Staudamm

Von  //  20. Dezember 2013  //  Tagged: ,  //  Keine Kommentare

„Staudamm“ reagiert auf den Amoklauf von Winnenden – Regisseur Thomas Sieben verlegt die Tat.

Der Film beginnt mit einer Schelle. Die handelt sich Roman (Friedrich Mücke) aus Liebesmüdigkeit ein. Die Indolenz steckt ihm in den Knochen, sein Leben ist eine müde Angelegenheit. Es findet in München statt als Existenz am Rechner. Nur Dauerläufe unterbrechen die freiwillige Isolation. Sie enden vor einem Kiosk, Roman versorgt sich mit der Tageszeitung. Darin steht bestimmt nichts, was sich nicht schon im Netz verfangen hat. Roman tritt vor die Tür der Bude und zündet sich eine blaue Gauloises an – ein junger Mann im Winter. Zufrieden-verschlafen.

„Staudamm“ protokolliert einen Prozess zunehmender Aufmerksamkeit in den blassen Bildern eines erinnerten Albtraums. Hyperrealistisch zwar, aber farblich verelendet. Der Fortgang der Haupthandlung findet auf Nebenstrecken statt. Sie führen in die Provinz und in eine Nebelwelt.
Der Film reagiert auf den Amoklauf von Winnenden im März 2009. Ein Siebzehnjähriger tötete fünfzehn Menschen, die meisten in seiner Schule. Er beging Selbstmord. Regisseur Thomas Sieben verlegt die Tat in einen bayrischen Ort. Die Überlebenden sind schon länger traumatisiert, als Roman sich im Schneeregen auf sie zu bewegt. Er wirkt entspannt, nicht so gleichgültig wie bei der Auflösung seiner letzten Beziehung. Offenbar fährt er gern im Auto durch die Gegend. Die Wischer flappen über die Scheibe. Das Geräusch appelliert an ein Grundgefühl des Nachkriegsdeutschen durch Generationen. Sauwetter auf der Autobahn and the livin‘ is easy.

Roman handelt im Auftrag von Staatsanwalt Dr. Schadt (Dominic Raacke). Den bedeutenden Mann sieht man nur auf Skype oder hört ihn am Telefon. Eine ferne Autorität, die Roman zur Komplettberuhigung seines grundsätzlich sedierten Zustands gelten lässt. Man ahnt ein Verhältnis wie zwischen Gott und Adam. Gott hört, wenn Roman bloß maulfaul nickt. Roman vertont Akten für den Staatsanwalt, so dass sie dem Vielbeschäftigten als Hörbücher in Zwischenzeiten zur Verfügung stehen. Schadt schickt Roman zur Polizeidienststelle des Tatorts. Er soll Dokumente holen – eine Sache von Stunden, glaubt Roman. In der Dienststelle ergeben sich bürokratische Schwierigkeiten, Roman nimmt eine (und noch eine und noch eine) Aufenthaltsverlängerung spielend hin. Im Kühlschrank der Pension gähnt Leere, Roman lächelt über den Mangel. Jedenfalls ist das die Suggestion: heitere Leere auf der ganzen Linie.

Roman versorgt sich an einer Tankstelle, Laura (Liv Lisa Fries) spricht ihn kühn an. Sie weiß, was den Fremden in ihr Nest führt. Das Nest hat in der Hand eines Riesen Platz genug, es kommen dahin alle nur aus einem Grund.
Laura war dabei, sie hat den Lauf überlebt.
„Wieso hast du überlebt?“ fragt Roman. Seine somnambule Unverfrorenheit nimmt Lisa für ihn ein. Der Münchner verspricht Abwechslung. Mit ihm ist gut kiffen. Man kann ihn auch zur Probe küssen. Deshalb wird er nicht gleich lästig. Ja, Roman hat schon was von einer Romanfigur. Im Gegenzug zeigt Laura ihm die Schule, die zum Tatort wurde. Seither findet sie anderswo statt. Laura steigt nachts ein und fotografiert die Räume und Treppenhäuser in einem Balanceakt zwischen Annahme und Distanzierung. Lieber durch die Kamera sehen als mit eigenen Augen. In etwa so sagt Laura es. Sie bewältigt ihr Trauma mit den ausladenden Bewegungen eines Scheunendreschers. Sie kannte den Amokläufer über die Grade einer Bekanntschaft hinaus. Das will sie nicht einfach zugeben. Das sind hervorragende Stellen im Film: Wenn Laura mit dem Älteren spielt und ihn ködert mit ihrem Wissensvorsprung und zusieht, wie Roman anspringt. Wie sie ihn testet und ihm einen Ring durch die Nase zieht. Zum Schluss steuert sie sein Auto nach München.

Ach so, „Staudamm“ heißt der Film nach der finalen Station des Amokläufers. Am Staudamm endete seine Aussicht auf ein Mädchen wie Laura.

BRD 2013, Regie: Thomas Sieben

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