Killer Joe

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Die amerikanische Familie versammelt sich zum Abendessen. Höflich wird die Mutter gebeten, den Tisch zu decken und als alle Platz genommen haben, spricht die Tochter das Tischgebet. Nacheinander bedient sich dann jeder bei dem einfachen, aber ehrlichen Essen bestehend aus Hähnchen, Kartoffelsalat und Eistee, bittet gegebenenfalls den Gegenüber, ihm die Schüssel oder die Teekanne zu reichen, nicht ohne sich danach artig zu bedanken, wie es sich gehört. Es ist ein schönes Bild, aber es offenbart klaffende Risse: Der Ort des Abendessens ist ein heruntergekommener Wohnwagen in einem texanischen Trailerpark. Der freundliche Mann, der sie da alle um die Tafel versammelt ist ein Polizist, der sich nebenbei als Auftragskiller verdingt und für die Familie einen Mord ausgeführt hat. Die Mutter ist blutüberströmt, nachdem sie kurz zuvor von jenem Killer im Beisein ihres Ehemannes zusammengeschlagen und sexuell gedemütigt wurde. Dieser Ehemann und Vater, ein tumber, treudoofer Arbeiter, ist schweigsam und nachdenklich, hat er doch eben erfahren, dass die Frau, die er liebt, ihn betrogen und verraten hat. Der mit Prellungen gezeichnete Sohn führt eine Waffe bei sich, die er benutzen will, um den Killer zu erschießen und seine Schwester aus ihrm tristen Umfeld zu befreien. Und diese Schwester, die minderjährige Tochter, die dem Killer in den vergangenen Tagen als Gespielin zur Seite stand, weil ihre Familie seine Prämie nicht bezahlen konnte, und sich dabei in ihn verliebt hat, sie wird bald alle mit einer unglaublichen Neuigkeit schockieren …

Diese Szene beendet William Friedkins neuesten Film KILLER JOE mit einem Paukenschlag und liefert endgültig die Erklärung, wie man die vorangegangenen 100 Minuten zu verstehen hat: als bittere, sarkastische schwarze Komödie, als Satire, in der sich das US-amerikanische „heartland“ als desolate moralische Wüste und seine Bewohner, die vielgerühmten einfachen Bürger, als korrumpierte, egoistische Dummköpfe ohne jede Orientierung, aber einer grundsätzlichen Bereitschaft zu jeder noch so verkommenen Schandtat entpuppen. Der herabgewirtschaftete Trailerpark und die tristen Vorortstraßen, die die zentralen Schauplätze von KILLER JOE sind, sie sind nicht lediglich Ausdruck eines zynischen Elendsvoyeurismus, vielmehr kennzeichnet Friedkin sie als repräsentativ für den Zustand seines Heimatlandes. Hier wird nicht nur gekokst, gesoffen und gekifft, die wunderbare Palette des Kabelfernsehens von Cartoons bis Monstertruck-Rennen konsumiert, nein hier öffnen Stiefmütter die Tür auch mit vollkommen entblößtem Unterleib, treffen sich Papa und Sohn in der Tittenbar, um die Ermordung  der eigenen Mutter und Ex-Frau zu besprechen, wird dem Killer als Pfand die eigene Tochter als sexuelles Spielzeug überlassen, bestehlen, belügen und betrügen sich Familienmitglieder in einem Fort und ohne auch nur annähernd so etwas wie Reue dabei zu empfinden. Was alle antreibt, ist das Geld: Was sie damit eigentlich anstellen wollen, das scheinen sie selbst gar nicht so genau zu wissen, aber dass sie es brauchen, wenn möglich viel davon und zur Not auch mit illegalen Mitteln, daran besteht kein Zweifel. Was ihnen dabei immer wieder im Weg steht, ist zum einen die eigene Dummheit, vor allem aber die Skupellosigkeit der anderen: Das Geld, das jeder haben will, bekommt am Ende gar niemand. Was bleibt ist ein Haufen (toter) Idioten.

Killer Joe

Chris Smith (Emile Hirsch) hat Schulden beim lokalen Gangsterboss, doch das Kokain, mit dessen Verkauf er das Geld erwirtschaften wollte, um die Schulden zurückzuzahlen, hat ihm ausgerechnet die eigene Mutter geklaut. Er kontaktiert seinen Vater Ansel (Thomas Haden Church), der mit seiner neuen Frau  Sharla (Gina Gershon) und Tochter Dottie (Juno Temple) in einem Wohnwagen haust, und schlägt ihm vor, einen Killer anzuheuern, um Mutter bzw. Ex-Frau umbringen zu lassen. Die habe nämlich eine Lebensversicherung über 50.000 Dollar abgeschlossen, deren Begünstigte eben jene Dottie sei. Bei dem Killer handelt es sich um den Polizisten Joe Cooper (Matthew McConaughey), der jedoch nicht gewillt ist, für die bankrotte Familie in Vorleistung zu gehen. Weil er sich aber in Dottie verguckt hat, schlägt er einen Deal vor: Sie überlassen ihm die Tochter quasi als dauerhaften Pfand und er bringt dafür die gewünschte Leistung. Gesagt, getan. Doch als die Lebensversicherung kassiert werden soll, gibt es nur lange Gesichter: Begünstigter ist nämlich nicht Dottie, sondern Rex, der Geliebte der Toten. Und damit eskaliert die Situation …

Killer Joe

KILLER JOE beginnt als düsteres Stück Crimekino irgendwo zwischen American Gothic und Film Noir, das immer wieder vom Wahnsinn gepackt und geschüttelt wird, bevor es vor diesen Übergriffen schließlich kapituliert und sich in besagte schwarze Komödie verwandelt. Mit dieser Wandlung verändert sich auch die Funktion von Matthew McConaugheys Killer Joe Cooper, der zunächst als eiskalt-rationaler, aber charismatischer Außenseiter auf den Plan tritt, sich dann aber immer mehr zum mephistophelischen Drahtzieher mit ausgeprägt psychotischen Zügen entwickelt. Am Ende ist er der Letzte, der die in Auflösung begriffene Familie Smith noch zusammenhält, das ganze Ausmaß der Verkommenheit überblickt und absurderweise die fragwürdige „Moral“ aufrechterhält. Das heißt: fast. Denn eine Figur ist da, die als einzige gestärkt aus den Ereignissen hervorgegangen zu sein und auch den übermächtigen Killer Joe in seine Schranken zu verweisen scheint. Eine Schwarzblende beendet den Film ohne eine klare Antwort, so wie man es von William Friedkin gewohnt ist. Aber man hat dennoch mehr als genug gesehen, um zu wissen, dass es an diese Ort keine Erlösung geben kann. Eine große Nation befindet sich in freiem Fall.

Ob KILLER JOE tatsächlich Friedkins bester Film seit THE EXORCIST ist, wie es Rainer Stefan von Fantasy Filmfest in Köln vollmundig behauptete, sei mal dahingestellt. (Ich halte sowohl CRUISING als auch TO LIVE AND DIE IN L.A., aber auch den unterschätzten THE HUNTED für stärker.) Dass KILLER JOE aber eine außergewöhnliche filmische Reise ins dunkle Herz der Vereinigten Staaten darstellt, eine von der man mit vielen Eindrücken, Gedanken und Fragen zurückkehrt, daran gibt es keinen Zweifel. Was bleibt, ist aber vor allem ein nagendes Gefühl der Irritation: Warum ist die Hölle nur so verdammt komisch?

USA 2011, Regie: William Friedkin


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Lebt in Düsseldorf, schaut Filme und schreibt drüber.

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