Maria – Nur die Nacht war Zeuge

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Maria: „Maria – Nur die Nacht war Zeuge“ von Ernst Hofbauer ist der erste Film in unserer Reihe, in dem eine Vergewaltigung im Nachhinein offen thematisiert und die Reaktionen des Umfeldes ausführlich aufgezeigt werden. Irritierenderweise ist es auch der erste Film, bei dem ich Dich die ganze Zeit fragen wollte, ob Du nicht eine Runde Hawaii-Toast oder Weincreme machen möchtest und wir uns danach noch eine Folge „Traumschiff“ reinziehen, so eingefangen hat er mich in seine – durchgehend! – leichte, 80er-Jahre-Sommer-Atmosphäre.

Das beginnt bei Maria, der Hauptfigur, die auch schon aussieht wie damals das schöne Mädchen mit den seidigen blonden Haaren aus der Timotei-Werbung, also die Sorte Mädchen, bei dessen Anblick man noch nicht mal im Alter von 8 Jahren so verblendet war zu denken, dass man jemals auch so aussehen könne. Maria lebt in Athen und alles läuft prima, das macht uns der Film schon in den ersten 10 Minuten klar: Sie hat den Taxifahrer Panos geheiratet, der überschwängliche Briefe an seine alte Mutter in Italien schreibt und sein Glück („eine Deutsche!!“) kaum zu fassen weiß, sie darf den Kollegen ihres Mannes ungestraft Beulen ins Auto fahren („das macht doch nichts, Maria!“), reiht sich nahtlos in den Sirtaki ein, der hier in bollywoodreifen Szenen ganz selbstverständlich mitten am Tag auf der Straße von zig Athenern getanzt wird. Gekrönt wird diese Collage perfekter Momente von Weichzeichner-Sex im Gegenlicht, wehende Vorhänge und das am hellichten Tag, ein schönes Leben hat die Maria da in Griechenland, haben wir uns gesagt.

Doch das Böse lauert in Gestalt von Bernd, auch Deutscher und Ringleader einer Gruppe drogensüchtiger Tunichtgute, von den guten Bürgern auch als „Hippies“ bezeichnet, die den ganzen Tag über zugedröhnt und barfuß im Café zu dem tanzen oder eher vor sich hin wabern, was Hofbauer respektive sein Komponist wohl unter psychedelischer Musik verstanden. Bernd hat sich in den Kopf gesetzt, den schwulen Stavros, gegen den er einige Druckmittel in der Hand hat, zum Sex mit einer Frau zu nötigen. Interessant, dachten wir, ein Schwuler wird dazu gezwungen, eine Frau zu vergewaltigen, welche Konflikte wird das wohl geben? Doch, wie so oft in diesem Film, merkten wir schnell, dass das wahrscheinlich eine interessante Idee Hofbauers war, der im weiteren Handlungsverlauf wenig Bedeutung zukommt…

Silvia: Hofbauer scheint in dieser Phase seines Filmemachens vieles gleich bedeutsam zu sein. Er schöpft aus dem Vollen und reißt dabei manches, was die Neugier reizt, nur an; all die angedeuteten Beziehungen und Personen muss man sich erst sortieren (die Sortierung in Pärchen scheitert interessanterweise dabei weitgehend). Da sind die leicht verwechselbaren blonden, deutschen Mädchen (Maria, Susan, Miriam und die verwirrend ihre Haarlänge wechselnde Renate), die ungewöhnlich gecasteten, hinreißend ungestylten alten Frauen, die rauen, autoritären Männer, das gleitende Durcheinander von Gerede, Blicken, Kommen und Gehen. Die Straßenszenen wirken oft so beiläufig, als hätte man sie heimlich mit dem Teleobjektiv gefilmt, mitsamt zufällig zuguckender, Eis essender Kinder. Urlaubsflair und Lokalkolorit verschränken sich mit Bernds Milieu, und die Kamera läuft mit schöner Ruhelosigkeit erst durch alle Gläser auf dem Tisch, bevor sie bei den Personen ankommt, ihnen kurze, aufmerksame Blicke widmet und dann wieder ihre Augen überall hat, bei scheinbar Unwichtigem, während man die Leute reden hört, die wir gerade gesehen haben oder gleich sehen werden.

Die Vergewaltigung wird von Bernds Bande, zu der auch Stavros gehört, angeleiert, um Stavros „umzuschulen“. Eigentlich wollten sie Marias Kollegin Renate haben, denn „die lässt jeden drüber.“ Aber sie hat ihren Dienst mit Maria getauscht. Über die Beziehung Bernd –Stavros kann man nur phantasieren; abgesehen davon, dass Bernd ein Aas ist, das gern andere demütigt und seine eigene Grausamkeit genießt, will er Stavros vielleicht auch gern beim Ficken zusehen oder durch „echte“ Bilder die ihn peinigende Vorstellung überwinden, für ihn als Sexobjekt in Frage zu kommen. Die Kamera wird zu Bernds Augen und kostet die Angst der ihr entgegenschauenden Opfer Stavros und Maria aus. Sekunden später sieht man nur noch Bernds Beine hinter dem Klavier hervorzucken, während er Maria als Erster vergewaltigt, bevor Stavros es ihm gleich tun muss; diese Beine wird man ganz am Ende noch mal ähnlich auf dem Boden zappeln sehen. Die Vergewaltigungen sind ein Chaos, ein rapide und lässig montiertes Kunstwerk aus wechselhaften Schnitten, Teilen von Körperteilen, Drehorgelgeklimper, Stavros’ traurig-entsetztem Blick, Marias Tränen… „versteht ihr nicht, was ihr mir antut?“, schreit sie.

Der Ermittler hört gerade eine trügerische Opernarie, als ihm die Polizisten die verstörte Maria bringen. „Ihr habt Glück, ihr beiden“, sagt dieses grandiose Schwein zu seinen Assistenten, „gleich in eurer ersten Woche könnt ihr lernen, wie man dahinter kommt, ob ein Weib lügt oder nicht.“ Laut ihm gibt es vier Möglichkeiten: 1. Die Vergewaltigung ist wirklich geschehen. Aber das ist sehr selten. 2. Sie beschuldigt ihn aus Rache, weil er sie hat sitzen lassen. 3. Sie stellt ihren Seitensprung als Vergewaltigung hin. 4. Sie hält ihren rauschvernebelten Sex mit „Irgendwelchen“ für eine Vergewaltigung. Der Kommissar (faszinierend: Eric Pohlmann) kaut und würgt diese Belehrung wie etwas Fettiges aus seinem Schlund, mit hohl dröhnender Stimme und britisch-wienerischem Zungenschlag. Er misstraut nicht nur Maria, sondern auch sämtlichen Männern. „Jetzt machen Sie mal einen Gehirnstriptease und entblättern Sie Stück für Stück die Wahrheit“, herrscht er einen an. Für seine Inszenierung solcher Sätze will ich Hofbauer immer laut applaudieren, auch schon bei dem Kommissar in HEISSES PFLASTER KÖLN („Ich rate Ihnen dringend, Ihre zweieinhalb Zentner mit Phantasie anzureichern!“).

Maria: Und dann schleift sich dieses arme Fräuchen in zerfetzter Kleidung aus den verbalen Klauen dieser Monstrosität in den vermeintlichen Schutz des eigenen Hauses, um dort von einem eifersüchtigen Ehemann, der sie kaum zu Wort kommen lässt, empfangen zu werden. Ihre angesichts dieser lieblosen Begrüßung hervorgepresste Notlüge, sie sei bei einer Freundin gewesen, glaubt er natürlich nicht, bemüht sich aber auch nicht um die Wahrheitssuche, sondern schleudert sie kurzentschlossen quer über die Veranda. Was sagt man dazu? Ich weiß nicht, ob Hofbauer die Briefe, die dieses Machoviech an seine Mutter in Italien schreibt, als Korrektiv erdacht hat, aber deren Tenor a la „es ist vorbei, Mama – sie hat mich nun so weit, dass ich sie schlage“ wird auch durch Spurenelemente von Selbstkritik („vielleicht tu ich ihr ja Unrecht“) nicht sympathischer. Ebenso wenig vermag die Mutter des Vergewaltigers im Gerichtsprozess, meinen Ekel vor diesem triefigen, knopfäugigen Widerling zu beschwichtigen. Jaja, nicht genug Liebe hatte der arme Junge, und keiner hatte für ihn Zeit! Monster haben diese Mütter hervorgebracht, beide auf andere Weise, und nun muss die arme Maria den Scheiß ausbaden.

Warum bleibt sie nicht bei Renate, die ihr als Einzige Zuflucht bietet, sondern lässt sich von dem Ehemann zurück in den heimatlichen Käfig holen? Renate ist so clever, wie du ja oben schön zitierst, „jeden über sich drüber“ zu lassen, und danach jagt sie ihn schön aus der Wohnung, was mir angesichts der Männer, die uns dieser Film zeigt, als einzig praktikable Lösung erscheint.

Silvia: LOL. Wohl wahr! Am Anfang, als er aus dem Wasser stieg, weißt du noch, Maria, kam uns Panos einfach vor wie ein nasser, schöner Mann. Und als seine Mamma ihn zur Welt gebracht hat, hätte sie bestimmt auch nicht gedacht, dass DAS einmal aus ihrem Baby wird. Genauso wenig wie die felsenfeste und massive Dame (Bernds Mutter), die sich im Gericht beschuldigt, ihr eigenes Leben gelebt zu haben, statt sich für diesen Sadisten aufzuopfern. „Bürgerliche Sau!“ kriegt sie von Bernds Drogenkunden im Gerichtsaal zu hören. Der Staatsanwalt ist die einzige verständnisvolle, männliche Stimme; ansonsten wird hier alles überschwappt von fiesen Meinungen.

Maria: Ja, und leider überlebt Maria das nicht. Als sich Panos, in seiner Rückgratlosigkeit ob der neuerlichen Beschuldigungen gegen Maria im Gerichtssaal verunsichert, von ihr abwendet und die Scheidung fordert, vergiftet sie sich. Panos, der sie findet, kauert hilflos und wie ein kleiner Schuljunge am Bettende, wird immer kleiner und kleiner, so dass ich dachte, gleich hast Du die richtige Größe, um in Deine Mama zurückkriechen zu können. Und es ist klar, dass so ein Würstchen auch nicht seine eigene Schuld an diesem Selbstmord erkennen kann, sondern wie die erbärmlichste, gewollte und nicht gekonnte Furie aller Zeiten den Vergewaltiger Bernd heimsucht – und zwar mit einer Harpune. Schau, sagte ich zu Dir, da kommt der beleidigte Captain Ahab für Arme, der das Monster doch in Wirklichkeit für seine eigenen Versäumnisse bestraft. Und dann gibt es just in dem Moment, in dem er Bernd mit dieser Harpune erlegt, eine kurze Einblendung von Panos‘ leidender Mama in schwarzem Trauerschal, und seine Stimme tönt aus dem Off darüber: „Ich musste es tun, MUTTER!“ Alles Fotzen außer Mutti, und Mutti wird schon alles verstehen. Besser und folgerichtiger hätte dieser Film nicht enden können.

Silvia: Besser und folgerichtiger kann auch unser Gespräch nicht enden! Bleibt noch zu erwähnen, dass unsere Freunde bei den „Eskalierenden Träumen“ vor kurzem einen Dialog über MARIA – NUR DIE NACHT WAR ZEUGE geführt haben, und zwar hier.

BRD/Italien, 1976, Regie: Ernst Hofbauer, Kamera: Charly Steinberger, Musik: Riz Ortolani

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7 Kommentare zu "Maria – Nur die Nacht war Zeuge"

  1. Sano 5. Mai 2013 um 18:40 Uhr · Antworten

    Boah, ihr seid ja fast so brutal wie der Film.

    Habe ihn wohl eher Gesamtgesellschaftlich(er) rezipiert, und alle als Opfer und Vollstrecker gesehen. Und Maria und Panos spiegeln sich ja in ihrer gegenseitigen Hilflosigkeit ganz gut. Macho-Allüren konnte ich da bei Panos nicht erkennen. Er war ja eben kein Macho, sondern von allem völlig mitgenommen – wie ein kleines Kind, wie ihr so treffend schreibt. Ich fand übrigens alle Figuren furchtbar. Renate ist ja auch völlig unfähig Maria zu helfen, die Mutter von Bernd ist das Scheusal zu dem Bernd sich in Bespiegelung folgerichtig auch entwickelt hat, und das eingeworfene „Bürgerliche Sau“ war für mich genau deshalb so effektiv, weil es für mich stimmte, trotz/obwohl es von einem Arschloch eingeworfen wurde. Fast jeder hat in dem Film nur Verständnis und Mitleid für sich Selbst, bzw. seine eigene schmale Lebenswirklichkeit. Den Staatsanwalt fand ich auch schrecklich. Überhaupt unfassbar, nach dieser enorm grausamen und aufs wunderbarste ästhetisierten Vergewaltigungssequenz erleben zu müssen, wie die Gerichtsverhandlung, also das „Recht“ nochmal ne Schippe an Grausamkeit und Menschenverachtung draufsetzt.

    • Silvia Szymanski 6. Mai 2013 um 10:33 Uhr ·

      Vielleicht würdest du nur die scheinbar völlig schmerzunempfindlich ihr Ding durchziehenden Machos „Machos“ nennen, Sano? Panos ist sicher sehr unglücklich. Aber doch nur, weil er seinem falschen Urteil über seine Frau mehr Glauben schenkt als ihr und selbstquälerisch Zweifel an ihr hegt, statt zu ihr zu stehen. Renate und der Staatsanwalt versuchen wenigstens, Maria zu unterstützen. Ich sehe Panos als Leidenden, aber nicht als Opfer. Man könnte doch die Möglichkeit nutzen, sich gegen den gesamtgesellschaftlichen Strich und die eigene Programmiertheit zu verhalten, wenn einem etwas/jemand wichtig ist.

    • Maria Wildeisen 6. Mai 2013 um 13:27 Uhr ·

      Dem kann ich mich nur anschließen. Für mich ist er ein Macho, weil er nur den Männern glaubt, nicht seiner eigenen Frau. Wenn die behaupten, dass sie bei der Vergewaltigung Spaß gehabt hat, wird das schon so sein. Schade, dass er am Ende noch lebt.

    • Sano Cestnik 8. Mai 2013 um 02:04 Uhr ·

      :-D Habe das etwas “differenzierter” wahrgenommen (also während dem Filmerlebnis) kann es aber aus eurer Sicht nachvollziehen. Ich verstand sein Verhalten aber persönlich stärker von religiöser (katholischer) Erziehung bestimmt – dass er Maria zwar eher glaubt als den anderen Personen im Film, aber es nicht akzeptieren kann, dass ihnen (und vor allem ihm) Gott so eine “Strafe” zukommen ließ.

      Naja, wie auch immer. Schön von euch einen Text zu diesem betörend-verstörendem Film zu lesen.

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