DVD: We Need to Talk About Kevin
Von Eckhard Heck // 22. Oktober 2012 // Tagged: kino kontrovers // 3 Kommentare
Eva (Tilda Swinton) ist nicht glücklich. In Rückblenden erfahren wir, dass es für sie hoffnungsvollere Tage mit ihre Mann Franklin (John C. Riley) gegeben hat. Doch dann scheint ihr Leben plötzlich in die falsche Bahn gelaufen zu sein. Sie ist überfordert. Mit der Ehe, mit einer Schwangerschaft, dann mit dem fortwährend schreienden, später apathischen und noch später renitenten Kind. Dieses Kind, Sohn Kevin (Jasper Newell), ist nicht nur schwierig, sondern geradezu monströs in seiner berechnenden Aufsässigkeit. Sein Verhalten ist nicht zuletzt eine Reaktion auf Evas Unfähigkeit, eine wirklich liebevolle Beziehung zu ihm aufzubauen. Je größer dieses Problem für sie selbst wird, desto manipulierbarer wird sie für Kevin. Dem Ehemann, Franklin, entgeht das Drama, das sich in den eigenen vier Wänden abspielt. Er reagiert entsprechend phlegmatisch und trifft einige verhängnisvolle Entscheidungen. Der Umzug von der Stadt aufs Land ist beispielsweise keine gute Idee. Die Familie wird in dem neuen großen Haus nicht heimisch. Kevin, mittlerweile acht Jahre alt, entwickelt immer massiver psychotische Züge. Eine zweite Schwangerschaft verkompliziert die Dinge, anstatt sich, wie Eva hoffte, positiv auszuwirken. Kevin nun auch noch ausgerechnet das Bogenschießen näher zu bringen ist nicht sehr schlau von Franklin. Wie sich bereits ganz zu Beginn des Films andeutet, wird Kevin (jetzt ein Teenager und gespielt von Ezra Miller) mit seinem Sportbogen ein kühl kalkuliertes Massaker unter seinen Mitschülern verüben. Eva wird als Mutter des Amokschützen zur Zielscheibe des Hasses in der Gemeinde. Trotz der ständigen Zeitsprünge fällt schnell auf, dass auch Franklin und das zweite Kind (eine Tochter), in dem Erzählstrang nicht mehr auftauchen, der nach dem Amoklauf spielt. Woran mag das liegen?
Im Mittelpunkt des Films steht nicht das erwähnte Massaker, sondern die Mutter-Sohn-Beziehung. Die Vaterfigur ist demgegenüber schwach angelegt, offensichtlich um das Klischee des vielbeschäftigten Versorgers zu bemühen, der nicht bemerkt, dass ihm in seiner Abwesenheit die Familie um die Ohren fliegt. Leider geistert John C. Riley dadurch phasenweise als reiner Stichwortgeber im Plot herum. Deutlich mehr Gelegenheit zu „schauspielern“ bekommt Ezra Miller, der den jugendlichen Kevin spielt. Seine Darstellung erinnert stellenweise an Christian Bale als Patrick Bateman in American Psycho. Unangemessen, dass er den abgebrühten und intellektuell über den Dingen stehenden Psychopathen und eitlen Selbstdarsteller derart forcieren darf. Die Glaubwürdigkeit der Inszenierung leidet darunter sehr.
Gute Abschnitte, wie die Darstellung kollateraler Tragödien (beispielsweise die Feindseligkeit der Nachbarn und Kollegen Eva gegenüber), werden durch manche eher peinliche Szene zunichte gemacht. Einsames Schlusslicht ist in dieser Hinsicht eine Szene, die in einem Supermarkt spielt. Eva schiebt ihren Einkaufswagen durch die Gänge. Wunderbare, lange Einstellungen, die ihre Isolation, ihre physische und psychische Zerrüttung verdeutlichen. Das Licht, das sie so unattraktiv aussehen lässt, der abgerissene Mantel, der mehr an ihr hängt, als dass sie ihn trüge. Sie legt eine Packung Eier in den Wagen. Dann taucht ein Person auf, die, wie wir gleich erfahren werden, die Mutter eines Opfers ist. Eva versteckt sich hinter einem Regal um nicht mit der Frau konfrontiert zu werden und lässt ihren Einkaufswagen im Stich. Sie harrt hinter einer Wand aus Campbells Tomato Soup Dosen aus. An sich grandios. Eine tragikomische Note angesichts der allerersten Szene des Films, in der man Eva anlässlich eines Tomatenfestes (mutmaßlich in Italien) förmlich in Tomaten baden sieht. Als Eva sich wieder ihres Wagens bemächtigt hat und zur Kasse geht, stellt die Kassiererin fest, dass alle Eier in der Packung kaputt sind. Im Hintergrund ist kurz bewusste Dame zu sehen, die herausfordernd zu Eva herüberblickt. Dann eine Einstellung, in der die gleiche Dame sich weinend über eine Bahre mit ihrer möglicherweise tödlich verletzten Tochter beugt. Auwei.
Alles in allem bleibt fraglich, worauf Lynne Ramsey eigentlich hinauswollte. We Need to Talk About Kevin funktioniert inhaltlich in keiner Hinsicht so richtig, sondern kann nur mit der soliden Leistung von Tilda Swinton und wenigen ergreifenden Einstellungen punkten. Ich fürchte am Ende bleibt nicht viel mehr als Formalismus übrig. Kompromissloser und wirklich essentiell, wenn auch aus etwas anderer Sicht, hat sich Gus Van Sant mit Elephant (2003) dem Thema genähert.
Warum Ramsey als angebliche Hoffnung des britischen Kinos gilt und demnächst sogar mit dem ganz großem Besteck hantieren darf (Moby Dick im Weltraum. Man darf gespannt sein), ist mir momentan noch ein Rätsel.
We need to talk about Kevin ist in der Neuauflage der Reihe Kino Kontrovers bei Bavaria Media erschienen.
UK/USA 2011, Regie: Lynne Ramsey
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We Need to Talk About Kevin
3 Kommentare zu "DVD: We Need to Talk About Kevin"
Uiuiui… Für mich einer der unerträglichsten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Ich liebe Tilda Swinton (wer tut das nicht?), aber zum ersten Mal hatte ich das Bedürfnis, einen Film abzubrechen, in dem sie mitspielt. Und das lag nicht an ihr, sondern an dem kruden Drehbuch und der im negativen Sinne seltsamen Konstruktion der meisten Charaktere.
Es ist wie beim Kinderkriegen: Von beiden Eltern schaffen es nur 50% der Gene in das Kind. Welche 50% ist Zufall. „We need to talk about Kevin“ hat nicht nur die Segelohren, die Neigung zur Halbglatze und den Damenbart geerbt, sondern auch die Plattfüße und den schlechten Charakter vom Urgroßopa mütterlicherseits. Wobei, ein Unterschied zur Nachwuchszeugung fällt mir doch ein: Bei Kindern sind nicht alle Macken sofort erkennbar. Das trifft auf den Plot des Films leider nicht zu. Wir haben den Film zu zweit geguckt und uns gegenseitig mit korrekten Prognosen übertroffen. Ein Bogen für den Soziopathen? Falscher Fehler. Ein Meerschwein für die Schwester? Nächster falscher Fehler. Und so weiter und so fort.
Die paar guten Szenen und die wie immer beachtliche schauspielerische Leistung von Tilda Swinton reißen es leider auch nicht raus. Die Chance, nachvollziehbar zu machen, wie aus einem scheinbar normalen Kind ein Attentäter wird, haben die Filmemacher vertan, denn dazu bräuchte es einen glaubwürdigen, psychologisch korrekt gezeichneten, vielschichtigen Charakter. Kevin aber wirkt leider eher wie der fesche kleine Bruder von Michael Myers und wäre besser in einem 90er-Jahre-Horrorfilm aufgehoben gewesen.
Ab 8. November in der Reihe „Kino Kontrovers“ von Legend Home Entertainment und Bavaria Media, wie ich heute erfahre.
In der Tat. Fand den Film im Endeffekt recht mittelmäßig. Er kann sich nicht entscheiden, und traut sich an keines seiner heißen Eisen wirklich ran. Was er dann erzählt ist eben Alltag, leicht „sensationell“ angehaucht, und ein wenig kunstvoll drapiert. Ramsay hat durchaus Talent, aber was sie wirklich einmal an diesem Film interessiert haben muss, scheint (mir) nur rudimentär ersichtlich. Die Idee als Vater des Gendankens… Habe aber noch ein halbes Dutzend ihrer frühen Filme zu Hause rumstehen, die ich vielleicht endlich mal anschauen sollte. Da gibt es dann vielleicht ungeschliffeneres und getriebeneres zu sehen? So klang es die letzten 10 Jahre vor dem Kevni-Film jedenfalls immer. Ich bleibe also weiterhin gespannt. ;-)