Ein Abend mit zwei Filmen über Thomas Brasch
Von Jamal Tuschick // 26. Dezember 2013 // Tagged: Thomas Brasch // Keine Kommentare
Vatikanische DDR. Ein Abend mit zwei Filmen über Thomas Brasch.
Die Montagsbar verbirgt sich wie ein Speakeasy zu Prohibitionszeiten in Chicago. Keine Säuferampel zeigt sie an. Zwei anarchistische Schlümpfe verraten vertrauensvoll, durch welches Fenster man einsteigen muss, um an die Bar zu gelangen. Ich wünsche meinen Pfadfindern frohe Weihnachten, das hören sie ungern. Der fromme Wunsch richtet sich gegen ihre schwarz ausgemalten Ansichten.
Der Barmann stellt sofort klar, dass er mehr privat als im Dienst ist. Erst mal eine drehen und sich nach dem Befinden der Kumpel erkundigen.
„Ihr zeigt doch diesen Film“, sage ich zur Erklärung meiner Gegenwart in absichtsvoller Finsternis. Die Avantgarde flackernder Kerzen.
Der Tiger am Tresen antwortet mit dem Namen eines Dichters – Thomas Brasch.
Alle Köpfe drehen sich wie gezogen. Nun habe ich die volle Aufmerksamkeit des Auditoriums. Man will wissen, wie ich damit fertig werde, dass jetzt nicht „Django “ oder dieser neue „Göte fick mir wem ich und egal“ läuft, sondern „Das Wünschen und das Fürchten“. Gleich mehr zum Film.
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Ich habe einen IM. Er war Offizier der Staatsicherheit, ich führe ihn als Willi. Willi sagt, Mielke sei als Einziger im Politbüro gegen Biermanns Ausbürgerung gewesen. Biermann und Brasch kamen der DDR im selben Jahr abhanden. Willi sagt: „Das hatte nüscht miteinander zu tun.“
Hat es auch nicht. Brasch will „eine Erfahrung nicht zweimal machen“. Die Rede ist von amtlicher Freiheitsberaubung. Ihr entgeht Brasch „von Deutschland nach Deutschland“.
1976 verlässt er die DDR. Gemeinsam mit Katharina und Anna Thalbach zieht er von Ost- nach West-Berlin. Auf der Luftlinie hätte ein Vogel nichts zu melden außer Start und Landung.
Brasch sieht sich nicht als Dissident, das betont er. Er kommt in keine bessere Welt nach seinen Begriffen. Er kann in der DDR nicht auf der Höhe seiner Vorstellungen Schriftsteller sein. Das diktiert er am Tag seiner Ankunft im Stil offizieller Verlautbarungen: „Wie mir die zuständigen Staatsorgane der DDR mitgeteilt haben, ist es auf absehbare Zeit nicht möglich, den größten Teil meiner schriftstellerischen Arbeiten in der DDR zu veröffentlichen und zu verbreiten. Dabei handelt es sich neben Stücken und Gedichten vor allem um den Anfang 1977 im Westberliner Rotbuch Verlag erscheinenden Erzählungsband „Vor den Vätern sterben die Söhne”, in dem Erfahrungen mit dem Land beschrieben sind, in dem ich aufgewachsen bin und das mich geprägt hat. Weil für mich öffentliche Auseinandersetzung mit meiner Arbeit lebenswichtig ist, sah ich mich gezwungen, einen Antrag auf Ausreise aus der DDR zu stellen.“
Dazu Heiner Müller. „Die DDR hat(te) eine katholische Struktur und die … (erzwang) eine vatikanische Kulturpolitik.“
Wie hoch der Preis für den Ortsverlust ist, zeigt Georg Stefan Trollers „Annäherung an Thomas Brasch“ aus dem Jahr 1977. Der Vorfilm zum Hauptfilm in der Montagsbar beginnt mit einer Geh-doch-nach-drüben-Debatte auf einem Marktplatz des Stumpfsinns. Dann wird die Grenze am Checkpoint Charlie gezeigt. Beide Szenen sind triste Illustrationen der deutschen Teilung im deutschen Herbst. Brasch will von sich keine Zoobilder an der Grenze, Trollers Kommentare irren zwischen Nachsicht, Unverständnis und Zurechtweisungen: „Brasch sieht uns (Westdeutsche) nicht, er sieht Zerrbilder. Pappkameraden.“
Ich hatte Troller als einen großen alten TV-Mann in Erinnerung. Im Spiegel seiner „Annäherung“ taucht der Grande nicht mehr auf. Troller denunziert Brasch.
Brasch wirkt offen bis zur Selbstgefährdung. Katharina Thalbach sagte der ZEIT vor vielen Jahren: „Thomas … gab anderen Menschen das Gefühl, er würde sich ausschließlich für sie öffnen, dabei öffnete er sie.“
Wenn man will, kann man das sehen in dieser „Annäherung“. Troller verteidigt die Bundesrepublik gegen Brasch in einer provozierten Selbstanzeige.
Christoph Rüters Dokument „Brasch. Das Wünschen und das Fürchten“ zeigt die junge Katharina. Einmal sagt sie in einem Zug ein Gedicht von Rolf-Dieter Brinkmann auf: „Jetzt bin ich aus den Träumen raus, die über eine / Kreuzung wehn. … was krieg ich jetzt, / einen Tag älter, tiefer und tot? / Wer hat gesagt, dass so was Leben / ist? Ich gehe in ein / anderes Blau.“
Brinkmann wurde 1975 in London überfahren, die Auslieferung seiner „Westwärts 1&2“-Gedichte hat er nicht mehr erlebt. Nach fünf totgeschwiegenen Jahren. Günter Grass zu Brasch im Film: „Du wirst feststellen, in der BRD gibt es eine andere Form von Zensur.“
Brinkmann hätte sie Brasch erklären können.
Als Thomas Brasch am 3. November 2001 mit sechsundfünfzig Jahren stirbt
Postum montiert Rüter das aufgelaufene Material. Selbst- & Gespräche. Filmausschnitte.
„Vor den Vätern sterben die Söhne” schlägt ein, es folgt „Kargo“. In einer Besprechung von „Kargo“ und „Vor den Vätern sterben die Söhne“ schreibt Heiner Müller: „Braschs Texte können … in der DDR vielleicht besser arbeiten, der sie schließlich schreiben muss, kann es wahrscheinlich besser (mit mehr Öffentlichkeit gegen weniger Widerstände) dort.“
Man sieht Beobachtungen eines kapriolenden Ich mit der Ego-Kamera. Brasch kriegt den Bayerischen Filmpreis, er bedankt sich bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung. Das Publikum buht, Ministerpräsident Franz-Josef Strauß verdient sich Anerkennung mit der Schlagfertigkeit eines alten Lateiners. In der Montagsbar fordert jemand Untertitel.
Brasch bei „Drei nach Neun“.
Ein gutgelaunter Toni Curtis hält Brasch für einen guten Regisseur. Wer hätte das gedacht.
Und immer wieder der Faschismus, „der keine Sekunde vorbei ist.“ „Wie soll ich sie feiern? Soll ich Menschen feiern, die mit Genickschüssen, Knüppeln, Hunger, Vivisektion, Fleischerhaken und Krematorien gegen wehrlose Menschen vorgingen und Millionen von jüdischen Mitbürgern, ausländischen Juden, antinazistischen Mitbürgern und fremden Geiseln abschlachteten wie Berufsschlächter? Wenn es etwas bewirkte, würde ich diesen Menschen die Zugehörigkeit zu meinem Vaterland absprechen. Aber das wäre Geschwätz. Sie waren Deutsche, wir kommen darum nicht herum.“ Rudolf Krämer-Bodoni, „Die Barbaren waren wir“, Quelle: Stimmenrausch gesch. Marke des Büro für Gute Worte, Literatur- Text- Veranstalter- Presse- Online- Agentur, E-Mail: pfeifer@stimmenrausch.de
Katharina Thalbach zur ZEIT: „Ich denke manchmal, dass die Eltern und die drei Brasch-Söhne an den Folgen des Faschismus gestorben sind. Die Eltern mussten vor den Nazis fliehen. Sie sind in der Emigration zu Kommunisten geworden und sind zurückgekehrt, um voller Eifer den Kommunismus in der DDR aufzubauen. Die Kinder haben nicht das Familienleben bekommen, das sie eigentlich gebraucht hätten. Jeder von ihnen hat seine Einsamkeit mit sich herumtragen müssen. Hinzu kommt, dass das Jüdische in der Familie hartnäckig verdrängt wurde. Die Verdrängung kompensierten sie mit viel Alkohol und einer Art Kampfgeist für den neuen Staat. Im Grunde sind sie daran alle kaputtgegangen.“
Rüters Überlieferungswille richtet sich gegen die Chancen der Komposition. Ich finde es richtig von Rüter, das Material zu türmen und nicht genial sein zu wollen. Er spielt Brasch die Bälle zu, er läuft für den Dichter wie einst Herbert Wimmer für Günter Netzer lief.
Brasch kehrt aus dem Westen zurück. Er bezieht eine Wohnung am Schiffbauerdamm. Die Geschichte klebt an seinen Sohlen wie geheizter Teer. Der Faschismus, die Kadettenanstalt („Die Kadettenschule, auf die er als neunjähriges Kind in Naumburg gehen musste. Über diese Zeit hat er selten gesprochen. Aber das Internat und der Knast, in dem er wegen seines öffentlichen Protests gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 einsaß, sind die wundesten Punkte in seiner Biografie“, Katharina Thalbach) Brecht, Müller, das Berliner Ensemble und „Payman“ Peymann. Brasch lebt in Hörweite des Berliner Ensembles. Man hört ihn randalieren, „Die nennen das Schrei“. (Siehe selbst.)
Brasch duscht in der Öffentlichkeit. Er gibt ein Beispiel.
„Brasch. Das Wünschen und das Fürchten“ (Christoph Rüter, BRD 2011)
„Annäherung an Thomas Brasch“ (Georg Stefan Troller, BRD 1977)
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