Unter dir die Stadt
Von Silvia Szymanski // 29. Oktober 2013 // Tagged: Deutsches Kino, featured // 2 Kommentare
Alles wirkt statisch, kristallin, diamanten. Bäume, die sich im Schaufenster über einem Kleid und dem Bauch einer Puppe spiegeln, spiegeln, spiegeln. Wie ein Spiegelbild trägt eine Passantin die gleiche Bluse wie Svenja (Nicolette Krebitz). Sie folgt ihr deswegen neugierig, ohne dass das zu etwas führt. Es wird einem unwirklich zumute, wenn man einer Doppelgängerin begegnet. Als sähe man sich nur zu und wäre selber gar nicht richtig da.
Svenja, die jobsuchende junge Ehefrau eines aufstrebenden Bankers, ist in ein Leben geraten, in dem sie sich wie in Spiegelungen aufgelöst fühlt. Das wird nur indirekt vermittelt, man sieht ihr nicht viel an. Sie ist ein sachlich-kompatibler Typ, aber unergründlich. In der Welt, die für ihren Mann (mit dem sie wegen seiner neuen Stelle nach Frankfurt gekommen ist) relevant ist, spielt sie keine Rolle. Darin geht es um ein rein männliches Ausgucken und Auskämpfen von Positionen. Nur wenn man wie Roland (Robert Hunger-Bühler), der Chef ihres Mannes, den Blick schweifen lässt, sieht man sie da stehen, understated und verhalten, unterschwellig interessant, wie die Kunst, die diese Männer kennerisch sammeln.
Häuser, Dinge, Verhalten, Sprachstil, Ästhetik: Alles dient ihnen zur Positionierung und Distinguierung und soll Respekt erzeugen. Der Film interessiert sich sehr für den Geist, der daraus spricht. In diesen hohen Häusertürmen pflegt man einen überspitzten Minimalismus und einen unterkühlten, spröden Umgang. Nie richtig freundlich, nicht einmal wenn die Leute mit einander schlafen wollen. Ihre Blicke und Bewegungen sind knapp, bedeuten aber viel; ihre Gemüter dampfen und schnauben unter der ihnen wichtigen, sie sehr reduzierenden Oberfläche.
Kindheit und Untensein sind hier so weit weg wie irgend denkbar, doch Roland besucht diese Sphären manchmal. Schaut sich die Mietwohnung an, in der er Kind war. Beobachtet einen Junkie, der sein Rauschgift nimmt und sich entspannt – wie sein eigener Schatten, den er in Trance besuchen geht, unten, in einem vergessenen Raum des Hochhauses, das (auch) eine Allegorie der Psyche ist.
Einmal versammeln sie sich zu einem Privatkonzert. Ein Freund/Kollege (Johannes Kiebranz; früher hätte ihn Friedrich Joloff spielen müssen) spielt als Violinist vor den Kollegen und ihren Ehefrauen. Mit fein platzierten Scherzen und wirkungsbewusster Selbstironie moderiert er seinen Auftritt. Roland, der Svenja im Sinn hat, blickt manchmal in die Kamera, so dass man spüren kann, wie man sich fühlen würde, wenn einen sein Blick träfe und man Svenja wäre.
Diesen Blick aus dem Zusammenhang zu einem außenstehenden Betrachter gibt es auch in Gruppenbildern der flämischen Malerei, an deren Menschenbilder mich UNTER DIR DIE STADT erinnert. Diese Porträts sind weder geschönt noch karikiert, aber von einer solch intensiven, bis ins Metaphysische hinein bohrenden Aufmerksamkeit, dass die allgegenwärtige, starke Spannung offenbar wird – in den Porträtierten, in ihrem hierarchischen Verhältnis zum Maler und gegenüber dem Rätsel ihrer Existenz. Der Künstler malt und führt Regie in der Schwebe zwischen verwundertem Wissenwollen und kritischer Betrachtung, Verständnis und Abgestoßensein. Und im Vertrauen darauf, dass der Betrachter die Qualität, die Feinheiten und Andeutungen versteht.
Manche Rezensenten haben gerätselt, was Svenja und Roland an einander finden und warum sie lange Zeit trotz ihrer Affäre so „kühl“ mit einander umgehen. Aber ich glaube, ich kenne das aus der Schule: Schüler(innen) und Lehrer. Beide sind eingesperrt in einem unpersönlichen, sadistischen Gebäude. Es geht um Macht und Leistung, man quält und langweilt sich und einander bis aufs Blut. Man schaut aus seinen Augen wie ein Tier, das raus will aus dem Käfig und im anderen das Gleiche sucht. Auch um das Machtgefälle auszugleichen, sich und den anderen aus der schrecklichen Rolle zu werfen und wieder körperlicher und wirklicher zu werden.
Die Fremdheit ist unangenehm und erregend. Sie geht nicht leicht weg, auch wenn man mit einander schläft und die Körper sich in einander vernarren, wie Hunde, die einem nicht mehr ganz gehören. Man sieht mit zunehmender Wärme, wie Svenja und Roland ihren Sex mit einander nicht mehr aus sich weg kriegen. Sie müssen immer daran denken. Es ist „wie eine Tropenkrankheit“ (Roland), es wird zur Leidenschaft, zur Liebe, und es sieht richtiger und inniger aus als Svenja mit ihrem Mann und Roland mit seiner Frau.
BRD 2010, Regie: Christoph Hochhäusler
Nackte Menschen verwandeln sich hoch über der Stadt in Artefakte.
P. S.: Ich wundere und freue mich über die Querverbindungen zwischen der „Berliner Schule“ und der ARD Soap VERBOTENE LIEBE, die ich öfter feststelle. So spielte in Isabelle Stevers Film GISELA, den ich hier besprochen habe, Stefan Rudolf (in VL: der böse „Sven“) eine der männlichen Hauptrollen, und in UNTER DIR DIE STADT gibt es (siehe unten) in Nebenrollen gleich zwei Schauspieler aus der Chefetage meiner Lieblingsserie: Heike Brentano (In VL: „Sylvia Jones“) und Klaus Zmorek (in VL: „Adrian Degenhardt“).
2 Kommentare zu "Unter dir die Stadt"
Irgendwie war ich aber auch erstaunt, dass dir der Film so gut gefallen hat, Silvia. Weil er sich so kühl und mathematisch anfühlt, selbst für mich. Jetzt solltest du unbedingt Christoph Hochhäuslers FALSCHER BEKENNER sehen – ich glaube, du wirst ihn lieben. Er ist erdiger als UNTER DIR DIE STADT, und sehr dunkel.
jetzt muss ich ihn unbedingt nochmal schauen! Danke!