Fata Morgana
Von Silvia Szymanski // 23. September 2013 // Tagged: Abenteuer, Animationsfilm, Bruno Sukrow, featured // 1 Kommentar
Der Aachener Animationsfilmer Bruno Sukrow (86) ist ein fantasievoller, aber kein reicher Mann. Seine Bilder und Figuren lädt er von seiner Rente und den Spenden seiner Fans legal aus dem Internet herunter, und man könnte denken, so seien keine großen Sprünge möglich. Aber wir waren schon unfassbar weit weg mit ihm und seinen Filmen, im wilden Westen und sogar im Weltall. Nun brachte uns seine neueste Abenteuerkomödie von Hamburg nach Ägypten. Auf dem Ozeanschiff „Nürnberg“ passierten wir die Cliffs of Dover, Gibraltar (samt kostspieligem Felsenaffen) und das heruntergekommene Port Said.
Unvergesslich: der erste Blick auf die schäbige Hotelmeile der ägyptischen Hafenstadt. Jan (George Clooney, s. links) ist hier unterwegs in den Fußstapfen seines Vaters Papa Fröhlich. Dieser einstige Abenteurer und Archäologe lebte heute pensioniert in seiner Hamburger Villa – als Simulant im Rollstuhl, um von seiner Frau nicht im Haushalt eingespannt zu werden. Immer noch aber denkt er an das schöne Weib zurück, das er vor vielen Jahren in einer Grabkammer in Ägypten tanzen sah. Als er es streicheln wollte, löste es sich in Luft auf: Fata Morgana! Nun soll sein Sohn für ihn an den Erscheinungsort reisen, um zu erforschen, was es mit der Vision auf sich hatte.
Bei Herrn Sukrow sind alle DarstellerInnen ansehnliche langbeinige Wesen von sparsamer Mimik und gemessenen Bewegungen. Auch noch mit grauen Haaren behalten sie ihre athletische bzw. vollbusige Figur. Ihr trocken-frecher Mutterwitz und ihre würdevollen Umgangsformen erinnern an alte Heftchenromane, mit einem Bein stehen sie aber auch in der computerversierten, „coolen“ Gegenwart, bzw. schweben darüber. Herr Sukrow legt ihnen augenzwinkernd Modewörter wie „anbaggern“ in den Mund, verpasst ihnen aber zugleich in Sachen Geschlechterrollen ein starkes, archaisch konservatives Weltbild. Nicht unglaubwürdig, im Gegenteil.
So erinnern Jan Konflikte mit seiner Hamburger Freundin durchaus an die Bohlen-Feldbusch Ehe. Die Freundin ist eine enorm spitzbusige Schönheit (ein Raunen ging durchs Publikum). Herrenbesuch empfängt sie in einem tief dekolletierten Tanga-Aerobic-Body, fadenscheinig damit begründet, dass es draußen noch immer 25 Grad seien – das ist ihre Masche, um die Männer zu umgarnen und zu überspielen, dass sie sauschlecht kochen kann. „Sie hat dich zum Essen zu sich eingeladen, Junge? Was gibt es denn? Spinat mit Erdbeersauce?“, spöttelt Jans Vater, wissend und sarkastisch. Und der Typ, mit dem sie Jan betrügt, sagt trocken über die Wurst danach, dies sei seine erste Bratwurst mit Gräten. Sie: „Huch, dann muss ich die falsche Dose aufgemacht haben.“
Der Orient ist noch mehr alte Schule. Wie man von Karl May weiß, trifft man dort zwar auch Schurken, meist aber blumig sprechende Gentlemen und geheimnisvolle, schöne Frauen, und oft erhält der Gast eine von ihnen als Geschenk: Als Jan einen alten Freund seines Vaters besucht, erwartet ihn im luxuriösen Bad dessen nackte Tochter. (siehe Titelbild)
Nach Jans Abreise macht sich das anhängliche Mädchen auf, ihn zu suchen. In einer Wüstenbar spricht sie der Kapitän der „Nürnberg“ am Tresen an; sie trägt immer noch ihr prächtiges, goldgelbes Bauchtanzkostüm. „Vielleicht kenne ich den Fremden, den du suchst. Was war sein Name, wie war er gekleidet?“, fragt er. „Ich weiß seinen Namen nicht mehr“, sagt sie verschämt, „aber am Anfang trug er noch eine rote Badehose.“ Am Ende bleibt sie bei dem schmucken Captain, den sie bewundert, weil ein so großes Schiff ihm gehorcht.
„Ja, Schnecke, besteige du den Fuji! Aber langsam, langsam!“ lautet mein japanisches Lieblingsgedicht, und auch bei Bruno Sukrow geschehen große Dinge gemächlich. Die Leute holen weit aus wie Indianerhäuptlinge, wenn sie etwas erzählen. Stellt jemand eine Frage, so beginnt die Antwort oft mit einem Umweg („Das will ich dir gern erklären“…), und man muss warten, weil der Befragte erst schlafen oder Kaffee trinken muss.
Ähnlich entspannt wird auch die Umgebung gefilmt. Ich hätte nie gedacht, dass ich digital erzeugte Landschaftsaufnahmen so naiv genießen kann. Lange schaut man bei verträumter Musik aufs glitzernde Meer, einen Sonnenuntergang, den majestätischen Flug eines Weißkopfseeadlers über die arabische Wüste. Man sieht ein Kamel vom „Kamelverleih Bumerang“ wegtraben (die mit einem Navi ausgerüsteten Tiere finden allein den Weg zurück). Es trabt über das ganze Bild von rechts nach links, und es trabt sehr lange, weil alle Tiere und Menschen programmbedingt nur schwer von der Stelle kommen und gegen eine unsichtbare, gallertartige Masse zu kämpfen scheinen.
Solche verfremdende Elemente sind unfreiwillig und dem knappen Budget geschuldet. Eine Figur kostet mindestens 10 Euro, die Technik ist sperrig, und Herr Sukrow muss die Rollen mit seiner teils modulierten, aber unverwechselbar brummigen Stimme meist selber sprechen. Nur manchmal übernehmen auch Robert (der Sohn des Regisseurs) und die Hard Sensations Autorin Frau Suk (seine Schwiegertochter) Gastrollen als Sprecherinnen. Gerade aber die Verfremdungen verstärken den Eindruck einer eigenen Welt, mit einer anderen ästhetischen Grammatik und unorthodoxen Naturgesetzen, deren sanfte Abgedrehtheit bezaubert und hypnotisiert.
BRD 2012, Regie: Bruno Sukrow
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