Evil Dead
Von Oliver Nöding // 22. Mai 2013 // Tagged: Fede Alvarez, Horror, Sam Raimi, Splatter // 5 Kommentare
Sam Raimis TANZ DER TEUFEL genießt hierzulande nicht zuletzt dank seiner komplizierten und unglücklichen Rezeptions- und Zensurgeschichte den irreführenden Ruf eines Hardcore-Horrorfilms. Diese Etikettierung unterschlägt, dass er viel mehr ist als das und im von maskierten Killern dominierten Horrorkino seiner Zeit zudem einen krassen Außenseiter darstellt, eine vollkommen singuläre Erscheinung. Raimi verbindet gängige Horrormotive – Teenies auf Wochenendausflug, Spukhaus, dunkler Wald, Beschwörungsformeln, Zombies, Dämonen, Besessenheit – mit Slapstick- und Cartoonhumor und stellt visuelle Gestaltung und hohe Schlagfrequenz über Narration, Plot und dramaturgische Erwägungen. Jede Ungewissheit darüber, worum es Raimi eigentlich ging, fegt spätestens sein Sequel von 1987 mit aller Vehemenz hinfort: Hier gibt es nun nicht einmal mehr den Anflug einer Exposition, das Drehbuch leistet kaum mehr, als den Rahmen für Raimis visuelle Gags und spektakuläre Set Pieces zu liefern. It’s deconstruction, baby!
Es war nicht erst seit dem Erscheinen der ersten Teaser im Netz klar, dass Fede Alvarez‘ sich auf gängigeren, befestigten Pfaden bewegen würde. Er betrachtet Raimis Vorlage lediglich als Stofflieferanten, weniger als stilistisches Vorbild. War Raimis TANZ DER TEUFEL eine kleine Stunde Null, ein Film ohne Präzedenzfall und ohne ernstzunehmende Nachahmer, ist Alvarez‘ Remake ein konservativer Splatterfilm, typischer Vertreter des gegenwärtigen Teenagers-in-Peril-Films, formal ganz Kind seiner Zeit. Darüber können auch seine extremen Härten, die dem von BPS und FSK sonst so wohlbehüteten deutschen Zuschauer in voller, blutiger Pracht zugemutet werden, nicht hinwegtäuschen. Aber er ist, das sollte auch nicht verschwiegen werden, ein überdurchschnittlich gut gelungener Vertreter seiner Zunft und der seltene Fall eines aktuellen Horrorfilms, der nicht mit blöden Zugeständnissen oder „originellen“ Last-Minute-Twists nervt, sondern seinen gewählten Weg mit äußerster Konsequenz beschreitet.
Bezog Raimis Film seinen ans Surreale grenzenden Charme vor allem aus jeglichem Verzicht auf einen narrativen Rahmen, reichert Alvarez die stichwortartigen Hinweise der Vorlage mit viel Exposition an: Ein Prolog zeigt, was sich einst im Keller des Hauses, das der Schauplatz von EVIL DEAD ist, abspielte, gibt einen Hinweis darauf, was seine Protagonisten dort erwartet. Und diese quartieren sich dort nicht etwa ein, um ein bierseliges Wochenende zu verbringen, sondern um einer von ihnen, der drogenabhängigen Mia (Jane Levy), beim kalten Entzug behilflich zu sein. Waren die Protagonisten von TANZ DER TEUFEL lediglich knapp umrissene Figuren, nur der Rohstoff, an denen Raimis Kreativität sich abarbeiten konnte, stattet Alvarez sie für sein Remake mit Backstory und Charakterisierung aus. Er strebt eine tiefere emotionale Involvierung seiner Zuschauer an, während Raimi sich gewissermaßen damit begnügte, sie auf eine 80-minütige Achterbahnfahrt zu schicken, bei der es nur wenig Spielraum zwischen Geschrei und Gelächter gab. Das gelingt Alvarez nur bedingt: Im Finale wünschte man sich die ein oder andere Straffung, weil das Bombardement aus ausgewalzten Gewaltszenen deutliche Ermüdungserscheinungen zeitigt und das Geschehen einfach zu abgehoben ist, um es noch ernst nehmen und mit den Charakteren wirklich mitfiebern zu können. Aber letztlich ist das egal.
Denn als Lieferant hässlicher Bilder blutiger Verstümmelungen und Mutationen, als Affektmaschine also, ist EVIL DEAD erstklassig. Alvarez verzichtet fast gänzlich auf CGI-Effekte, greift stattdessen auf die gute alte Effekttradition von Latex, Make-up und künstlichen Gliedmaßen zurück, die seinem Film in den heftigen Splatterszenen eine dem Horrorfilm zuletzt abhanden gekommene Plastizität verleiht. Wie EVIL DEAD in dieser Form deutsche Kinos erreichen konnte, stellt den Zuschauer dann auch vor ein kaum zu lösendes Rätsel: Ich kann mich an keinen Film erinnern, der in den letzten Jahren eine auch nur annähernd ähnlich hohe Zahl von detaillierten Onscreen-Verstümmelungen, -Amputationen und Schlitzereien aufgefahren, sich mit ähnlich viel sadistischer Freude in Großaufnahmen klaffender Wunden und zerreißenden Fleisches gesuhlt und sich dabei förmlich in einen Blutrausch hineingesteigert hätte. Es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die Staatsanwaltschaft eingreifen wird – auch wenn Alvarez in der Interpretation der wohl berüchtigtsten Szene des Originals etwas kneift: Der Baumangriff ist in seiner Version weniger Vergewaltigung als „nur“ Übertragungsweg der Dämonenseuche. Formal ist der Regisseur deutlich weniger kreativ als in der Erfindung schmerzvoller Wege, Körper zu deformieren: Optisch steht EVIL DEAD mit seiner monochromen, schmutzigen Farbpalette ganz in der Tradition des aktuellen Horrorfilms, doch steht dieser Stil ihm durchaus gut zu Gesicht. Er wirkt keinesfalls effekthascherisch und aufgesetzt, wie so oft, sondern unterstreicht die beachtliche, finstere und bösartige Atmosphäre des Films, die sich nicht zuletzt in seiner kaum verhohlenen überdrehten Misogynie zeigt: Es ist schon sehr auffällig, dass es hier ausnahmslos weibliche Dämonen sind, die den männlichen Opfern massiv zusetzen. Hier bietet sich dann vielleicht auch ein Ansatz, sich tiefer mit dem Film auseinanderzusetzen.
Resümierend lässt sich sagen, dass EVIL DEAD mitnichten die Neuerfindung des Horrorfilms ist, zu der er von zu vorzeitigem Samenerguss neigenden Fans hochgejazzt wurde. Aber er ist eben der kaum weniger seltene Fall eines effektiven, bösen und unheimlichen Schockers ohne nerviges Schnickschnack. Und eines Remakes, das seiner Vorlage keine Schande macht. Was weitaus mehr ist, als man zu hoffen gewohnt ist.
USA 2013, Regie: Fede Alvarez
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5 Kommentare zu "Evil Dead"
…nichtsdestotrotz gab es auch stimmen amerikanischer zuschauerinnen, die sich über die so genannte vergewaltigungsszene ärgerten, weil sie sie als unnötig und nur für das männliche nerd jerking eingesetzt empfanden, siehe „rape culture“.
ich persönlich fand es keine ausgesprochen sexuell aggressive szene – der dämon sucht sich irgendeinen eingang, der liegt in diesem fall nah, und ja, es ist eine reminiszenz ans original.
ich kann aber auch nicht behauten, dass ich mir eine stärkere sexuelle aggressivität gewünscht hätte – der film ist seiner anlage schon misogyn genug, wobei ich das selbst mit einem lachen anmerkte: er spielt sehr mit dem „weiber: wenn sie was wollen, fangen sie an zu heulen“ klischee. und am schluss ist es dann doch wieder die geläuterte „jungfrau“, die die welt rettet.
ich fand es sehr angenehm, dass das misogyne quasi als ironischer grundton fast ins lächerliche gezogen wird – und dass die „vergewaltigung“ nicht wie alles andere ins extrem überzogen wurde.
Der Baum. Du sagst es. 2013 scheint der Forst (vielleicht auch aufgrund der starken Schädigungen durch Menschenhand) geschwächt zu sein. Das Ganze wirkt dann eher wie Tuchfühlung statt Penetration. Die biologisch sanfte Übertragung wird gewählt. Geäst und Geschlecht in der Kennenlernphase. Fast schon gentleman-like Umgangsformen von „Mutter Natur“.
Derartig langsam glitscht sich diese Schingelranke in das weibliche Allerheiligste, man könnte fast meinen hierbei handele es sich um dessen „erstes Mal“. Humorlos betrachtet würde ich behaupten diese Szene wäre dann wohl die einzige Anbiederung die sich das Remake in Richtung des amerikanischen „Torture-Porn“-Biedertums erlaubt, indem es die Szenen (wie es auch schon in den Neuauflagen berüchtigter Rachfickfilmen wie LAST HOUSE ON THE LEFT und I SPIT ON YOUR GRAVE praktiziert wurde) der sexualisierten Gewalt visuell deutlich abschwächt und sich dafür in Sachen Goregrafik in einen körperzerfickenden Blutrausch hineinzudehydrieren.
Wie lehrte es doch einst der schrullige, alte Morgan Freeman dem hitzköpfigen Zögling Brad Pitt?
„In den Selbsthilfegruppen wird Frauen gesagt sie sollen niemals um Hilfe schreien wenn sie vergewaltigt werden sondern das es brennt. Bei „Hilfe!“ gehen die Menschen weiter, aber bei „Feuer!“ kommen sie gerannt.“
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