Jung und schön
Von Jamal Tuschick // 28. November 2013 // Tagged: französischer Film // Keine Kommentare
Die Schwester am Strand. François Ozon inszeniert eine höhere Tochter als Belle de Jour.
„Gute Schauspieler in einer pädophilen Mottenkiste.“ So lautet ein Fazit im Foyer. Ich war in einer Spätvorstellung von „Jung & Schön“, im Prenzlauer Berg herrscht nun eisiges Schweigen. Vor eingezäunten Weihnachtsbäumen stellen Uniformierte zivile Ratlosigkeit dar. Der Film löst sich spät von den Klischees, die mit ihm spielen. Der Anfang zitiert Voyeurismus als cineastisches und literarisches Genre und wirkt wie ein Remake. Unwillkürlich nimmt mich die Vorstellung ein, dieses Bild schon einmal in einem Klassiker (Hitchcock/ Highsmith) gesehen zu haben. Ein Junge betrachtet das Objekt seiner Neugier mit Abstand und vergrößert. Das Objekt seiner Neugier ist die eigene Schwester am Strand. Ihre Attraktivität scheint dem Spiel der freien Kräfte überlassen.
Pariser Paare und ihre Kinder. Überall Sand, man ist im Urlaub. Die Signale sind so deutlich wie Ampelfarben. Weiß muss man nicht mehr sein, nur gebildet und bürgerlich. Bürgerlich auf die Unkonventionelle. Soll Isabelle (Marine Vacth) doch feiern bis der Tanzboden bricht, das habe sie früher auch getan. Die Toleranz verlangt von der Mutter (Géraldine Pailhas) eine verbotsfreie Zone zu errichten. Die Mutter geht fremd mit dem Mann ihrer besten Freundin. Das könnte okay geregelt sein unter Erwachsenen. Der lockere Gatte (Frédéric Pierrot) ist nicht Isabelles leiblicher Vater, in dieser Konstellation schwirren die psychologischen Angelschnüre. Doch ihre Haken bleiben unbeschwert. Da erigiert eine deutsche Badebekanntschaft. Ein blonder Narziss erinnert an den jungen Michael Gross. Ansatzweise hypertroph und ganz selbstgewiss. Diese light version des Siegfried’ defloriert Isabelle in einem unterkühlten Vorgang. Sie bedankt und spaltet sich, aus dieser Spaltung zieht die Geschichte ihrer Dynamik. Wer das nicht plausibel findet, kann den Film vergessen.
Das soll überzeugend sein: ein junger Mann mit mehr Gelegenheiten als Fantasie löst die Identität eines Mädchens auf, mit nicht mehr Aufwand und Achtlosigkeit als nötig, um seine Schnürsenkel zu lösen. Im Folgenden ist das Mädchen nicht mehr identisch mit der höheren Tochter von eben. Das wird zudem im Film besungen. Der ominösen Nacht folgt Isabelles siebzehnter Geburtstag. Dann sind die Ferien um, Isabelle besucht das Lycée Henry IV, das will was heißen. Jetzt prostituiert sie sich wie aus heiterem Himmel, die Termine vereinbart Isabelle an ihrem Apple im Internet. Der angefressene Apfel leuchtet im Kinderzimmer wie ein Illuminatenzeichen. Das Geld hortet Isabelle. Ist nicht zum Gebrauch bestimmt. Isabelle verlangt schließlich die Summe, mit der sie zum Geburtstag und zu Weihnachten von ihrem leiblichen Vater bedacht wird. Mir ist das zu symbolisch, ich habe schon die Spaltung nicht begründet gefunden.
Isabelle geht in Kleidern ihrer Mutter zu den Verabredungen. Sie wählt Lèa zum Pseudonym, so hieß die Großmutter. Der virilste Freier nennt „Lèa“ spöttisch „eine gute Wahl“. Die anderen sind zu alt für viril, die Minderjährige macht sich älter. Im spröden Austausch mit einem greisen Kunden (Johan Leysen) wird suggeriert, er suche in verständlicher Verzweiflung ein Mädchen im Alter seiner Enkel und sie suche als Lolita etwas ebenso Gegenständliches wie er. Doch findet kein Ausgleich statt. Regisseur Ozon schließt Eros und Thanatos in einen Kreis, ich sag das nur, um die Symbolfracht des Films als eine Bedrohung der Geschichte anzuzeigen.
Meine Oma würde sagen: Typisch französisch. Ich hab mit ihr zusammen „Belle de Jour“ gesehen, danach hieß es auch nur „typisch französisch“. „Jung & schön“ feuert in Frankreich eine Auseinandersetzung zwischen Freunden und Feinden eines Gesetzes an, das Prostitution auf der Freierseite sanktionieren soll. Lèa fliegt auf, die Mutter fällt aus den Wolken. Der Stiefvater bleibt gelassen. Der Bruder ist verwirrt.
Isabelle akzeptiert psychologische Betreuung. Ihre innere Bereitschaft dazu bleibt jedoch zweifelhaft. Sie deklamiert Rimbaud, scheitert am Versuch, mit einem Gleichaltrigen in der Üblichkeit Spaß zu haben, und erhält von einer Witwe (Charlotte Rampling) die Absolution. „Wäre ich als junge Frau mutiger gewesen, hätte ich vielleicht auch Geld dafür genommen.“
Isabelles Begegnung mit der Witwe liefert „Jung & Schön“ drei Szenen, die das Versprechen des Anfangs einlösen. Ein nahezu klassischer Einstieg und ein überraschender Schlussakkord – dazwischen: „gute Schauspieler in einer pädophilen Mottenkiste“.
Frankreich, 2013. Regie: Francois Ozon