In Sarmatien

Von  //  22. März 2014  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Keine Hand für einen Deutschen. Ein Dokumentarfilm von Volker Koepp.

Eine Kreuzworträtselfrage lautet: „Alter Name für das Land zwischen Weichsel und Wolga?“ Ich kenne die Antwort von meiner Oma. Sarmatien bezeichnet nach einer anderen Alliteration das Gebiet zwischen Donau und Don. Weitere Bruchstücke meines Kreuzworträtselwissens: Herodot hielt die Sarmaten für Nachfahren der Amazonen. Sarmatische Reiter standen in römischen Diensten. Man nimmt eine Sammelbezeichnung an. Stammeskonföderationen wurden als „sarmatische“ Verbände (Panzerreiter/ gepanzerte Lanzenreiter/ Völkerwanderer/ (iranische) Hirtenvölker) wahrgenommen. In Thüringen sollen Sarmaten fast schon im Nachhall ihrer Geschichte ein Königreich gegründet haben, das im fränkischen Reich aufging. Behauptet wird, dass die Merowinger selbst von Sarmaten abstammen, folglich gar keine Germanen waren, die als Franken dann von sich reden machten.

Volker Koepp bereiste Sarmatien wie es sich gliedert. Moldawien, Weißrussland, Litauen und die Ukraine liegen auf der Strecke. Der Ausflug beginnt im Kurischen Haff an der vereisten Ostseeküste. Die Landschaft und ihr Meer liefern Europa Traumbilder. Eine Gewährsfrau erinnert sich an Klassenfahrten zur Memel „noch zu Sowjetzeiten“. Am Strand erzählt sie von einem stummen Fährmann. Das klingt märchenhaft, die Kamera setzt den Betrachter in ein Boot. Der Fluss sieht aus als führte er sein Wasser und alles mit ihm in eine Unterwelt.

Koepp könnte sich auf Thomas Mann in der Sommerfrische berufen. Er beruft sich lieber auf den ostpreußischen Dichter Johannes Bobrowski (1917 – 1965), der Sarmatien mit der Seele suchte und dessen spätes Debüt „Sarmatische Zeit“ heißt. Bobrowski war ein Vertriebener, ohne Revanchist zu sein. Aus der Kriegsgefangenschaft kam er (im Jargon seines Staates als Umsiedler) in die Hauptstadt der DDR. Die Mark Brandenburg erschien ihm unerheblich im Vergleich mit dem Memelland seiner Herkunft: „Ein Hof so groß wie ein ganzes märkisches Dorf“.

Bobrowski sah „Ebenen im riesigen Schlaf“, wenn er an seine erste Heimat dachte. Er bestimmte Sarmatien in einem geografisch überschießenden Bogen: (das ehemalige) Ost- und Westpreußen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland, Russland und Schweden. Diesen Raum bevölkerten (historisch) neben anderen Preußen, Polen, Russen, Deutsche, Kuren und Litauer. Koepp folgt den polyphonen Spuren, die Gegenwart zieht sich vor den Mythen zurück. „Das ist hier schon typisch Galizien“, verkündet eine Schönheit unter einem wild bewölkten Himmel.

Kornkammerspiele.

Die Puszta-Galgen über Brunnen.

Ähren und Locken in einer Landschaft der Habsburger. Lauter Schönheiten sind des Reisenden Pfadfinderinnen.

Koepp erreicht Czernowitz an der Pruth. War einmal auch rumänisch und dann eine Stadt der UdSSR. Jetzt liegt sie in der Ukraine. Paul Celan wurde in Czernowitz geboren. Die jüdische Diaspora in der Bukowina bekommt die Stimme von Frau Zuckermann: „Dass ich einem Deutschen die Hand reichen könnte, niemals.“

Koepp erkennt in Sarmatien den Schauplatz des größten Grauens im 20. Jahrhundert. Er führt Stalins mörderische Neuordnung der Landwirtschaft in der Ukraine anfangs der 1930er Jahre an – und die Vernichtung der Juden in Weißrussland im Zuge der deutschen Endlösung. Mehr als ein Viertel der weißrussischen Bevölkerung fiel der Wehrmacht und der SS zum Opfer.

D 2013, Regie: Volker Koepp


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