Finsterworld
Von Jamal Tuschick // 22. Oktober 2013 // Tagged: Deutsches Kino, featured // Keine Kommentare
Das Mädchen im Ofen. Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ hält, was der Gothic-Titel und Christian Kracht als Drehbuchautor versprechen.
Am Ende sind die Guten tot oder so gut wie tot. Am Anfang recherchiert eine Journalistin in der Platte und lässt sich dazu hinreißen, mit einem Hempel auf dem Singlesofa Spaghetti zu essen, selbstverständlich Convenience Food. Die Geschmacksverstärker tanzen auf den Nudeln den Ćevapčići. „Deutschland, deine Menschen“ könnte der Beitrag heißen. In seiner zerfleischenden Genügsamkeit wird Hempel zum Menetekel. Die Journalistin, phantastisch fassungslos und fabelhaft fahrig gespielt von Sandra Hüller, erlebt ihn als „brutal passiv“. Sie lässt sich über Hempel (neun Stunden Fernsehen täglich) am Küchentisch ihrer Zweisamkeit mit einem perversen Polizisten aus. Stumpf schwärmt sie für Antonioni und österreichische Weißweine, der Polizist geht lieber als Teddybär auf Kuscheltierpartys. Er ist außerdem korrupt und kunstinteressiert und alles in allem so etwas wie die harmlose Entgleisung in jung & passabel.
1995 erschien Christian Krachts erster Roman „Faserland“. „Finsterworld“ ist das Spielfilmdebüt seiner Frau Frauke Finsterwalder. Der Film reagiert subkutan auf den Roman. Die Grand cru-Schnösel von früher ebnen in der „Finsterworld“ ihrem Nachwuchs den Weg des goldenen Löffels. Die Schnöselsippe heißt Sandberg. Herr und Frau Sandberg (Bernhard Schütz und Corinna Harfouch) ergeben eine eigene Subkultur voller harsch-heikler Ansichten und exklusiver Gewohnheiten: „Bitte die höchste Wagenklasse und auf keinen Fall ein Nazi-Auto.“ In ihrer Blase ist kein Platz für die Brut. Zu den Abgeschobenen: Der Sohn steckt in einer Art Salem-Sonderschule, die Seniorin steckt im Stift. Jakub Gierszal spielt den Zögling Maximilian mit Heydrich-Appeal, so begabt wie verdorben. Margit Carstensen spielt seine Großmutter als Stilikone im Altenheim. Die sieche Sandberg hält sich einen jungen Mann zur Fußpflege. Michael Maertens erscheint in der Rolle wie ein geliertes Zwischenwesen. Doch wird diese Ausgeburt des Schleims als Fußfetischist für Oma Sandberg zum Hoffnungsträger. Claude zwitschert die „Vogelhochzeit“ – „Fiderallalla“ avec „Sim sa la bim, bam ba, sa la du, sa la dim“. Er beschwört den Geschmack von „Werthers Echte“ und verklärt abgehobelte Hornhaut zum Sternenstaub seiner Sehnsucht nach betagten Füßen. Maximilian ist der Schurke im Stück. Seine Gemeinheit bringt den von einer deutschen Kollektivschuld ausgehenden Geschichtslehrer Nickel (Kracht hat lange mit einem E. Nickel kollaboriert, ob er dem nun die Pest an den Hals wünscht?) um alles. Sie traumatisiert eine Schülerin. In meiner Wahrnehmung bleibt das die beste Geschichte im Episodenfilm. Während eine verletzte Krähe wie der letzte Vogel auf Erden in die Obhut eines Eremiten gerät, steht für Maximilian ein Klassenausflug ins KZ an. Im Bus zum Lager sitzt Natalie (Carla Juri), die Maximilians drohendes Wesen immer wieder geistesgegenwärtig neutralisiert. Ihr Vertrauter ist ein Marottenkönig namens Dominik, traumhaft somnambul und insular gespielt von Leonard Scheicher. Maximilian schaltet ihn auf einer Raststätte aus, der Bus fährt ohne Dominik weiter. Im Verlauf der Gedenkstättenexkursion schiebt Maximilian mit einer Kreatur seines Vertrauens Natalie in einen Ofen des Krematoriums. Sie kann ihre Feinde nicht identifizieren. Nickel befreit sie schließlich, Natalie hält ihn für den Schuldigen. In der panischen Zwischenzeit hat sie ihr Leben als autonome Einheit verloren. Sie läuft über zum Aggressor. Ohne Einsicht in ihr Unglück. Das ist die stärkste Szene: Maximilian spielt Feldhockey, Natalie steht am Rand. Zu ihren Füßen blättert der Wind in einer Bildergeschichte aus der Keimzeit mit Dominik. Cat Stevens singt „Wind“. Freude bricht aus bei den Siegern auf dem Feld. Die Freude zischt in Natalie auf wie ein Feuerwerkskörper. Scheinbar belebt und doch erloschen eilt sie zu ihrem persönlichen Monster Maximilian und gratuliert mit einer präpotenten Sportlergeste. Sie weiß überhaupt nicht, wie ihr geschieht. Nie wieder wird Natalie die Koordinaten ihres Lebens richtig bestimmen können. Aus Falschen kann man alles schließen. Man hat gegen „Finsterworld“ den Vorwurf erhoben, der Film verdoppele die Tristesse einer entleerten Gedenkkultur. Ich finde, er zeigt den Grund der Kaltschnäuzigkeit im Versagen der Empathie seiner Protagonisten genau. Was für andere übrigbleibt, ob tot oder lebendig, ist Kitsch und kein Erbarmen. Luzidität kommt immer zu spät, so wenn Seniorin Sandberg zu ihrem Fußknecht sagt: „Mein Sohn hat Angst vor dem Sterben und deshalb kommt er mich nicht besuchen.“ So einfach ist das, es hilft nur nichts. – Und so hilft es auch wenig, Maximilian in Rechnung zu stellen, dass er nicht weiß, da seine Eltern nie kochen, „wie zuhause schmeckt“. Er hat drei Leben auf dem Gewissen und kein Schuldgefühl. Das gehört in die Bilanz der „Finsterworld“.
BRD 2013, Regie: Frauke Finsterwalder
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