzkriterien wird erfüllen können. Insbesondere das Budgetdefizit- und das Schuldenkriterium erweist sich trotz aller statistischen Verschleierungen als unüberwindbare Hürde. Die europäischen Regierungen sind dadurch in einen Zwiespalt geraten. Lassen sie die selbst gesetzten Stabilitätsmaßstäbe einfach fallen, oder beginnen sie, sie aufzuweichen, so ist eine Absetzbewegung aus dem Euro an den Finanzmärkten fest vorprogrammiert, die nicht nur die EWU scheitern lassen, sondern die europäische Wirtschaft in den Abgrund stoßen würde.“ Daraus resultiert, dass „Auch in Spanien, Frankreich oder Italien Demagogen Gewehr bei Fuß stehen , denen es nicht schwer fallen dürfte, die Schuld an Arbeitslosigkeit und Hungerlöhnen bei den Deutschen und ihrem Einfluß auf die gesamteuropäischen Institutionen (vor allem die EZB) und bei der Brüsseler Zentrale zu finden. Wenn sich diese Tendenzen im Zuge der europäischen Vereinigungskrise zuspitzen und heftigere Formen annehmen, könnten sie den Zusammenhalt nicht nur der EWU, sondern Europas überhaupt sprengen.“
Um ernst zu bleiben: Es geht in der Ukraine nicht um das Niederringen einer „Weltgefahr“ oder „Freiheit“. Es wird keine „Befreiung“ der Ukrainer durch die USA oder die EU geben, sondern genau wie in Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Nordafrika und anderswo nur die Auswechslung eines Regimes durch ein anderes, willfährigeres. Soweit so doppelgesichtig. Nachdem man Russland nun in den Vorgarten geschissen hat, gibt man sich erstaunt und „besorgt“, dass dieses Russland sich nicht gleich selbst zur geopolitischen Sanitäranlage erklärt. Die westlichen Medien nehmen dabei die typische Haltung des unwahren Sektenbewusstseins an: Jede Position, die eine manipulierbare und organisatorisch einzäunbare Masse überschreitet, wird als Gefahr behandelt. Sie berichten nicht um, sondern gegen die Verhältnisse als solche, weil diese nicht immer nach der Pfeife tanzen und betreiben eine destruktive Politik der self-fulfilling-prophecy, um die unliebsame Bevölkerung gerade so zu identifizieren, wie man sie unbedingt haben will, um sie insgesamt von produktiv-kritischer Einmischung abzuhalten. Der globale Kontrollanspruch der NATO-Nationen soll auch unter Bruch der eigenen legitimatorischen Grundlagen (Uno, Völkerrecht) auf Biegen und Brechen ebenso aufrecht erhalten werden wie der Fluss der Kapitalströme. Einige subalterne Regierungen, wie die deutsche, schrecken dagegen sanft und eher unbestimmt vor möglichen unbeherrschbaren Konsequenzen zurück, gerade auch, weil sie selbst nicht eigenständig militärisch handlungsfähig sind.
Währenddessen wohnen wir der Entwicklung eines neuen Filmgenres bei – der Revolutionsschmonzette. Ihre Verwandschaft zur romantischen Komödie kann sie nur schwer verbergen.