DVD: Und erlöse uns nicht von dem Bösen
Von Guido Rohm // 13. Oktober 2012 // Tagged: Bildstörung, featured, französischer Film // Keine Kommentare
Öffne die Augen. Jetzt! Streiche die Strähne aus deiner Stirn. Sei konzentriert. Aufmerksam. Dort drüben. Kannst du sie sehen? Nacht, die sich aus der Nacht löst. Dunkelheit, die rasch schreitet. Keine Nacht. Eine Nonne. Oder doch die Nacht? Die Nacht-Nonne, die Braut Christie, durcheilt den Schlafsaal. Als würde sie vor sich fliehen. Als wolle sie der Nacht in sich entkommen. Die Nacht folgt ihr. Gegen das Rabenschwarz hilft nur der Schein einer brennenden Kerze. Oder die Fantasie.
Was sagst du da? Das sei keine Frau. Das sei ein wandelndes Gewand. Ein durch den Raum schwebender Geist. Unsinn. Dies ist eine Klosterschule. Eine Erziehungsanstalt für den Christmenschen. Hier trägt man derlei. Warte nur ab, bis die Nonne hinter dem Vorhang verschwunden ist. Hinter diesem gespannten Tuch dort. Das Flackern der Kerze erschafft die Frau, die sich in der Nonnentracht versteckt hat. Die Kerze bringt sie zur Geltung. Nicht ganz. Vieles bleibt den Träumen überlassen. Sie wird zu einem Schattenspiel. Sie entkleidet sich. Wird zu einem Frauenkörper, mit dem du so vieles verbinden kannst. Deine Gedanken. Deine Fantasie.
Schluss jetzt. Mäßige dich. Zieh dich unter die Decke zurück. Kannst du sie flüstern hören. Das sind Anne und Lore. Lore und Anne. Wiederhol es. Sprich es mir nach. Unter einer Decke lässt sich gut munkeln. Dort kann man vieles anzetteln. Auch Revolutionen. Sich mit Literatur die Nacht um die Ohren schlagen. Sie flüstern. Sie graben in einem verbotenen Buch. In einem Buch, in dem die Lust vorkommt, die Lust, viele Lüste, noch mehr Lüste, ein Weltall voller Lüste. Wer würde sich nicht in einem solchen Weltall verlieren wollen?
Wochenende. Heim zu den Eltern. Eine Villa. Nur ein weiteres Gotteshaus. Wie anstinken gegen den Mief des Hauses? Mit einer Zigarette. Dekor. Allüberall Dinge, die herumstehen und nichts sagen. Die Eltern sprechen. Sagen aber auch nichts. Vertane Tage, an denen man als Forschungsreisende die eigene Körperlandschaft bereist, nur von der Kirche unterbrochen, von der Predigt, die vom Ehebruch spricht. Vom nackten Fleisch, das an allen Ecken und Kiosken lauert. Wenn man doch nur so könnte, wie der erwachende Körper es einfordert. Anne und Lore sammeln Hostien. Wenn man schon nicht über den eigenen Leib verfügen kann, dann über den des Gottessohnes. Früh übt sich, was ein Satanist, ein Revolutionär werden will. In einer Welt, in der alles verhängt ist, will man entdecken, wenn es sein muss, indem man die Dinge kaputt machen muss. Wie sieht der Tod aus, der sich unter der Oberfläche des Lebens verbirgt?
Zurück in der Klosterschule. Geh nur mit. Bleib nicht zurück. Nimm Annes Hand. Begleite sie. Heute ist Beichte. Und Anne spricht aus, was der Priester hören will. Seine Augen weiten sich. So? Zwei Nonnen, die sich küssten. Sprich doch mein Kind, so erzähl doch. Der Priester lässt sich oral befriedigen. Das Kind muss nur sprechen. Darf nicht schweigen. Rede doch mein Kind, so schweig doch nicht.
Und dann ist es endlich geschafft. Die großen Ferien. Die vermeintliche Freiheit. Anne, ohne Eltern, aber mit zurückgelassenem Personal. Weil die Nacht erhellt werden muss, zünden sie Heuballen an, weil die Geilheit der Männer unter einem Lächeln steckt, lüpfen sie ihre Röcke und fordern die Welt heraus, bis die Welt ihr wahres Antlitz zeigt. Wer keinem Gott huldigen kann, der muss den stärksten Verbündeten gegen ihn suchen. Heil dir Satan!
Nein, nein. Alles nur Kinderspiele, auch wenn die Welt versucht werden soll, weil es ganz ihrem Alter entspricht, die Welt locken und kosten zu wollen. Und diese Welt, so müssen sie erst lernen, schmeckt vor allem nach Tod.
Mais ne nous délivrez pas du mal, Frankreich 1971, Regie: Joël Séria
Und erlöse uns nicht von dem Bösen ist bei Bildstörung in der gewohnt liebevollen Aufmachung erschienen.
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