Tore tanzt
Von Jamal Tuschick // 27. Dezember 2013 // Tagged: Deutsches Kino, featured // 1 Kommentar
Bestie Mensch. Tore tanzt nicht mehr – In Katrin Gebbes Spielfilmdebüt wird ein Mensch am Spieß der Gewöhnlichkeit gebraten.
Der Film passiert die Stationen Glaube Liebe Hoffnung. So heißt ein Drama von Ödön von Horváth. Der Horváth-Titel zitiert die Bibel. Ob in „Tore tanzt“ oder bei Horváth: in jedem Fall geht es um eine unwahrscheinliche Kraft, die allmählich von einer profanen Opposition zu Boden gedrückt wird. Die unwahrscheinliche Kraft kommt aus Glaube, Liebe, Hoffnung. Tore (Julius Feldmeier) spricht mit Jesus wie mit einem überlegenen Freund. Er lebt in Erwartung von Zeichen und Prüfungen – ein großes Kind in einer wüsten Welt.
Tore tappt im Tross exzessorientierter „Jesus Freaks“ mit. Das sind religiöse Punks. Alle Grundsätze dienen allein ihrer Verwerfung. Nur Tore besteht töricht auf die Reinheitsgebote des Vereins.
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„Das seh ich schon ein, dass es ungerecht zugehen muss, weil halt die Menschen keine Menschen sind – aber es könnt doch auch ein bisschen weniger ungerecht zugehen.“ Aus „Glaube Liebe Hoffnung“
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Ab und zu kriegt Tore einen Anfall, dann kehrt der heilige Geist bei ihm mit eisernem Besen. Das kümmert keinen, wenn Tore abdreht. Die Jesus Freaks tanzen weiter. Sie predigen Elbwasser und trinken Astra. Ihr Jesus ist auf jeden Fall Hamburger.
Benno (Sascha Alexander Gersak) gabelt Tore auf, Tore hält ihn für einen Gesandten des Herrn.
Benno ist ein Schrebergartengangster, eine periphere Erscheinung und der komplexeste Charakter im Film. Er geht über jede Einladung einen halben Schritt hinaus. Mehr nicht. Seine Devise lautet: Gucken, was geht. Gucken, was kommt. Was so vom Laster fällt. Die Skizzen seiner Freundschaften sind zeitgenössische Zille-Zeichnungen. Sie zeigen die zurückgelehnte Art des gewaltbereiten Gärtners.
Auf den Nebenstrecken des Films läuft manches genial ab. Das Anschneiden von Typen jenseits der Bürgerlichkeit, aber nicht außerhalb der Gesellschaft. Bolle mit Kutte und Zopf. Das sind Männer mit einem Blick für die Engpässe im Leben anderer Leute. Sie haben ein Gespür für Notzuchtgelegenheiten. Sie sind exakt da, wo Gemeinheit Not tut.
Diese Subkultur wirkt vital. Der Zufall hat Benno eine Art Familie in die Laube gespült. Die Rede ist von einer Frau mit zwei Kindern, hängengeblieben auf dem absteigenden Ast an einem Abstauber. Kaum zu erkennen: die Verbindungen zwischen Benno und Astrid (Annika Kuhl). Von Liebe keine Spur. Es entlarvt sich aber ein Einverständnis bis zur Komplizenschaft. Benno missbraucht Astrids Tochter Samy (Swantje Kohlhof) mehr oder weniger vor den Augen der Mutter.
Er nimmt Tore auf und bringt ihn in einem Zelt unter. Man ahnt eine Bereitschaft zur Kumpanei bei Benno. Tores unirdisches Wesen passt nicht dazu. Sein caritativer Hammer suggeriert Unterwürfigkeit. Seine Seligkeit auf allen Wegen scheint wahnhaft.
Benno nutzt den Jungen aus. Allmählich versklavt er ihn. Benno scheint gar nichts anderes übrig zu bleiben. Tore, und das ist das Uninteressanteste in „Tore tanzt“, will dem Beispiel von Jesus folgen. Er versteht Bennos Pragmatismus und seinen Sadismus als Elemente einer Prüfung.
Tore versteht gar nichts. Er ernährt den Verband mit seinem Hartz IV. Er schafft schließlich in einem SM-Club an, von Benno an die Leine gelegt. Im ausgebauten Gartenhaus hat Tore keine Rechte mehr. Er hungert und verwahrlost auf der grünen Wiese, und könnte sich doch jederzeit absetzen.
Die fünfzehnjährige Samy verliebt sich in den mondsüchtigen Schlaks. Sie rettet ihm das Leben, sie wäre bereit, mit Tore gemeinsam gegen Benno anzutreten. Fasziniert studiert sie die Unaufhaltsamkeit eines Niedergangs. Tore driftet wie ein Boot ohne Steuer in sein Nirwana. Er lässt sich und Samy im Stich. Ziemlich zum Schluss, aber immer noch nicht am bitteren Ende, fallen Astrid und eine befreundete Kleingärtnerin über Tore her. Die Frauen schlachten den Jungen. Seine Wehrlosigkeit macht sie rasend.
BRD 2013, Regie: Katrin Gebbe
Ein Kommentar zu "Tore tanzt"
Kein schöner Film, das.