Quando l’amore è oscenità

Die 14. Filmbesprechung in unserer Reihe “Forced Entry – Vergewaltigung im Film”. Unser Einleitungstext zur Reihe findet sich hier.

Maria: Silvia, du hast mir wieder einmal ungeahnte, neue Horizonte eröffnet. OSCENITÀ (1980), dieser Bilderbogen an Perversionen, dieses „Meaning of Life“ der italienischen Onanie, hat mir nicht nur neue Sichtweisen auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sondern auch ganz neue Erkenntnisse vermittelt, wie z. B. dass lesbischer Sex auch eine Perversion ist, die das Bewusstsein einer Frau als Frau in ihren Grundfesten erschüttert. Was haben wir gelacht!

Doch schön der Reihe nach. Mireille, die schöne Protagonistin der Rahmenhandlung dieses äußerst unterhaltsamen, absurden Films, wird von einem obsessiven Mann, der abwechselnd Marco und Marlon genannt wird, verfolgt, dann von zwei anderen Männern vergewaltigt, schließlich von ihrem Anwalt fast in der Badewanne ertränkt und zuguterletzt noch von einer Frau zu Sex verführt. Nach einer Verarbeitung dieser Erlebnisse suchend, erpresst sie mithilfe ihres Psychiaters ihre PeinigerInnnen zu einem Treffen, und die hierbei stattfindende pseudowissenschaftliche Diskussion über das Wesen der Perversion bildet den Rahmen dieser Zusammenstellung von (ebenfalls pseudo-) pornographischen Episoden.

Recht schnell kommen die Herrschaften zu dem Schluss: Im Paradies (alles doch irgendwie recht schön italienisch-katholisch) gab es eine tiefe Harmonie zwischen Mann und Frau, bis der Sündenfall respektive die damit verbundene Herabwertung der Frau zu einem Ungleichgewicht geführt haben, innerhalb dessen der Mann der Herr ist, die Frau die Unterdrückte, und beide fühlen sich Scheiße damit. Denn die Unterdrückung der Frau richtet sich schließlich „wie ein Boomerang“ gegen die Männer, die von verklemmten, unterdrückten Müttern zur Unterdrückung ihrer eigenen Sexualität genötigt werden. Und was ist die Folge dieser allseitigen Verklemmtheit? Die Sexualität wird pervers, bricht sich ihre Bahn in Vergewaltigung, Sodomie, Homosexualität, schwarzen Messen, Analverkehr, Pädophilie, ja, selbst Sex mit Bäumen und Maiskolben. Für jede Sorte Spanner ist etwas dabei.

Silvia: Es ist bizarr und erheiternd, wie Täter und Opfer in diesem pathetisch-philosophischen Salon gleichsam auf der Götterebene über allem stehen und miteinander psychologisieren. Ich sehe das zwar eher ironisch, aber völlig abtun möchte ich den akrobatischen Versuch nicht, die Dinge abgeklärter zu sehen als heute üblich („Wir sind alle Opfer der gleichen Gewalt!“) Wir hatten so eine Aufforderung zum Umdenken – allerdings viel undemokratischer – schon einmal in unserer Reihe, bei THE DEFIANCE OF GOOD.

Ja, für jeden was dabei; die Bahnhofskinos haben doch bestimmt nur so gewackelt bei diesem vielfältigen und tierisch temperamentvollen Rubbelfilm! Durch die dicke Unterlegung mit unterhaltender Musik (oft mit froher, bildungsbürgerlicher Klassik) und die scheinbare Zufälligkeit der Sexbeobachtungen erinnert das Werk manchmal auch an einen mondoesken Tierfilm. Aus dem B-Film-Actiongenre kommen gemütliche Autoverfolgungsjagden und unglaubwürdige Schlägereien mit schön schnalzenden Geräuschen hinzu. Und zweimal wird es auch kurz pornographisch: Dem knubbeligen, von einem demonstrativ emanzipierten Girl erwählten Biker wird eine Erektion zuerkannt, und ein Eselchen wird vom Schnitt mit einem fremden, steifen Männerschwanz versehen. Zum Sex mit ihm hat sein Besitzer eine Prostituierte („Does your pussy work? Then let’s get together!“) genötigt; er hüpft dabei ganz aufgedreht herum. (Kein Grund zur Sorge übrigens, den guten Esel lässt der Unsinn sichtlich unberührt.) Gar nicht mehr einkriegen tut sich auch der sadistische Anwalt, der von zwei Frauen mit wildem Messergefuchtel eine lesbische Vorführung erzwingt und hämisch zigmal die Anweisung „zärtlich, zärtlich!“ dazwischenruft. Und ich habe noch keinen Sexfilm wie diesen hier gesehen, in dem sich Frauen löblicherweise auch um den Po eines Mannes kümmern. Sehr schön fand ich auch die Szenen in der Natur – gierige Wühlereien in der Meeresgischt, ein Paar versinkt im Laub am Waldesboden, straßenköterartige Motorradfahrer („moderne Ritter“) umlagern in einer mythologisch öden, verträumten Sommer-Feldlandschaft ein dominantes Mädchen. Wie eine lyrische, liebevolle Miniatur unter den vielen schmuddeligen Sexszenen wirkt auch die Rückblende in die Kindheit des Anwalts, als er für jede kleine unschuldig sexuelle Handlung gescholten wurde. Selbst Referenzen an den Report-Sexfilm der 70er Jahre gibt es: Auf der Straße werden – „fragen wir sie doch einfach selbst!“ – „moderne junge Leute“ interviewt. Aber sie lügen, alle; wir kriegen das zu sehen, wie ihre schöngefärbten Schilderungen in Wahrheit ablaufen. Nichts stimmt mehr zwischen Mann und Frau, ja wirklich. Einzig ein Mofa-Junge – „Fuzzi“, wie du, Maria, ihn zärtlich nanntest – erzählt wahrheitsgemäß von einer glücklichen Lösung.

Maria: Ja, der Fuzzi und sein Freund Luigi teilen sich eine Frau, weil beide jeweils nicht genug Geld für eine eigene haben. „Sie macht uns glücklich“, sagt der Fuzzi, und sie würden jeden fertig machen, der sie respektlos behandelt. Auch passen beide auf, dass sie nicht schwanger wird, denn sonst müssten sie womöglich miteinander um die Vaterschaft streiten, und das wollen sie nicht, da sie sich auch gegenseitig sehr gern haben. Die drei sind wirklich der einzige Lichtblick in diesem düsteren Sittengemälde, in dem die Männer fast noch mehr Angst vor den Frauen haben als umgekehrt: „If you’re not careful, they’ll fuck you in the ass without butter.“ Dennoch fand ich den Film köstlich amüsant.

Ich denke, das liegt an seiner Abstrusität und auch an den, tja, liebevoll schlecht gemachten Sexszenen. Mehrmals wies ich dich darauf hin, dass Sex doch nicht funktionieren könne, wenn da 30 cm Abstand zwischen Geschlechtsteilen sind, oder dass man beim Oralsex doch nicht nur den Hintern des Anderen anguckt. Dabei war mir doch völlig klar, dass du das selber weißt, und ich glaube, die Einsicht in die Idiotie meiner Kommentare, dein geduldiges, stoisches Gesicht dazu und diese befremdlichen Sexszenen haben mich in Kombination schließlich so zum Lachen gebracht. Auch die Ernsthaftigkeit der gewalttätigen Szenen leidet merklich unter ihrer dilettantischen Inszenierung.

Ebenso war die Hässlichkeit der Darsteller nach der Überwindung des anfänglichen Würgereizes ein wahrer Quell der Heiterkeit für mich. Hässlichkeit ist vielleicht auch das falsche Wort. Abstoßend gemein oder gelangweilt oder schlicht fehlproportioniert sehen die – wie soll ich es sagen – Fressen aus, die sich hier vor der Kamera präsentieren. „Mandrilläffin“ war mein Wort für eine der Frauen, über deren Genus ich mir erst sicher sein konnte, als ich sie nackt sah. Dazu picklige Hintern, unfassbare dümmliche Gesichtsausdrücke in Situationen, in denen eigentlich Ekstase die Parole sein sollte… aber ich glaube, du siehst das etwas anders.

Silvia: Es ist ja nett von der Regie, den Darstellern nichts Echtes gegenüber den ungeliebten Kollegen abzuverlangen. Aber wenn ich noch lange weiter so viele Filme mit irreal nachgestelltem Sex angucke, werde ich noch vergessen, wie man funktionalen Sex macht! :D

Komisch, aber dass ich beim Filmegucken aussehe wie ein melancholisches Rind am Zaun wird mir öfter gesagt. Es muss die Sehnsucht sein, die sich in meinen Zügen spiegelt. Als ich mal mit meinem Freund durch Norditalien gereist bin, ist er immer extra durch die tristen Dörfer gefahren, weil er wusste, dass ich vom Anblick dieser Gegenden und der gelangweilten Leute an den Straßenecken geil werde. Es liegt… pah, keine Ahnung woran! Vielleicht soll Sex das Defizit ausgleichen. Die Armut und Beschränkung, die fehlende Attraktivität von allem schreit nach einem Ausbruch. Im tiefsten Grunde bin ich selber so, wie das, was ich da sehe, glaube ich.

Es ist nicht die ausgestellte Hässlichkeit wie in manchen Komödien oder Fellinifilmen, sondern eine absichtslose. Es ist eher wie an einem regnerischen Tag im billigen Teil der Fußgängerzone. Oder wie ein allzu nüchterner Blick in den Spiegel. In OSCENITA machen sie Sex, ohne sich von Äußerlichkeiten hindern zu lassen. Ihr Mangel an gutem Stil lässt sie wilder und freier wirken als in den fein zurechtgemachten, „schöneren“ Erotikfilmen. Es ist wie ein rauer Sound, Garage- oder Billigrock. Und das ist auch ein anregender Kontrast zur experimentellen und „intellektuellen“ Ebene dieses Films.

Maria: Jaja, die „intellektuelle“ Ebene. Auf der wird natürlich fleißigst nach Lösungen gesucht, wie man den Oscenitàs, den Perversionen, entgegenwirken und so Mann und Frau helfen kann, wieder glücklich miteinander zu sein.

Die Lösung ist natürlich denkbar schlicht: Man muss seine unterdrückten Lüste einmal richtig ausleben, damit sie nicht in Perversionen ausarten. Einmal richtig hemmungslos sein. Der Mann, der wegen seiner dominanten, lustfeindlichen Mutter nun Frauen in seiner Badewanne etränken will, muss einfach mal kräftig auch dominant sein dürfen, dann geht das schon. Aber was bleibt denjenigen, die schon Opfer von perversen Übergriffen geworden sind, wie Mireille? Sie müssen versuchen, „Liebe zu finden“, das ist die ultimative Schlussweisheit dieses kolossalen Machwerks. Mit der Liebe werden auch die Perversionen enden. Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht häufig damit erst anfangen.

Silvia: Das will ich doch wohl hoffen! –Ja, „kolossal“ ist dieser Film auf seine Weise, wie ein Strom, schlammig, vielarmig und unüberschaubar, so dass er zunächst wie ohne Sinn und Verstand erscheint. Du sagtest beim Gucken, man könnte einschlafen und an einer beliebigen Stelle wieder aufwachen. Ich mag das sehr. Es erinnert mich an diese Permanentkinos, die es früher in den Einkaufszonen der Städte gab, wo die Filme den ganzen Tag lang in Rotation liefen.

Italien, 1980. Regie: Ralph Brown aka Renato Polselli. Kamera (!): Giorgio Montagnani

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