Short Bus #009
Von Redaktion // 31. Januar 2014 // Tagged: featured, short bus // 1 Kommentar
Ein Herz voll Musik // Robert A. Stemmle, 1955
Der Film fängt blendend an, rasant und spritzig. Vico Torriani als Eishockeyspieler, Bob- und Skifahrer, der sich sogar auf Skiern von Pferden ziehen lässt. Boy Gobert etepetete als Zuschauer im Fohlenpelz. Eine aus einem Eisblock geschnittene Draußen-Bar am Abend. Die großzügig gleitende, homogene, wie von Kronleuchtern erstrahlende Musik des Streichorchesters Mantovani umarmt die ritualisierten Sexsimulationen eines eiskunstlaufenden Paares. Mit erstaunlich schöner, warmer, anschmiegsamer, glitzernder Stimme bringt Torriani der Tochter des Glöckners und Uhrmachers von St. Moritz ein Ständchen (! hübsches Wort :-)): „Das, was darunter ist, das wird so gern geküsst, und zwar von mir, nur, nur von mir!“ Er meint nicht – was noch schöner wäre – ihr Kleid, sondern den neuen Frühjahrshut: „Der kleine bunte Hut, und was sich drunter tut, gehört nur mir, nur mir, nur mir, nur mir, nur mir!“ Plötzlich versteht man, warum die Dinge hier so wichtig sind – die geile Innenarchitektur mit ihren parabolischen Rundungen und gedehnten Rauten, die konsequent mild taubenblaue Herrenoberbekleidung, die kompletten Kostümchen, sie sind, unter der Oberfläche, alle prall gefüllt mit Sex; das Herz ist voll Musik. (Silvia Szymanski)
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We Are What We Are // Jim Mickle, 2013
Die Familie Parker lebt in einem abgelegenem Haus im vom Arbeitslosigkeit gebeutelten Niemandsland. An einem schicksalhaften Freitag sorgen schwere Regenfälle nicht nur dafür, daß die Mutter bei einem tragischem Unfall verstirbt, auch das finstere Familiengeheimnis scheint hervorgespült zu werden…
Zunächst war ich ja skeptisch, das urbane Grauen einer Slumgegend in Mexiko City, die beim Original (welches von Eckhard hier und von mir dort besprochen wurde) eines der eindrucksvollsten Bestandteile war, in der US-Version durch das altbekannte amerikanische Hinterland ersetzt zu finden, doch der Film schafft es trotzdem, durch zusätzliche Veränderungen in Story, Plot, Stimmung und Figuren eines der Remakes zu sein, denen man durchaus eine Berechtigung zusprechen kann, es ist stellenweise in der Tat ein ganz anderer Film. Die sorgfältige Inszenierung sorgt für ausreichend Atmosphäre, an den Darstellern gibt es nichts auszusetzen, bis, ja, bis das Ende kommt, das den Anschein erweckt, der gute Eindruck, den die eher Richtung Drama tendierenden ersten 90 Minuten gemacht haben, wäre den Machern jetzt ganz egal, dem Thema gemäß muß das ja schließlich ein Horrorfilm wie Tausend andere zuvor sein. Ein bißchen so, als würde man zum Essen eingeladen, erfreut sich an schmackhaften und reichhaltigen Speisen und bekommt zum Nachtisch dann ein Schüsselchen bereits Verdautes vorgesetzt. Dann doch lieber das mexikanische Original, das sich immerhin treu bleibt und seine Figuren nicht für ein bißchen Kirmesgeld verrät. (Alex Klotz)
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The Bees // Alfredo Zacarias, 1978
Mexiko/USA-Mörderbienen von Alfredo Zacarias (in der Filmgeschichte primär ignoriert als Regisseur vieler Filme mit dem Komiker Capulina, aber auch verantwortlich für DEMONOID). Ich bin zwar sicher, dass die dF („Operation Todesstachel“) noch mehr Spaß machen würde, aber auch in der eF geht das in Ordnung („I know you no like devil bee!“). Die Bienenforscher John Saxon (als „John Norman“ – WTF?) und John Carradine (als „Dr. Sigmund Hummel“ – WTF! – mit missratenem deutschen Akzent) mäandern durch eine Reihe unterschwellig absurder Dialogszenen und Actionmomente, die man in einem affectionate spoof kaum schlechter machen könnte.
Was aber an der Oberfläche schlicht ein liebenswert missratenes C-Movie zu sein scheint, mitsamt vertrauter Stock Footage und rührenden Spezialeffekten, und nur durch einen kompletten Mangel an visuellem Gespür behindert, könnte tatsächlich subtiler sein: Gerüchteweise hätte ursprünglich Jack Hill Buch und Regie übernehmen sollen, aber New World überlegte es sich anders. Einige Einfälle des Scripts (siehe die Namen der Protagonisten, „Are you saying that this chemical of yours will turn the male bees into homosexuals? Hahahahaha!“) könnten Indiz dafür sein, dass man eine PIRANHA-ähnliche Grundhaltung einnehmen wollte. Und das Ende ist einfach nett. Das Tüpfelchen auf dem I aber ist der Score des obskuren Richard Gillis (der auch das beste an DEMONOID war): Gillis scheint von der These auszugehen, dass THE BEES nur zu retten ist, wenn man ihn auf eine Weise untermalt, die jede emotionale Effekthascherei konterkariert. Ja, zur Totale der brennenden Forschungsstation, aus der eben die Killerbienen entkommen, kann man schon einen mexikanischen Gitarrenakkord mit der emotionalen Botschaft „Nickerchen am Sonntagnachmittag“ kleben, wenn eine Frau von zwei Banditen ausgeraubt wird, improvisieren wir ein lockeres Free Jazz-Saxophonsolo, und ein Vortrag über Kommunikation unter Bienen ist nicht perfekt ohne ein Stummfilmpiano. (Andreas Poletz)
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Die Insel des Dr. Murdock // Tim Schonra, 2013
Bei einer Quizshow gewinnt die 14-jährige Vera eine Reise auf die Insel des Dr. Murdock. Dort ist sie plötzlich eine erwachsene Frau, und muß sich gegen Vampire, Zombies und den aufdringlichen Gundolf wehren…
Mit „gewolltem Trash“ kann man mich ja mittlerweile jagen, die Filme von Tim Schonra haben aber immerhin noch einige sympathisch bescheuerte Ideen zu bieten und auch der Sprachduktus der Darsteller ist tatsächlich witzig und erinnert in seiner grotesken Vermischung von Alltagsleben und Genrevokabular an Helge Schneider und Eugen Egner. Die Gags mit der absichtlich schlechten Kameraführung nerven auf Dauer allerdings ein wenig und könnte man sein lassen, daß das hier „No Budget“ ist, kriegt man schon deutlich genug mit und muß nicht auch noch auf der Meta-Ebene betont werden. (Alex Klotz)
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Hilly Kristal hat zwar schon einige Pleiten und Schuldenhaufen hinter sich, entschließt sich aber trotzdem, einen Club auf der Bowery zu eröffnen, in dem es Country, Bluegrass und Blues-Livemusik zu hören geben soll. Die Bands, die sich bei ihm dann aber vorstellen, machen ganz andere Musik, können sonst in der Stadt nirgendwo auftreten und Hilly denkt sich, die haben schon was und gibt ihnen eine Chance. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf…
Bei Filmen, in denen so viele bekannte Persönlichkeiten auftreten wie hier, achtet man ja albernerweise immer darauf, inwiefern die Darsteller ihrem tatsächlichen Pendant ähnlich sehen. Das ist hier teilweise sehr gut gelungen – David Byrne, Joey Ramone, selbst Rupert „Ron Weasley“ Grinty als Dead Boys-Gitarrist Cheetah Chrome passen, nur Debbie Harry sieht gar nicht wie Debbie Harry aus, aber sie ist eh einzigartig. Abgesehen von der Ähnlichkeitsdiskussion machen die Darsteller hier schon einen guten Job, vor allem Alan Rickman in der Hauptrolle. Über ein paar Anachronismen – der Film spielt zu den Anfangszeiten des Clubs, im Hintergrund sind aber häufiger Flyer und Plakate von erst später in Erscheinung getretenen NYHC-Bands wie den Cro-Mags zu sehen – kann man hinwegsehen, denn der Film ist durchaus sympathisch, charmant und unterhaltsam ausgefallen. Andererseits arbeitet er sich aber ein wenig zu brav an den üblichen Parametern leicht verklärender Biopics ab, was schon ein wenig in Diskrepanz zu den radikalen musikalischen Innovationen steht, von denen er berichtet. Kann man schon kucken, aber wer dieses Jahr nur ein Punkrock-Retro-Biopic sehen will, sollte sich lieber für Good Vibrations entscheiden. (Alex Klotz)
Der Film ist bereits als Video on Demand bei z.B. dem US-Store von iTunes erhältlich, ob und wann er hierzulande auf DVD erscheint, oder gar ins Kino kommt, ist noch unklar. In der Zwischenzeit sollte man sich die erste Dead Boys ins Regal stellen, wenn man die noch nicht hat.
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