Liebe kann wie Gift sein
Von Silvia Szymanski // 10. Juli 2013 // Tagged: 60er Jahre, Angst vor der Moderne, Beat, Deutsches Kino, Gefährdete Mädchen, Lehrstück, Religion, Veit Harlan // 5 Kommentare
Das heilige Bimbam der tödlich sachlichen evangelischen Kirche, aus der Vater Willy Birgel und Tochter Magdalena auf die Straße treten, überbimmelt das frisch gebaute südliche Hansaviertel in Berlin. VW-Käfer, flache Bauten, quadratische Glasbausteine, Busse, schlichte Lampen, sachliche Straßen.
Und überall in diesem Kargen, Rechteckigen: Sprösslinge einer neuen Zeit. Die vor Leben sprühenden, auf die Liebe, das Berufsleben, die Ehe und die Kinder fröhlich zuspringenden, frei laufenden Mädchen in Heinz Oestergards traumhaft duftigen Kleidern über Petticoats sind für die Männer eine Provokation. Sie können nur mit Mühe an sich halten.
Der smarte Stefan (Joachim Fuchsberger), der sich sein Medizinstudium selber verdient und ein bisschen dem jungen Veit Harlan ähnelt, versucht einen Zwischenweg zwischen Anstand und Draufgängertum. Anfangs ist noch alles leichte, heitere Unterhaltung.
Fuchsbergers Freund, Helmut Schmid, hingegen ist ein echter, skrupelloser Schwerenöter. Fuchsberger hält humorvoll Distanz zu ihm; ihre Sympathie scheint aus Anhänglichkeit an frühere gemeinsame Zeiten zu bestehen. Schmid ist ein angesagter Maler gewagter und moderner Frauenakte. Als prominenten Künstler einer neuen Zeit verehrt ihn Magdalena, ein naives und gefährdetes Mädchen aus gutem Hause. „Es ist, als ob Sie einen Lichtschein um sich hätten“, sagt er zu ihr, nicht ganz zu Unrecht. “Entspannen Sie sich. Hier sind Sie ein freier Mensch.“ Seine aufdringlich körperliche, fleischig lüsterne Präsenz verwirrt und erregt sie. So lässt sie sich überreden, ohne Wissen ihres Vaters für ihn Modell zu stehen. Dadurch gerät sie unter die bösen Salonlurche und arroganten Künstlerkrokodile (der Herr ganz rechts sieht Fellini ziemlich ähnlich).
Alle haben lauernde, abgründige Hintergedanken; was sie tun und sagen und wie sie blicken ist zweideutig und fremd, sexgierig und manipulativ. Die Zeremonie der Mokkazubereitung mit besonderen Maschinen ist diesen augenscheinlich auch dem Regisseur suspekten, versnobten Freigeistern auffällig wichtig. Und ihr Vergnügen geht rücksichtslos auf Kosten der verführten Mädchen, die sie unter einander herumreichen und derer sie sich entledigen, wenn sie zu klammern anfangen.
Mädchen müssen beschützt werden. Besonders, wenn sie eigensinnig sind und keine Kinder mehr sein wollen. Sie können dann wie neugierige Rehkitze in Fallen tapsen. Sie können aber auch lernen, sich klug und charmant selbst zu schützen. Wie, das zeigt die immer propere und süße Renate Ewert als Bibliothekarin und Hobbymalerin von Spatzen. Sie schafft es, modern zu sein und trotzdem nicht vom rechten Wege abzukommen.
Es wundert mich immer wieder, wie offen die Mädchen in diesem und anderen Filmen der 50er Jahre zu verstehen geben dürfen, dass sie wissen, was die Männer wollen. Sie müssen das wider Erwarten nicht züchtig verheimlichen. Und es ist völlig okay, sogar vorbildlich, die sexuellen Avancen nicht zu verurteilen, sondern nachsichtig über sie zu spötteln und humorvoll leicht und gutgelaunt mit Männern umzugehen.
So. / So nicht.
Es ist die Kunst, die man lernen muss: ihnen nicht zu verfallen, sondern sich gerade rechtzeitig zu entziehen. So steigt man in ihrer Achtung. Mir wurde das auch noch geraten – ich brachte es nicht übers Herz; die Jungen in den 70er Jahren waren allerdings auch schon anders, sie fühlten sich verarscht und waren sauer, wenn man so mit ihnen „spielte“. Oder fürchtete ich das nur, weil ich gewarnt worden war und manche Jungs so reden hörte? Ich hab das nie ausführlich ausprobiert. Ich hätte es aber auf keinen Fall so selbstbewusst wie Renate Ewert hingekriegt, Blacky in meine Wohnung einzuladen, ihn zu necken und anzuhimmeln und ihm dann mit einer koketten Pirouette zu verbieten, mich zu küssen.
Aber so muss man sein, in diesem Film. Sonst fällt man tief, in Sünde und Ungnade. Man ist vielleicht das Eigentum eines reichen, stolzen Vaters Birgel, der sich brüsk von einem abwendet und zischt, man sei doch bis ins Mark verfault. So wird man selbst bitter und kühl und gibt sich auf. Verfällt der Drogensucht (wobei man sich die Spritze in den groß aufgenommenen Schenkel oberhalb der Nylonstrümpfe setzt) und der Prostitution, in der Mietwohnung einer korpulenten Wirtin, die in ihrem engen Brokatkleid wie eine giftige Alkoholpraline im Goldfrappé aussieht.
Und man schläft mit einem alten, faltigen Betäubungsmitteldealer wie (dem – unter uns gesagt – nicht unaufregenden) Friedrich Joloff. Mit alten Männern zu schlafen scheint hier der Beweis zu sein, dass man wirklich am Ende ist.
„An dieser Stelle hätte Magdalena reumütig zu ihrem Vater zurückkehren sollen“, sagt naseweis die Erzählerstimme wie in einem Kinderkatechismus, „doch durch falschen Stolz und innere Haltlosigkeit sinkt sie immer tiefer. Ein Mädchen, welches vielen gehört, wird am Ende keinem gehören!“ Klingt eigentlich verlockend.
Zusehends fühle ich mich mit dem Film unwohler, obwohl ich ihn anfangs wegen seines prächtig hohen Kitsch- und Pulpanteils reizvoll fand. Eigentlich mag ich ja solche Sittenfilme, die – halb mahnend, halb sexuelle Reize ausbeutend – gefährdete Mädchen in abwegige Abenteuer schicken. Es amüsiert und entzückt mich, dass sie meinesgleichen als verruchte Weiber darstellen und in eine „Hölle“ stecken, die eigentlich mein dunkles El Dorado ist. Besonders gerne mochte ich Rudolf Lubowskis SÜNDE MIT RABATT oder Walter Boos’ DIE JUNGEN AUSREISSERINNEN. Obwohl ich nicht weiß, wie ihre Macher diese Filme meinten, sind sie, für mich, zum Kitzel konstruierte Schauermärchen, die ihre Zeigefinger erheben wie was anderes. Je länger ich auf der Welt bin, umso tiefer präge ich „perverse“ Vorlieben aus; nur „Schönes“ oder „Gutes“ schön und gut zu finden, ist mir offensichtlich zu wenig.
Mit Harlan geht es mir etwas anders, aber ich weiß nicht recht wieso. Vielleicht weil er sich selber höher ansetzt als Boos und Lubowski? Er war einmal ganz oben und schwebt auch nach dem Krieg noch seltsam über allem. Ich finde Dummheit manchmal nett, aber in LIEBE KANN WIE GIFT SEIN ist das unangenehm – dieser Dünkel, mit dem Harlan seine angst- und vorurteilsverzerrten Moralvorstellungen für Wissen, Urteilskraft und Geist hält. Dabei scheint er selbst dem Absturz und dem Wahnsinn nah – wie seine Opfermädchen in den Filmen, die so seltsam luftig sind, als hätten sie gar keine Füße. Sie sind so schwach, sie knicken so leicht ein, verderben, sterben, gehen ins Wasser… Gefahr, Gefahr, Gefahr; das Sexuelle, Wilde, Neue, Andere wird dämonisiert, als dunkel, ungeheuerlich hingestellt. Harlans Panik gibt ihm übersensible Antennen für das, was Kunst und Sexualität seelisch tatsächlich ja bewirken können – nur bewertet er es anders als ich. (Hier seine berühmte Party bei Boris in DAS DRITTE GESCHLECHT.) Eine Paranoia wie die seine war aber nicht mal in den biederen Fünfziger Jahren üblich; selbst brave, bürgerliche Komödien begegneten der Moderne nicht so intolerant wie er. So wird die Skiffleband der Jungs (und Mädchen!) in Rudolf Schündlers DER TREUE HUSAR ausdrücklich gut geheißen: Die jungen Leute sollen sich austoben, die Zimmerwirtin bringt ihnen sogar ein Tablett mit Coca-Cola in den Proberaum. Harlan hingegen beleuchtet seine – übrigens sehr gute – Skiffleband in LIEBE KANN WIE GIFT SEIN wie Dämonen und lässt Joachim Fuchsberger nur vom sicheren Rand aus zuschauen, wie Renate Ewert sich unschuldig fröhlich auf der Tanzfläche tummelt.
Sie ist so imprägniert, so gegen alles abgedichtet wie ein properes Entenmädchen. Immer oben, formvollendet, während Magdalena… mit ihr läuft es am Ende völlig aus dem Ruder. Sie siecht dahin und stirbt. Nicht an einer Krankheit, sondern an ihrer süchtigen Verkommenheit. „Ein Leib, der das Ebenbild Gottes ist, verkauft für eine Liebe, die keine Liebe ist“, heißt es dazu. Das könnte zwar auch als Fazit am Ende des Neuen Testaments stehen, aber das fällt dem Film nicht auf. Paul Klinger steht (Maria) Magdalena in ihren letzten Stunden geistlich bei, damit ihre Seele nicht in die Hölle kommt – expressionistische Szenen von einer abgehobenen, vor Falschheit schreienden Religiosität, die selbst dem Katholischen Filmdienst zu viel waren: „Wegen fehlender sittlicher Ernsthaftigkeit und krassen Missbrauchs religiöser Motive entscheiden abzulehnen“… das klingt schon beinah wieder reizvoll.
Howgh. Zufrieden mit mir bin ich nicht, aber ich schließe diesen Text jetzt ab. Vielleicht bringt ein anderer Harlanfilm mir mehr Aufschluss – ICH WERDE DICH AUF HÄNDEN TRAGEN, den ich mir gerade bestellt habe, oder HANNA AMON, über den ich hier und hier (17. 5. 2011) schon Interessantes gelesen habe.
BRD 1958, Regie: Veit Harlan
5 Kommentare zu "Liebe kann wie Gift sein"
@Manfred: Reinhard Kolldehoff – ich hab’s jetzt nachgelesen. So ein bekannter und vielbeschäftigter Mann, und ich kannte ihn nicht. Das ändert sich zum Glück ab jetzt! – Ja, der Ausschnitt ist wirklich unglaublich. Ich guck mir den immer mal wieder an.
@ Zora: Man blickt nicht durch. Mal ist er ein Stück Brot, mal eine Frau, ein Lamm, ein Sohn. Und all diese Ebenbilder werden geopfert, anscheinend um zu zeigen: Darauf kann ich verzichten, denn ich habe das Original. Es ist ein Graus.
@Sebastian: Über „Ich werde dich auf Händen tragen“ mache ich mich als nächstes her. Körber und Söderbaum im Duell! Ich bin gespannt. – Bei der Einschätzung der Kirche bin ich meinen Pauschalurteilen zum Opfer gefallen. Das wird mir eine Lehre sein. Die Türme haben sie aber wirklich sehr ähnlich gebaut im Hansaviertel, wenn ich mir das auf deine Informationen hin auf den Screenshots ansehe. Bei der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Konfessionen kam man anscheinend auf eine Art Skelett. – LIEBE KANN WIE GIFT SEIN gucken: Um ein Haar hätte man den Film wenigstens in Aachen im Kino sehen können; wir wollten ihn im Herbst in unserer Reihe Tiefpunkt Film zeigen. Aber sie haben die Reihe gecancelt. Vor ein paar Tagen haben wir’s erfahren. Vielleicht finden wir einen anderen Kinobetreiber, aber das steht noch in den Sternen.
Der verlinkte Ausschnitt aus ANDERS ALS DU UND ICH aka DAS DRITTE GESCHLECHT ist ja ein Knüller. Wenn man nicht wüsste, wer Harlan war, könnte man es für Satire halten, aber so ist es ein Meisterwerk des unfreiwilligen Humors. Friedrich Joloff wirkt, als wäre er hier schon von den Frogs umgedreht worden, und nicht erst in der letzten Folge von RAUMPATROUILLE. Und Oberförster Christian Wolff als sein Opfer. Heiliger Strohsack!
Der Fellini-Imitator ist Reinhard Kolldehoff.
„Ein Leib, der das Ebenbild Gottes ist“ – a-HA! gott ist also doch eine frau.
Da bin ich aber neidisch. Diesen Film will ich schon seit langer Zeit sehen, hatte aber leider noch nie Gelegenheit. Wenigstens verschafft mir Dein schöner Text mit den wieder mal tollen Screenshots jetzt einen Eindruck. »Hanna Amon« fand ich großartig (im Sinne von: völlig überkandidelt). »Ich werde dich auf Händen tragen« war mir persönlich etwas zu verhalten (für Harlan-Verhältnisse), wobei das Duell seiner beiden Ehefrauen Körber und Söderbaum natürlich klasse ist.
Das Gotteshaus auf den ersten beiden (kleinen) Bildern ist übrigens die katholische Kirche St. Ansgar im Hansaviertel (auch Katholen können ihren Glauben in Beton gießen), den Turm der evangelischen Kaiser-Friedich-Gedächtniskirche sieht man auf BIld 3 und 4 im Hintergrund.
Trackbacks für diesen Artikel