Filmtagebuch einer 13-Jährigen # 3
Von Silvia Szymanski // 22. November 2012 // Tagged: Deutsches Kino, featured // 4 Kommentare
Bei Treffen mit anderen Filmbloggern und Cinemenschen fühle ich mich insgeheim ein bisschen wie die „Kleine Hexe“ in dem Buch von Otfried Preußler. Ich will dazu gehören, auf meinem Besen auf dem Hexenfest mittanzen, aber mein Zauberwissen ist noch sehr beschränkt. Ich höre meist nur zu und versuche zu lernen, wenn die Hexen durch die Luft sausen und von ihrem Wissen und ihren Abenteuern erzählen. Es sind meistens lauter männliche Hexen. Was schon toll ist. In einer anderen Welt könnten diese Treffen noch ganz anders aussehen. Ich freue mich, genug Geld zu haben, um manchmal dorthin zu fahren, wo die anderen sind.
Filmclub 813, Köln, 18. November 2012
Die meisten Aachener, die mitfahren wollten, hatten allerdings kurzfristig abgesagt – zu viel Arbeit, zu viele Probleme, zu wenig Zeit. So waren es nur Alex (Klotz), Fabian (Schreyer) und ich. Alex: hochgeschätzter, wackerer Kollege bei Hard Sensations. Fabian: Filmvorführer im Apollo- und RWTH-Kino. Wenn das hier mein echtes Tagebuch wäre, würde ich alle zu porträtieren versuchen, mit denen ich an dem Tag und Abend geredet habe. Sie sind mir wichtiger und interessanter als Filme. Aber Filme schämen und erschrecken sich nicht, wenn man über sie schreibt. Sie reagieren nie; das ist ihr Vorteil und ihr Nachteil. Zumindest nenne ich aber hier die Namen (versehen mit imaginären Herzchen, schließlich bin ich 13): Wir hatten das Vergnügen, unsere Freunde Andreas und Christoph vom Kommkino/Eskalierende Träume wiederzusehen; sie präsentierten die beiden Abendfilme und hatten für eine Privatvorstellung am Nachmittag einen dritten Film organisiert. Zu meiner Freude war auch ihr Kollege Sano unerwartet mitgekommen, den ich immer hatte kennen lernen wollen (hier seine Tagebuchnotizen über die Filme). Bernhard Marsch, Christian Strauss und Aurora Rodono vom Filmclub 813 waren da. Florian Bülow (Dortmund) und Michael Schleeh (Bonn). Und viele, die ich inzwischen vom Sehen und auch ein bisschen Reden kenne und deren Namen ich noch nicht weiß.
Wie kommt ein so reizendes Mädchen zu diesem Gewerbe? (Will Tremper, BRD 1969)
Nein, nein, nicht ich! Gemeint ist das süße, freche Lebemädchen Lynn, verspielt gespielt von Barbara Benton, die mich an Anke Engelke, Beatrice Dalle oder die tollkühne Pornoakrobatin Desiree Cousteau erinnerte. Internationale Jetset-Drehorte, und was das Mädchen alles dort erlebt mit Männern! Wie erfrischend sich die Leute anschreien. Wie elektrisierend, motorisierend es ist, auf dem vibrierenden Tank eines Motorrads bei voller Fahrt gefickt zu werden – Lynn ist sofort verliebt. Das ist alles reizend, pointiert und witzig. Dazu eine erschreckend ölig gesungene Titelmelodie von Jack Grunsky (bei auf Filmhandlungen zugeschnittenen Songtexten krieg ich immer Gänsehaut vor Abscheu und Lust). Löblich dreiste Blicke aus Lynns Liegewiesenperspektive auf Männerhintern im Schwimmbad. Will Tremper ist eine coole Socke. Er hatte später eine Kolumne in der Hör Zu, erinnerte sich Alex, der auch Lionel Stander aus „Hart aber Herzlich“ wieder erkannte. Christian Anders, der auch im Film sein soll, haben wir nicht mit Sicherheit ausmachen können, dafür aber den erschreckend altväterlichen Bruce Low. Und plötzlich den von einem gefestigteren Mann nachsynchronisierten Klaus Kinski. MIR HAT ES IMMER SPASS GEMACHT heißt der Alternativtitel des Films. Lynn! Ich verstehe dich.
P.S.: Später erzählte mir Christoph, dass das, was wir in Köln gesehen haben, eigentlich MIR HAT ES IMMER SPASS GEMACHT gewesen ist: nämlich die aus Kommerzialisierungsgründen durch den Produzenten Horst Wendlandt um 15 Minuten gekürzte Fassung von WIE KOMMT SO EIN REIZENDES MÄDCHEN ZU DIESEM GEWERBE. Wahrscheinlich lief der Film auch im Fernsehen immer nur in der gekürzten Fassung. Auch die englische scheint nicht vollständig zu sein.
Mädchen für die Mambo Bar (Wolfgang Glück, BRD 1959)
Dieser Film ist vielleicht sogar ein bisschen weniger gut als der erste. Aber während ich mir den ersten, so schön luftigen, nur so schlecht gemerkt habe, haftet dieser schwer, markant, behäbig, hartnäckig.
Wie so manches aus den 50er Jahren, hat auch er eine suggestive, brummende atmosphärische Dichte, die man eher schneiden als atmen kann. In diesem zähen Element stecken:
Kai Fischer als von ihren Leidenschaften in den Tod getriebene, feurige Slawin.
Der un-unschuldig heiße, über-männliche Sieghardt Rupp als Ermittler in der Tarnung eines Bartrompeters (sein grinsend-blitzender Seitenblick von seinem phallisch inszenierten Instrument hin zu dem dahinschmelzenden Gesicht der in ihn verliebten Eva).
Eva, diese gute, junge Frau („langweilig und blond“ sagte ein Mann im Film böse), wird gespielt von Gerlinde Locker, und „langweilig“ tut der unblonden Zuschauerin zwar gut, ist aber ungerecht. Vielmehr ist Eva eine vollbusig und weich über den Gemeinheiten schwebende, diese nicht einmal wahrnehmende Lichtgestalt, eine genretypische unschuldige Blume im Abfall.
Um sie herum, im Umfeld der Bar, besticht und schockiert eine verwechselbare Vielzahl mittelalter Männer mit zeittypisch barscher, gefühlloser, reizreduzierter Ausstrahlung.
Ein Haufen haarsträubend kostümierter, dampfender Cowboys mit für diese Zeit unglaublich unanständig hinternbetonten Hosen singt mehrstimmig einen hämischen Text über das, was in dieser Nacht noch mit „Tom Dooley“ geschehen wird.
Schrill auch der schwarze Bühnendress Kai Fischers als mexikanischer Skorpion.
Sowieso hat sich der Kostümbildner (Art Direction: Felix Smetana) mächtig ins Zeug gelegt und die voluminösen Kurven der Frauen in massive körperbetonte Kleider aus festen, derben Stoffen gezwungen wie sperrige Saiteninstrumente in gefütterte Taschen.
Und die Tapeten! Eine davon – skizzierte Mädchen in duftigen, bauschigen Röcken inmitten einer stilisierten südlichen Phantasielandschaft – kenne ich sogar persönlich von irgendwo.
Die Barmädchen präsentieren ihre gerundeten Beine in Netzstrümpfen und wälzen sich drogensehnsüchtig-sexuell auf dem Sofa; aufreizend blättern sich ihre Dekolletees über Brüsten wie Präsent-Ostereiern auf.
Von einem opulent schleierüberworfenen Wahn von einer Schaukel am Himmel des Etablissements herab singt Eva Dalidas „Am Tag, als der Regen kam“ und schwingt uns frontal entgegen, beharrlich, mit einem von innen kommenden, konstant elektrisch geheizten Strahlen.
Währenddessen macht sich ihre eifersüchtige Widersacherin (Kai Fischer) hinter den Kulissen an der schweren Bühnenmechanik zu schaffen, um Eva zu ermorden, doch mit dem Schrei einer verbrennenden Hexe stürzt sie selber in den Tod.
Das alles ist wie Klöße, echte, selbstgemachte, mit viel Bratensauce, solide, nahrhaft und pervers, man möchte sich mit diesem Essen, diesen Filmen füllen, alt sein, Rente durch, bald sterben, dann ist gut.
Brandmale (George Moorse, BRD 1982)
Oh, willkommen in den mit Öko-, Welt- und Zeitgeistsymbolen reich ausgerüsteten Studenten-WGs der 70er/80er Jahre, den schwierigen Beziehungskisten, den seligen Verbrüderungspartys in griechischen Restaurants. Ein junger Mann muss sich entscheiden zwischen zwei unterschiedlichen jungen Frauen und Lebenseinstellungen. Die eine (Anne Bennent) bin ich. Oder war ich zumindest, Ende der 70er Jahre, als ich ein schüchternes, ernstes, schmuckloses, anhängliches Hippie-Kräutermädchen mit zu großen Gefühlen und zu wenig Vorzuweisendem war. Die andere, neue (Gila von Weitershausen) hat dem Jungen mehr zu bieten als seine kleine Jugendfreundin. Sie ist schon eine richtige, selbständige junge Frau, Cellistin am Theater, wohnt in einer stuckverzierten Altbauwohnung und hat eine erwachsene, reife Ingmar-Bergmannfilm-Beziehung mit einem älteren, blinden Mann. Beide Frauen sehen ernüchternd aus in den emanzipatorisch langen Röcken und weiten Pullovern ihrer Zeit, die den damaligen Jungen das Verlieben und Begehren nicht leicht machten, sondern eher eine Mahnung oder Warnung waren.
Nach dem Film fragte ich einige der Mitgucker, wen sie genommen hätten; alle sagten: Gila von Weitershausen. Nicht richtig gerne zwar (in diesem Film ist sie ungewohnt mollig und hat eine halblange, wellige Frisur, die ihr nicht steht), aber „auf keinen Fall diese Kräuterfrau“. Ich ahnte es.
Für von Weitershausen ging es später im Fernsehen weiter, z.B. mit „Der Landarzt“, wie Florian wusste. Und George Moorse führte Regie in einigen Folgen der „Lindenstraße“, erzählte Alex. Das wurde aus ihnen, in der Öffentlichkeit. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie ich das bewerte.
BRANDMALE („Aus der Unterwelt der Gefühle“ heißt sein zusätzlicher Titel) ist jedenfalls ein interessanter Film, den ich noch einmal sehen müsste, um weniger oberflächlich über ihn zu schreiben. Filme, die die Lebensweise junger Erwachsener der 70er/80er-Jahre-Wende so wahrhaftig widerspiegeln, sieht man selten. Es war eine sehr schwierige Zeit. Es gab damals einen schlimmen Schnitt, der mich bis heute schmerzt. Man sieht ihn auch den Pornofilmen, mit denen ich mich beschäftige, an, man hört ihn auch in der Musik. Die Leute wandten sich von ihren bunten und „naiven“ Hippieträumen ab und versuchten, erwachsen und „realistisch“ zu werden. BRANDMALE erinnert mich extrem an meine Zeit in München. Das waren gut drei Monate, genau im „Deutschen Herbst“, 1977, der die Zäsur für Deutschland noch schlimmer machte. Damals fing es schon an, und 1982, als die BRANDMALE in die Kinos kamen, war das soziale Klima schon sehr kalt und vereinzelnd geworden.
Mit Christoph hab ich später über den Film gechattet und dabei gemerkt, wie vieles mir nicht aufgefallen war. Stattdessen sehe ich auch an diesem Tagebuch, dass ich momentan seltsamerweise auf Filmausstattungen versessen bin und zu wenig auf Handlung, Interaktion und Hintergründe achte. Ich hoffe, Christoph wird einen eigenen Text über BRANDMALE schreiben. Was er darin sieht, ist interessanter als das, was ich bemerkt habe.
4 Kommentare zu "Filmtagebuch einer 13-Jährigen # 3"
Ja, diese Stimme hat Schmackes, etwas Deftiges, Leckeres. Die Stimme eines unverwüstlichen Kerls an der Front, der einfach nicht unterzukriegen ist. Und dabei hat sie etwas Gemütliches. Wie ein Onkel. Vielleicht glaubt man als Kind, dass einem in der Nähe dieser Stimme nichts passieren kann. Wenn die Eltern tot sind, wächst man eben bei ihr auf.
Zum Thema Arnold Marquis & John Wayne muss man auch unbedingt Marquis‘ musikalischen Nachruf auf Wayne anhören!
Ich hab das jetzt gehört, Manfred. Oh mein Gott. „So manches Mal hat er den eisigen Atem gespürt, den der Schatten des Todes mit sich führt“… „gemütlich“ muss ich wohl zurücknehmen ;-)
Lionel Stander wurde ja auch hier von Arnold Marquis synchronisiert, was das Wiedererkennen noch um einiges leichter machte. Das war wohl die erste Stimme, die sich mir wirklich eingeprägt hat, da ich als Kind/Jugendlicher immer sehr gern „Hart aber Herzlich“ im ARD-Vorabendprogramm sah. Als sie mir später regelmäßig wiederbegegnete, dachte ich auch immer: „Das ist doch die Stimme von ‚Max'“, noch ohne Ahnung davon, daß Arnold Marquis auch der Stammsprecher von John Wayne gewesen ist…