Domino
Von Jamal Tuschick // 28. Januar 2014 // Tagged: Deutsches Kino, featured, Thomas Brasch // 1 Kommentar
In aller Ruhe abgeschminkt. Thomas Brasch erklärt in „Domino“ (1982) den Berliner Weg in die Südsee der Arbeitslosen.
„Domino ist ein Legespiel mit rechteckigen Spielsteinen. Nach der höchsten Augenzahl im Spiel unterscheidet man Doppel-6er, Doppel-9er, Doppel-12er, Doppel-15er und Doppel-18er Dominosets.“ Zitiert nach Wikipedia
„Wirklich Kunst machen kann man erst in einer Gesellschaft, in der es den Warencharakter von Kunst nicht mehr gibt. Wo es uninteressant ist, wie viele Leute in einen Film gehen.“
Das notiert Thomas Brasch zu „Domino“. Der Film entsteht unter einer dünnen Ausstattungsdecke. Brasch dreht viel in seiner Wohnung, er dreht mit seiner Katharina. Die Schauspielerin spielt eine Schauspielerin. Lisa ist zudem Tochter einer Schauspielerin. – Großgeworden mit der Darstellung geforderter Empfindungen. (Die Person als Einladung, sich in ihr auszubreiten als fremder Text.)
Der Film fängt am Ende eines Jahres an. Feiertage müssen überlebt werden. Lisas Liste der Verabredungen und anderer Verkürzungen der Zwischenzeit ist kurz. Am 23. Dezember wird Lisa „die Leute besuchen, die mich (nach dem Tod der Mutter) aufgezogen haben.“ Für den Siebenundzwanzigsten hat sie sich eine Ausstellung vorgenommen. Lisa erwartet das Angebot eines Regisseurs, ohne darauf angewiesen zu sein. Auf dem Weg zur Arbeit in einem erstklassigen Haus scheitert sie am Widerstand der Wohnungstür. Wie in einem Horrorfilm verrücken die Parameter ihres Daseins. Als ob ein Keks krümelt.
Lisa steigt aus dem Fenster. Frost empfängt sie. Berlin im Winter – die Stadt spielt mit. Die Kamera läuft den Kurfürstendamm ab. Die Zeichen des westdeutschen Wohlstands werden wie Trophäen und Fetische kassiert. Das Schillertheater überstrahlt die Nacht. Mir kommt das so vor, als liefe Brasch ständig gegen die Mauer. Sie trennt ihn von seinem Material. „Leben im Material“ (Heiner Müller) – das ist für Brasch Geschichte. Die falsche Seite der Welt liegt ihm zu Füßen. Er dreht in dem maroden, vom Verfall bedrohten Hebbel Theater. Eingestellt ist der Spielbetrieb, in der Konsequenz einer Insolvenz. Brasch nutzt die Kulissenchancen. Den Budenzauber enormer Leere. Sein Personal geht auf der Bühne verloren. Es marodiert auf geräumten Rängen. Es wälzt sich auf dem Weiß der Schonbezüge.
Das Theater wird zum Schloss (zu einem idealen/imaginären Ort), wenn Lisa mit Regisseur Lehrter (Bernhard Wicki) streitet. Lehrter bietet ihr die Rolle der Stella an. Er hätte beinah einmal mit Lisas Mutter in der Titelrolle „Stella“ inszeniert. Klar, dass er was mit Mutter hatte. Lehrter provoziert Lisa zu einer Vaterprojektion. Seine antifaschistische Vergangenheit garantierte seinen Dämonen lange Carte blanche. Noch dominiert er eine Elevin mit Geringschätzung. Die Geringschätzung scheint jedoch nichts mehr zu wiegen in den Abwägungen der Abgeschätzten. Lehrters Wirkung gehört der Vergangenheit. Trotzdem hat der junge Theaterschriftsteller (Klaus Pohl), den Lisa aufnimmt, keine Zukunft. Lisa schreit: „Schon klar, der alte Antifaschist und der Junge mit ’ner neuen Ästhetik unterm Arm. Versteht ihr denn nicht? Das Alte geht nicht mehr und das Neue auch nicht.“
Der Dramatiker heißt Brunke nach einem Lieblingsgegenstand von Brasch. Er bereist die Republik in der Bahn, unfähig zu schreiben, ohne fortzukommen. Er übertreibt, um zu gefallen. Einmal findet Lisa ihn mit zwei Huren, die Brunke mit Geld seiner Wohltäterin angelockt hat. Lisa nimmt die Huren auf, sie lädt den Telegrammboten zum Kaffee ein, und verführt den Freund ihrer Freundin. Katharina Thalbach sitzt dann auf dem intellektuellen Adonis Hanns Zischler.
Lehrter setzt Lisa zu, er wirft ihr vor, sich hinter Gewohnheiten zu verstecken. Obwohl Stella mit Gewohnheiten brechen würde. Der Regisseur wütet vergeblich. Lisa erlebt seine seelische Impotenz, sie kündet ihm und ihrem Theater. Sie geht in der Vorstellung und erzählt Details der Inszenierung ihres Abgangs einem Zaungast vom Strich. In aller Ruhe abgeschminkt habe sie sich, bevor sie ganz langsam aus dem Haus gegangen sei. Der Zuschauer kann das bezeugen.
Lehrter begeht Selbstmord. Seine Karriere stand auf dem Sockel der Behauptung, „nach diesem (dem 2. Welt-) Krieg“ (sei) „keine Kunst mehr möglich“. (Keine Gedichte nach Auschwitz.)
Katharina Thalbach spielt lange tapfer mit Pulswärmern. Doch dann gerät ihr Schwung in die Verlangsamung. Sie taumelt in die Neujahrsnacht. Sie spielt alldieweil mit Dominosteinen, schließlich weiß ich auch warum. Die Steine führen die Arbeitslosen von Berlin unter eine Brücke und weiter in ein Lager voller naturlyrischer Allusionen. Angeblich haben die Arbeitslosen eine Zukunft in der Südsee. Da will Lisa nicht hin. Jetzt könnte sie das Motto des Films zitieren: „Es gibt im Leben eine Zeit, / wo es sich auffallend verlangsamt, / als zögerte es weiterzugehen / oder wollte seine Richtung ändern. / Es mag sein, daß einem in dieser Zeit / leichter ein Unglück zustößt.“ Robert Musil
BRD 1982, Regie: Thomas Brasch
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