Alois Nebel
Von Jamal Tuschick // 31. Dezember 2013 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Penner auf Probe in Prag. Durchgebrannte Birnen der Geschichte – „Alois Nebel“ erzählt von Flucht und Vertreibung der Sudetendeutschen.
Käme Überschwänglichkeit für ihn in Betracht, Alois Nebel würde ein Loblied auf die Vorzüge der Regelmäßigkeit singen. Den Fahrdienstleiter entspannt die Lektüre außer Kurs gesetzter Fahrpläne. Er geizt mit Worten und heizt mit Wodka. Er lebt mit einem Kater in ausreichender Hausgemeinschaft. Sein Arbeitsplatz ist ein Bahnhof im Altvatergebirge. Bílý Potok (Weißbach) lieferte 1945 eine Kulisse für die Vertreibung der Sudetendeutschen. Im Sommer der Filmgegenwart füllt Alois Nebel pedantisch den Kalender für Neunundachtzig.
Der Warschauer Pakt löst sich auf, und ein Mann rennt im Wald von Bílý Potok um sein Leben. Nebel bietet sich als Anagramm für Leben an. Im Nebel macht sich die Landschaft davon. Der Flüchtling passiert eine Grenze. In Polen soll er zum Mörder geworden sein. Er schlägt einem Polizeihund den Schädel ein, Blut tropft von Blättern. Das ist mal kein Zauderer.
Eine Graphic Novel von Jaroslav Rudis und Jaromir Svejdík gibt im Film den Ton an. „Alois Nebel“ erzielt seine besondere Wirkung im Rotoskopie-Verfahren. Tomáš Luňák drehte den Film 2011. Sein Held wird von Erinnerungen heimgesucht. Sie stammen aus dem Speicher des kollektiven Gedächtnis’ von Bílý Potok. Das sind Szenen der Revanche. Sie zeigen Flucht und Vertreibung der Verlierer. Die Tötung Wehrloser. Die Niedertracht der Sieger. Wieder und wieder sieht Alois wie im Nebel sein deutsches Kindermädchen Dorothee in einer erzwungenen Umarmung.
Die nachbarschaftlichen Verbindungen von Tätern und Opfern (in wechselnden Rollen) lassen den stroboskopisch illuminierten/animierten Albtraum Geschichte in Bílý Potok nicht enden. Er webt seine Schleier in die Tristesse Gegenwart. Die Milizionäre von Damals haben die Schieber und Schmuggler im Jetzt hervorgebracht. Man dealt mit den Waffenbrüdern aus der aufbrechenden Sowjetunion. Dann rückt die Rote Armee ab, verabschiedet wie eine Besatzungsmacht. Auf jede Niedertracht wird Schnaps gegossen.
An jedem Geschäft hängt ein Nebengeschäft. Die Virtuosen der Mangelwirtschaft wissen: „Gesoffen, gefressen und gefahren wird immer.“ Die Erzählmanier von „Alois Nebel“ ist so kryptisch, dass jeder seinen eigenen Film sieht. Fest steht, der Fahrdienstleiter verliert seine Arbeit und landet in der Psychiatrie. Da geht es noch stalinistisch-rustikal zur Kur. Der Nomenklatura dient die Klinik als Hinterzimmer. Schön finde ich, wie ein Kader nach zehn Schnaps den elften mit der Begründung verweigert, er müsse noch fahren.
Alois Nebel scheint denunziert worden zu sein. Er trifft den verstummten Grenzgänger und entdeckt bei diesem Patienten ein Foto von Dorothee. Das läuft auf etwas schwer Geheimnisvolles hinaus, der Stumme türmt. Ein actionorientierter Charakter – Alois Nebel wirkt im Vergleich ständig sediert. So schleicht er sich nach Prag und probt Penner auf dem Prager Hauptbahnhof.
Alois Nebel gewinnt da die Liebe einer Klofrau, für ihn gibt es ein gutes Ende. Allerdings bei schlechtem Wetter.
Tschechien 2011, Regie: Tomas Lunak