Der Teufel mit der weißen Weste
Von Jamal Tuschick // 7. Januar 2014 // Tagged: featured, französischer Film, Italien, Jean-Pierre Melville // Keine Kommentare
Silien spielt sein Spiel – Devote Halbnacktmodelle pinseln Verbrecher den Bauch.
Die Jean-Pierre Melville-Woche geht in die Verlängerung wegen steigender Nachfrage.
„Der Teufel mit der weißen Weste“, ein Schwarzweiß-Melville aus dem Jahr 1962, heißt im Original „Le Doulos“. Der Titel findet eine Erläuterung: „Doulos est le nom que l’on donne a celui‚ qui en porte un … .“ – Hut bezeichnet im Argot den Spitzel. Den Gangster, der mit der Polizei spricht, spielt Jean-Paul Belmondo. Aalglatt spielt er den Teufel an die Wand. Leichen pflastern seinen Weg. Bis zum Schluss weiß man nicht, ob Belmondo der absoluten Gewissenlosigkeit seine Statur leiht oder wie mies dieser Silien eigentlich ist.
Zur Story. Maurice Faugel (Serge Reggiani) kommt zermürbt, aber um Gangsterhaltung bemüht aus dem Gefängnis. Obwohl er schon wieder eine Weile in Freiheit ist, sieht es so aus, als führe ihn sein erster Gang zu einem neuen Verbrechen. Maurice überquert eine Brache in Bahnhofsnähe. Die Züge hören sich an wie Wahnsinnige, die nicht aufhören können im Kreis zu kreischen. Volker Schlöndorff war Regieassistent, solche kleinen Hypertrophien, die viel mehr mit Literatur zu tun haben als mit Kino, hat Schlöndorff von Melville gelernt.
Man könnte über Melvilles Motti promovieren. Hier lautet die Hausaufgabe „Il faut choisir. Mourir … Ou mentir?“ – Man hat die Wahl. Sterben oder lügen? Maurice wiederholt das Wort im Gespräch mit dem Hehler Gilbert (René Lefèvre). Er arrangiert sich im Bogart’schen Trenchcoat zwischen zerbrochenen Spiegeln und afrikanischen Masken. Die traurigen Tropen grüßen mit Claude Lévi-Strauss und den Tapeten mit Pablo Picasso- und Paul Gauguin-Motiven.
Gilbert sieht aus wie Gert Fröbe als Jazzdichter. Es ist die Zeit der kerzenhaltenden Weinflaschen mit den Wachsmanschetten. Der Fachmann zerlegt Fassungen. Er trennt Steine von Ringen. Er verdächtigt Silien, dem Maurice vertraut.
Gilbert erwartet besseren Besuch, Maurice möchte den Herrschaften Nuttheccio (Michel Piccoli) und Armand (Jacques De Leon) jedoch nicht begegnen. Sobald man Michel Piccoli zum ersten Mal in seinem Nachtclub auf der Treppe zum Hinterzimmer erlebt, versteht man Maurice’ allergische Reserve. Maurice ist der kleine Mann unter Verbrechern, Nuttheccio ein Aristokrat.
Maurice erschießt Gilbert und raubt ihn aus. Er wird sich zum Vorgang noch sentimental äußern. Die Sore vergräbt er unter einer Laterne. Später graben andere Hände sie wieder aus. Das ist schon alles sehr filmreif. Bald darauf scheitert Maurice als Einbrecher, die Polizei erreicht den Tatort wie gerufen. Sollte Silien?
Misstrauisch beobachten wir Silien im Gespräch mit einem misanthropischen Maigret. Die Wohngemeinschaft hat eine Wohngemeinschaft aus der Nachbarschaft zu Besuch. Plötzlich wollen alle gemeinschaftlich Melville in Schwarzweiß gucken, als sei die DDR wieder ausgebrochen. Selbst Baby Paul kräht im Quartett.
Jemand stellt den Film auf Pause, um die Nudelfrage zu klären. Nudeln sind klar, gibt eh nichts anderes, doch welche Soße? Auf jeden Fall avec l’ail en chemise – Knoblauch im Hemd. Eine Gemeinschaft, die knollenweise Knoblauch verzehrt, kann sich nicht gegen sich selbst verschwören. Sartre so ungefähr. Wir werden immer existenzialistisch in unseren Pullovern. Dazu John Coltrane, der Jahrgang passt.
Maurice wohnt schick und schön ist seine Geliebte. Thérèse (Monique Hennessy) belegt ihm gehorsam das Baguette. Von Monique Hennessy hat man später nichts mehr gehört, im „Teufel mit der weißen Weste“ landet sie auf einer Deponie. Silien befördert sie geradezu fürsorglich. Sie macht ihm aber auch viel zu einladend die Tür auf. Zweifellos mit weitgespannten Erwartungen. Da wurde eine Paarung mit dem Raubtier ins Auge gefasst. Es gab dann aber nur Folter und Tod.
Silien bleibt eiskalt. Maurice wird von einer Kugel erwischt und vom Veterinär ohne Approbation geflickt. Sein Vertrauen in Silien schwindet. Unseres taucht zum Nullpunkt. Diesem Silien ist nicht zu trauen, selbst wenn er zu Freundschaft fähig sein sollte. Stellt sich die Frage, mit wem will er befreundet sein? Sicher nicht mit der dunklen Clubschönheit, die mal mit ihm und nun mit Nuttheccio. Fabienne (Fabienne Dali) liebt Belmondo immer noch. Das verraten ihre vibrierenden Nüstern. Auch Michel Piccoli zeigt seine innere Anspannung minimalistisch an. Der Anzug avanciert zum Darsteller. Wie Piccoli die Hände in den Hosentaschen verstaut, das hat Größe und Stil.
Silien verspricht Fabienne das Blau des Himmels für einen Meineid. Sie schmachtet in der Art von Gina Lollobrigida. Ihre Ergebenheit kennt keine Grenzen. Silien spielt sein Spiel.
OT: Le doulos, Frankreich/Italien 1962, Regie: Jean-Pierre Melville
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