Unsere Mütter, unsere Väter

Von  //  3. Mai 2013  //  Tagged:  //  Keine Kommentare

Nationale Übersichten zeitgenössischer Filme enthalten in sich ein unerbittliches Paradox: Die Werke, die sich am besten zur Repräsentation der „aktuellen Lage“ eignen, sind selten die künstlerisch überzeugendsten. Repräsentative Filme erhalten ihre Bedeutung aus dem Bestreben der Kritiker, möglichst augenfällige Parallelen zwischen dem Film und ihren unmittelbar politischen oder artverwandten Kontexten auszumachen. Dies sind denn auch die Titel, die bei ihrem Erscheinen am meisten beachtet werden.

Der Nationalsozialismus, der 2.Weltkrieg, der Holocaust sind Eckpunkte eines Diskurses, in der der moralische Kompass seit 1945 eingebettet ist. Insbesondere in Deutschland scheint dieser Kompass für die demokratische Kultur immanent zu sein. Der Zeitraum 1933-1945 ist die Reifeprüfung aller Reifeprüfungen, eine Reifeprüfung mit einer langen Geschichte und, soviel weiß man 2013 nun, einer sehr langen Zukunft. Die moralische Bankrotterklärung eines ganzen Volkes. Es bleiben Wut, Ernüchterung, Misstrauen und Protest – und die Frage nach den Grenzen menschlicher Bestialität.

Seit dem Auftreten eines gewissen Guido Knopp ist dieser Zeitabschnitt zu einem Feld der neuen Empfindsamkeit verkommen. Da wird die Tippse, der Schrankwart, die Cousine zweiten Grades irgendeiner echten oder vermeintlichen NS-Größe befragt woran sie sich nach all den Jahren erinnert oder meint zu erinnern. Es werden Retrospektionseffekte, Erinnerungsverfälschungen und Bilder der Nazi-Wochenschauen als die glaubwürdigen Dokumente präsentiert, die sie nie gewesen sind. Dabei schimmert eine Ideologie durch, die man freundlich aber bestimmt als Revisionismus kennzeichnen sollte. Scheinbar musste man mediale Präsenz zeigen, wo von Seiten der US-amerikanischen Filmindustrie eine naive Gegnerschaft erwartet wurde. Lange Zeit war der Nazi dort ein böser Mensch, der böses tut, weil es ihm Spaß macht. Er zog in die Welt aus um sie zu vernichten. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus gedeiht auch deswegen, weil das amerikanische Erklärungsmodell „Wir die Guten gegen dort die Bösen“ zwar greift, aber entstellend verkürzt. Das wirft das Problem historischer Transparenz auf und führt im schlimmsten aller Fälle zu einem falschen Einfühlungsvermögen, zu Sätzen und „Erkenntnissen“ wie „Die hatten ja keine andere Wahl.“

Am 17., 18. und 20. März benutzt die Produktion von Nico Hofmann „Unsere Mütter, unsere Väter“ das Knoppsche Seifenblasengebilde als Fundament und errichtet ein merkwürdiges Kettenkarussell, dem fünf junge Menschen dienen und als das Karussell dann anhält, weiß keiner mehr wie ihm geschah.
Im Sommer 1941 nehmen Wilhelm (Volker Bruch), Friedhelm (Tom Schilling), Greta (Katharina Schüttler), Viktor (Ludwig Trepte) und Charlotte (Miriam Stein) voneinander Abschied. Friedhelm und Wilhelm müssen als Wehrmachtssoldaten an die Ostfront. Greta möchte Sängerin werden. Charlotte meldet sich zum Freiwilligeneinsatz als Krankenschwester. Viktor ist Jude und muss aufpassen, dass ihn niemand erwischt. An der Ostfront angekommen, muss Wilhelm zu erst einmal einen Politkommissar erschießen. Das findet er nicht besonders schön, weil es außerhalb seiner Offiziersehre liegt. Doch schon bald darauf gerät er ins Staunen, als SS und SD richtig anfangen zu wüten. Im Rahmen der Operation Zitadelle stürmt er mit seiner Einheit eine Telegrafenstation. Da sich die Russen dieses Mal zur Wehr setzen, fallen die meisten seiner Soldaten. Von einer einschlagenden Granate wird er dermaßen traumatisiert, dass er sich in eine Hütte schleppt, wo er von Feldjägern aufgegriffen und als Deserteur zum Tode verurteilt wird. Scheinbar hat er Glück im Unglück, denn er wird in eine Bewährungskompanie versetzt. Da der Sadismus seines Vorgesetzten jedoch alles ihm bis jetzt Bekannte überbietet, ersticht er ihn und kehrt als gebrochener Mann nach Berlin zurück. Sein Bruder Friedhelm ist skeptisch und meldet sich nie freiwillig zu Kriegseinsätzen. Das stört nicht nur seine Kameraden, sondern auch seinen Bruder Wilhelm. So unternimmt er auch nichts, als Friedhelm zusammengeschlagen wird. Als Konsequenz gehen Friedhelm selbst grundlegendste Emotionen verloren. Er erschießt Zivilisten, bricht den Heimaturlaub vorzeitig ab und (ver)endet als Kommandeur eines Volkssturmtrupps. Charlotte ist Krankenschwester in Wilhelms und Friedhelms Infanteriedivision: Am Anfang ist sie mit den Kriegsverletzungen der Soldaten überfordert, arbeitet sich aber ein und verrät die Krankenschwester Lilija (Christiane Paul) wegen ihrer jüdischen Religion. Sie gesteht Wilhelm ihre Liebe. Der weist sie zurück. Kurz darauf muss die Infanteriedivision abziehen. Charlotte bleibt mit den Schwerverwundeten zurück. Die Russen tauchen auf, erschießen die Verwundeten und vergewaltigen Charlotte. Greta beginnt eine Affäre mit dem SS-Mann Dorn (Mark Waschke). Sie bittet ihn darum Viktor zu evakuieren. Dorn hintergeht sie und lässt ihn deportieren. Als Sängerin feiert sie kleine Erfolge, überschätzt sich jedoch und wimmelt einige aufdringliche Soldaten mit dem Satz ab: „Ich habe eine Überraschung für Sie, meine Herren – Der Endsieg wird wohl ausfallen!“. Sie wird wegen Herabwürdigung des Führers und Defätismus festgenommen. Das Verhör führt SS-Mann Dorn. Während des Verhörs offenbart sie ihm ihre Schwangerschaft. Dorn verprügelt sie. Greta wird inhaftiert und kurz vor Kriegsende erschossen. Viktor wollte eigentlich fliehen, wird jedoch wegen Gretas Naivität in einen Viehwaggon gesteckt und in Richtung eines Konzentrationslagers gesteckt. Gemeinsam mit Alina (Alina Levshin) kann er die Bodenbretter aus dem Waggon reißen, lässt sich von polnischen Partisanen anwerben, überfällt mit Ihnen weitere Züge. Nachdem die Stellung der Partisanen aufgeflogen ist und die Mehrheit von Ihnen durch Friedhelm und seine Männer den Tod findet, kehrt er zurück nach Berlin. Dort erfährt er, dass Greta tot ist und SS-Mann Dorn in der alliierten Militärverwaltung arbeitet.

Die Offenheit für die Naivität und Lüge, die Parteinahme für das tägliche Morden, indiziert, dass viele der Kriegsgeneration Kritik an Volksgemeinschaft, Antisemitismus und dem scheinbar ganz normalen Wahnsinn nur deshalb so schnell und bereitwillig adaptierten, weil sie darin die Chance witterten, ihre althergebrachten Überzeugungen in einer unverdächtigen Form zu konservieren, die zugleich Kompetenz und Problembewusstsein signalisiert, ohne dass aus dem Adaptierten Konsequenzen gezogen werden müssten. So entblödet sich Produzent Hofmann in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Das Budget musste runter auf 15 Millionen Euro. Eine Amerika-Episode fiel heraus, man verlegte sie nach Polen, das war billiger und passt viel besser.“ Die Figur Viktor geht also nach Auschwitz, weil das billiger ist. Vergast wird er jedoch nicht, eben weil Viktor wundersamer weise Werkzeuge besitzt und auch sofort eine Helferin findet, die ihn unterstützt.

Bei „Unsere Mütter, unsere Väter“ geht man mit dem Morden im Gegensatz zum echten 2.Weltkrieg haushälterisch um. Jeder Tod ist dramaturgisch gerechtfertigt, hat einen Sinn und wird von verrohten Sadisten ausgeführt. Das Massensterben und die planmäßige Ermordung ganzer ethnischer Gruppen scheinen nicht zu existieren oder sie existieren außerhalb der wirklich sehr begrenzten Wahrnehmung der Charaktere. Es ist auch diese naive, unpolitische Begrenztheit die hier dazu instrumentalisiert wird, Verrat und Feindschaft massendemokratisch in Szene zu setzen und für Zuschauer eines diskursiv halbwegs durchgesetzten Multikulturalismus verständlich zu machen.

Man sieht eben nicht unsere (Groß)Mütter, unsere (Groß)Väter, man sieht sich selbst. Dieses projizierte Selbstbildnis hat sich unbedingt an die Erfordernisse der Arbeitswelt Krieg anzupassen: Befehlen und Gehorchen stehen bei keinem der fünf Protagonisten im Vordergrund, sondern achtsame Beharrlichkeit, autonome Leistungsbereitschaft und flexible Reaktion bis hin zur Antizipation von ungewohnten Situationen und nicht klar prädizierbaren Aufgaben. Nicht schießen und marschieren, lauten deshalb die Forderungen von Vorgesetzen und Kameraden, sondern „Lösungen finden“. Krieg als Hochleistungstotschlag stellt die Figuren eher vor Situationen wie in einer Schulprüfung oder in einem Assessmentcenter. Die Tragik der fünf Figuren besteht darin, dass sie diese Prüfungen alle bestehen und gerade deshalb scheitern. Die Reflexion zu diesem System endet dann im plumpen, wenn auch minutiösen Nacherzählen. Nur wenn der Vorgesetze sein wahres Gesicht zeigt, nämlich das des Befehlsvermittelnden, regt sich Widerstand und Entsetzen. Was natürlich nicht heißt, dass die Typologie der fünf Freunde um eine weitere soziale Botschaft erweitert werden muss: Sie sind es, die sich in der Schule nicht hängen lassen, die mehr einbringen als sie müssen. Sie sind es, die noch Freundlichkeit und gute Manieren in Überlebenskämpfe werfen, in dem nicht mehr Kraft, sondern hartnäckige Beflissenheit zählen. Erst als man Ihnen auch das nicht mehr zugestehen kann oder will, sind sie gebrochen, enttäuscht und entsetzt. Nur das nehmen sie als Unmenschlichlichkeit zur Kenntnis.

Die Figuren die hier vom Dritten Reich (und Produzent Hofmann) auf das Feld der Ehre geführt werden, sind also keinesfalls mehr das, was beispielsweise das amerikanische Kino in ihnen sehen will. Sie symbolisieren nicht mehr das rassistisch militarisierte soziale Schutzversprechen, also blonde Teutonen, die sich zum Erfolg kämpfen, sondern vielmehr den Appell, sich in einer totalisierten Konkurrenz gefälligst anzustrengen und Misserfolg nur noch als Ansporn für die Zukunft anzunehmen. Wobei den Überlebenden der fünf Freunde nicht klar ist, worin denn nun genau der Misserfolg besteht.

Somit knüpft der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ allerbestens an die Emanzipation der modernen Kriegsführung vom Soldatenmaterial von einer quantitativen zu einer qualitativen Größe an. Man hat sich ja auch verbessert. Schließlich kommt militärische Effizienz inzwischen ohne ideologische und nationale Begeisterung aus. Der moderne Soldat tut nicht mehr seine Pflicht für Führer und Vaterland, sondern seine technisch hoffentlich interessante Arbeit. Du tust Deinen Job und ich Meinen. Der militärische Apparat läuft am besten bei politischer Apathie, und die verbreiteten rechtsradikalen Tendenzen im bundesdeutschen Offizierskorps bleiben Versatzstücke. Als Integrationsideologem sind sie verzichtbar. Der politisch indifferente Militärtechniker hat den rassenfanatischen SS-Mann als Inkarnation soldatischer Existenzweise für immer abgelöst, und der Selbstlauf des militärischen Apparates kann auf Propagierung ideeller Ziele weitgehend verzichten. Der Landsknecht des 30-jährigen Krieges entsteht dank des Leidens von Quotenheulsusen wie Tom Schilling und Miriam Stein neu.

Deutschland 2013, Regie: Philipp Kadelbach


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