Der Fluss war einst ein Mensch
Von Marco Siedelman // 18. Januar 2013 // Tagged: Afrika, Berliner Schule, Deutsches Kino // Keine Kommentare
Ein junger deutscher Schauspieler (Alexander Fehling), wir erfahren seinen Namen nie, ist in Afrika alleine auf der Reise. Wie lange er schon dort ist, wo genau wir uns befinden, warum er die Reise ohne Begleitung bestreitet, all das erfahren wir ebenfalls nicht. Gemeinsam mit einem älteren Einheimischen macht er sich auf den Weg abseits der üblichen Touristenrouten – mit einem traditionellen Kanu führt der alte Fischer ihn weit in die unerschlossene, menschenleere Wildnis. Am Abend rasten die beiden unter freiem Himmel, um am nächsten Tag die Rückfahrt anzutreten. In gebrochenem Englisch führen sie eine rudimentäre Unterhaltung, in der der junge Schauspieler recht unbeholfen versucht, seine Profession zu erklären, während der Bootsführer afrikanischen Naturmystizismus anschlägt und vor dem zu Bett gehen erwähnt, das das Land hier den Tieren gehöre. Sie kommen und holen einen dann, wenn es ihnen beliebt. Am nächsten Morgen ist der Afrikaner tot, im Schlaf gestorben und der junge Deutsche findet sich allein in der ihm unbekannten Einöde wieder. Schwer beladen mit der Leiche seines Begleiters versucht er sich durch den dicht mit Schilf bewachsenen Fluß zu kämpfen und gerät dabei schnell an die Grenzen seiner Belastungsfähigkeit. Erst nach tagelanger Odyssee in Angst und Isolation trifft er verzweifelt auf ein winziges Dorf. Da die Kommunikation aber zu scheitern droht und keine Anbindung zur Zivilisation zu bestehen scheint, ist noch keine Rettung aus der Desorientierung in Sicht.
Diese Reise ins Herz der Finsternis weckt in ihrer Grundkonstellation und ihrer ruhig atmenden Langsamkeit Erinnerungen an zwei grundverschiedene deutsche Filme: Aguirre, der Zorn Gottes kommt einem ebenso in den Sinn, wie der wesentlich jüngere und ästhetisch zumindest annähernd verwandte Schlafkrankheit von Ulrich Köhler. Mit Herzog, dem es natürlich wesentlich mehr um Ikonografie, Erhabenheit und Größenwahn ging, teilt er die fiebrige Atmosphäre und den (hier allerdings dankenswerterweise auf ein Minimum zurückgeschraubten) Natursymbolismus, mit Köhler dagegen seine (im Vergleich noch radikalisierte) antipsychologische Haltung. Schon in der ersten Szene, in der wir unseren Protagonisten sehen, bleibt die Kamera weit auf Abstand, zeigt ihn verschwindend klein in der mächtigen Naturkulisse. Diese vermeidet jegliche Postkarteninszenierung ebenso wie eine Dämonisierung des Unbekannten – hyperrealistisch liegt uns immer nur vor Augen, was wir auch sehen könnten wenn wir vor Ort wären. Das ist viel und weit, aber das ist zugleich auch ein eng gefasstes Überhauptnichts. Der gesamte Film kommt fast ohne gesprochene Worte aus, das differenzierte und intensive Spiel von Alexander Fehling, der gemeinsam mit Regisseur Jan Zabeil auch das Drehbuch verfasst hat, füllt jede noch so winzige Szene. Oft reiht die assoziative Montage Szenen ohne feste Chronologie aneinander, allesamt Bruchstücke von einem stoisch geführten Lebenskampf. Nur die zunehmende Versehrtheit des Hauptdarstellers lässt erkennen, dass die Reihenfolge der einzelnen Sequenzen auch dem Drehplan entspricht. „Es wurde Teil des Konzeptes verloren zu gehen, während wir die Geschichte von einem erzählen, der verloren geht“ sagte Jan Zabeil selbst über die Dreharbeiten und eine Geschichte, die ganz merklich nicht in einem vorgefertigten Drehbuch Gestalt annehmen konnte sondern ganz entscheidend erst von der Stimmung vor Ort und den Geheimnissen der Landschaft genährt wurde. Es ist fraglich, ob dieses Jahr noch ein besserer deutscher Film im Kino starten wird als dieser eigenartig unter die Haut kriechende Trip, dessen kluge interkulturelle Implikationen noch das am wenigsten interessante darstellen. Einen solch kraftvollen Debütfilm hat es hierzulande seit den Sternstunden der Berliner Schule nicht mehr gegeben – doch trotz seines Studiums an der HFF Konrads Wolf hat Zabeils Debüt nicht viel mit Schanelec, Arslan oder Petzold zu tun. Dann schon eher mit Robert Bresson. So, jetzt hab ich’s gesagt.
(zuerst erschienen im Deadline Magazin)
Deutschland 2011 / Regie: Jan Zabeil
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