Hanussen
Von Joris Julius-Sabinus // 5. April 2013 // Tagged: featured, Österreichisches Kino // 1 Kommentar
„Ja mei, ich scheiß mich an“. Alleine dieser Satz, der im Schnitt lediglich Verblüffung ausdrücken soll, verdeutlicht einem, warum die Psychoanalyse in Österreich entstehen musste. Geschichte und die Geschichten der Geschichte konstruieren eine nationale Identität.
Sie muss aufgrund der ihr zu Grunde liegenden narrativen Logik positiv und erfolgreich, aber gefälligst Jung und Alt zugleich sein. Mit den Jahren und Jahrhunderten wächst dann der Schein der Natürlichkeit jeder Identitätskonstruktionen, die eben nicht evident, sondern das Ergebnis von narrativen Kalkülen der Gegenwart sind. Mit Sigmund Freud gesprochen ist das Schmiermittel der österreichischen Identität die scheinbar unaufkündbare Melancholie. Im ersten Weltkrieg gab es dann genügende Gründe für echten, falschen oder sonst wie gearteten Weltschmerz, der so seine echten, falschen oder sonst wie gearteten Melancholiker hervorbrachte. Einer von Ihnen durchlebte dabei die Transformation vom gewöhnlichen Erpresser zum Hellseher. Aus Hermann Steinschneider wurde Erik Jan Hanussen.
Die erste Sequenz von István Szabós „Hanussen“ zeigt eine typische Materialschlacht des ersten Weltkrieges. Österreichische Soldaten springen aus den Schützengräben und rennen in das Maschinengewehrfeuer der Italiener. Ironisch gebrochen wird das Ganze dadurch, dass nach einigen Metern weltkriegstypischer Schlammrampe ein Schwarze- Serie Friedhof folgt, auf dem die brüllenden Soldaten dann niedergeschossen werden. Einer von Ihnen, Klaus Schneider (Klaus Maria Brandauer) erleidet eine Kopfverletzung und durchlebt seitdem eine Gefechtsneurose. Im Lazarett von Dr. Bettelheim (die Figur von Erland Josephson hat mit dem Psychologen Bruno Bettelheim nur den Namen gemein) kuriert er sich aus. Währenddessen kündigt der Kaiser seinen Besuch an der Front an. Ihm zu Ehren soll ein Heldenfriedhof ausgehoben werden und einige Kriegsversehrte sollen Spalier stehen. Aus ästhetischen Gründen wird einer der Soldaten (er hat ein Bein verloren und läuft auf Krücken) ins Lazarett zurückgeschickt. Dort dreht er durch und droht damit eine Granate zu zünden. Panisch rennen die anderen Kranken davon. Nur Klaus Schneider beschließt mit ihm zu reden. Es gelingt ihm den Soldaten zu beruhigen. Dr. Bettelheim beobachtet die Szene und ist von Klaus Überzeugungsfähigkeiten so beeindruckt, dass er ihn darum bittet nach Kriegsende bei ihm zu studieren. Klaus willigt ein. Anschließend muss er beim Ausheben des Heldenfriedhofs behilflich sein. Dabei lernt er Hauptmann Nowotny (Károly Eperjes) kennen, der ein Fronttheater leitet. Klaus bekommt durch ihn sein erstes Engagement bei einem Auftritt in Dr. Bettelheims Klinik. Während des Auftritts erreicht die Soldaten die Nachricht, dass der erste Weltkrieg vorbei ist. Nach dem Krieg geht Klaus Schneider zuerst in Dr. Bettelheims Klinik und macht sich dort mit der Psychoanalyse vertraut. Anschließend zieht er zusammen mit Hauptmann Nowotny als fahrender Gaukler durch Mitteleuropa. Auf diesen Fahrten ändert er seinen Namen in Erik Jan Hanussen. Bei einem Auftritt sagt er den Untergang eines Kreuzfahrtschiffes voraus. Es kommt zum Prozess wegen Hochstapelei, allerdings wird Hanussen frei gesprochen, da er den Richter und die restlichen Anwesenden mit seinen Fähigkeiten manipuliert. Anschließend geht es nach Berlin. Dort trifft er seine Freundin Valery (Grażyna Szapołowska) wieder. Gemeinsam mit ihr bewegt er sich durch die besseren Schichten der Weimarer Republik. Der gewonnene Prozess verhilft Erik Jan Hanussen zu einiger Berühmtheit. Ein jeder will nun von seinen hellseherischen Fähigkeiten profitieren. So sagt er einmal voraus, dass die Aktienkurse dramatisch einbrechen werden und bei einer Pressekonferenz verkündet er schließlich auf Drängen der Journalisten, dass Adolf Hitler Reichskanzler werden wird. Er steigt, obwohl er sich aus der Politik völlig raushalten wollte, zum persönlichen Wahrsager Adolf Hitlers auf und verdrängt, dass seine Freunde in Schwierigkeiten geraten, weil sie zum Teil Juden sind. Als er in einer Vision den Reichstagsbrand sieht, wird er von den Nationalsozialisten zum Verräter erklärt, obwohl viele ihn für einen Nationalsozialisten gehalten haben, und in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1933 von der SA ermordet, wozu wohl auch seine jüdische Herkunft beigetragen hat.
Die dritte Zusammenarbeit von Kameramann Koltai, Regisseur Szabó und Schauspieler Brandauer verdichtet „Hanussen“ zu einer süßlichen Kolportage bestehend aus lauter scharfen Momentaufnahmen, die zusammen eine große Lüge ergeben, ein einziges Vexierbild, dessen Schlüssel in den Kaffeehäusern dieser Welt verloren gegangen ist. Viel Wiener Schmäh um nichts? Jede kleinste Zensur pflegt vonseiten des Zensors mit dem tröstenden Hinweis verbunden zu werden, dass dies im Ganzen ja nichts ins Gewicht falle, und ist doch jedes Mal ein Verzicht auf ein Stückchen Wahrheit – oder das, was man als solche zu rekonstruieren glaubt. Mal davon abgesehen dass der echte Hanussen mit bürgerlichem Vornamen Wilhelm und nicht Klaus hieß, war er auch ansonsten alles andere als ein „sauberer“ Märtyrer. So unterhielt er gute Kontakte zum SA-Führer von Berlin-Brandenburg Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, Sturmbannführer Wilhelm Ohst und SA-Chef Ernst Röhm. All diesen Herren stellte Hanussen nicht nur seine Limousinen zur Verfügung und versorgte sie mit Stricherjungen und Prostituierten, sondern wurde selbst Finanzier der braunen Schläger. Die dankten es ihm wiederum damit, dass sie den Saalschutz für seine Veranstaltungen stellten. Auch seine hellseherischen Fähigkeiten entpuppen sich nach einer oberflächlichen Recherche als eine Mixtur aus Geschmacklosigkeit und Spionage. Sein „Palast des Okkultismus“ in der Lietzenburger Straße war ein Treffpunkt für wohlhabende Sexsüchtige. Futuristisch möbliert, war die Residenz des Hellsehers mit Abhöranlagen und selbstauslösenden Kameras ausgestattet. Das so entstandene Material wurde genutzt um die Gegner der Nazis zu erpressen. Ebenfalls nutzte er die Leichtfertigkeit der Menschen aus um die Aktienkurse zu manipulieren. Da seine Zuhörer die von ihm empfohlenen Aktien in großer Zahl kauften, stieg dem Gesetz der Nachfrage entsprechend der Kurs. Dies „bewies“ Hanussens Fähigkeiten als Hellseher und machte ihn noch vermögender. Angeblich soll der Reichtagsbrand, der einzig den Nazis genutzt hatte, sogar eine Idee Hanussens gewesen sein, der auch den vermeintlichen Täter van der Lubbe vorher hypnotisierte. Dieser angeblich kommunistische Anschlag machte die politische Durchsetzung der Notstandsgesetze, die den Rechtsstaat bis 1945 außer Kraft setzten, erst möglich. Für diese Theorie spricht auch, dass Hanussen als unkontrollierbarer Mitwisser intimer Details eines der ersten Opfer des braunen Regimes wurde.
Es gibt gute Lügen und schlechte Lügen, geschmackvolle und geschmacklose Lügen. Während ein abartiges Machwerk wie beispielsweise „Unsere Mütter, Unsere Väter“ ein widerlich geschichtsrevisionistisches Stück bundesdeutscher Prüderie darstellt, so ist „Hanussen“ die Lebenslüge des (Lumpen)-Bohemiens. Die plötzliche Ausweglosigkeit der ewigen Mitmacherei schlägt um in die wahnwitzige Hoffnung, als werde jetzt endlich der gordische Knoten der Geschichte durchhauen, als könne ausgerechnet durch die letzte Apotheose der Selbstaufopferung, durch die Flucht vor sich selber, zuletzt doch noch alles gut werden. Das ganze Potential einer von Grund auf repressiven Gesellschaftsordnung, das die nationalisierenden Massen in sich hineingefressen hatten, durfte nun von Gestalten wie Erik Jan Hanussen (und Adolf Hitler) ausgenutzt werden. Man muss es wohl Regisseur Szabó danken, dass er die Beziehung von Hanussen und Hitler als Antagonismus verklärt. Anders wäre das kaum aushaltbar. Die Figur des Dr. Bettelheims flankiert hierbei die gleichzeitig stattfindende Zerreißprobe der (jüdischen) Akademiker, Führungskräfte und Wissenschaftler, die entweder die nationalistische Flucht nach vorn antraten oder wenigstens literarisch versuchten gegen diesen Irrsinn Stellung zu beziehen. So oder so, von heute auf morgen waren diese seit langem nur noch widerwillig geduldeten und permanent angefeindeten „Hirnis“ und Juden fremder geworden als der militärische Feind jenseits der Grenzen. „Hanussen“ ist eine melancholische Posse, die mit sorgsam ausgesuchten Bildern von Kaffeehäusern die faktische Wahrheit ausgezeichnet verkleistert, denn Gewiss: Schnelles Verleben, Tod und Untergang erwartet man schon in der Weimarer Republik, aber einen persönlichen und heroischen, keinen anonymen und industriellen Tod, dessen Erbärmlichkeit fast nicht zu glauben ist.
Österreich 1988, Regie: István Szabó
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