Fat Girl
Von Maria Wildeisen // 5. September 2012 // Tagged: featured // Keine Kommentare
Die Pubertät ist für alle Beteiligten eine schlimme Zeit. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass man – einmal aus dem Gröbsten raus – so schnell wie möglich versucht, sich davon zu distanzieren, etwa, indem man eine sehr erwachsene Außenperspektive einnimmt, aus der heraus man das eigene Verhalten, das man womöglich noch vor einem halben Jahr an den Tag gelegt hat, als albern, rücksichtslos, unverständlich und ja, als einfach peinlich beurteilt. Und natürlich findet man jetzt das Verhalten all jener, die gerade mal ein Jahr jünger sind und noch nicht über die Gnade der eingespielten Hormone verfügen, unerträglich. Mit steigendem Alter wächst dieses Unverständnis; die Pubertät erscheint zunehmend als eine Phase, in der Kinder zu Aliens werden, die nichts sind als unausstehliche, schwitzige Kotzbrocken und deren Verhalten nicht einmal mehr in Ansätzen verständlich erscheint.
Umso krasser, wenn dann ein Film daherkommt, der den Zuschauer dazu zwingt, einen Blick hinter die vermeintlichen erwachsenen Gewissheiten zu werfen und sich daran zu erinnern, wie sich das alles von innen anfühlt.
Die 15jährige Elena (Roxane Mesquida) und die 13jährige Anaïs (Anaïs Reboux) sind, wenn auch vielleicht auf eine etwas weniger laute Art, genauso rätselhafte Teenager wie Millionen andere, und ihr Verhalten nervt: Im Sommerurlaub mit den Eltern schlägt und verträgt man sich, findet Männer toll und abstoßend, vergöttert heute, was einem am nächsten Tag egal ist, möchte alles richtig machen, aber noch lieber alles falsch. Dennoch ist es nicht dieses widersprüchliche Gebaren an sich, das das Zuschauen stellenweise unerträglich macht, sondern das, was gleichzeitig die absolute Stärke dieses Films ist: Er nimmt sich Zeit und wählt seine Bilder und Worte so, dass die außer Rand und Band geratenen Gefühle der Protagonistinnen hinter ihren teils ruppigen, teils hilflosen Gesten greifbar und auf eine schmerzliche Art wiedererkennbar werden.
Wenn man etwa der pummeligen, zutiefst verunsicherten Anaïs dabei zuschaut, wie sie im Swimming Pool immer wieder zwischen Leiter und Steg hin- und herschwimmt, die sie flüsternd als konkurrierende Liebhaber adressiert, ist die hochnoteinsame Verzweiflung greifbar, aus der heraus Anaïs in anderen Szenen defensiv zur männerverachtenden, kalten Kommentatorin dessen wird, was ihre ältere Schwester von ihren eigenen Phantasien in die Tat umzusetzen weiß. Und auch Elena, schön, sexy und verrückt nach Jungs, ist mehr als ein blasses Abziehbild pubertärer Klischees. In einer quälend langen Sequenz, in der sich das Mädchen unter den Verführungskünsten des Studenten Fernando windet, hin- und hergerissen zwischen Neugier, Angst und von außen herangetragenen Moral- und Sexualvorstellungen, offenbart sich in jeder Geste und in den zögerlichen Reaktionen die Qual widersprüchlicher Impulse und Ansprüche. Diese Verwirrung bestimmt auch den Umgang der beiden unterschiedlichen Schwestern miteinander. Vor allem in Gegenwart anderer, insbesondere der ausschließlich mit sich selbst beschäftigten Eltern, können sie sich nicht eindeutig zueinander positionieren und durchleben ein ständiges Wechselbad von Neid, Ungeduld, Haß, Mitleid, aber auch tiefer Zärtlichkeit füreinander.
Stellt man sich als Betrachter der Herausforderung, sich auf die Figuren ein- und damit zuzulassen, dass man schmerzlich roh erinnert, was man gut und endgültig verarbeitet und damit beseitigt glaubte, kann Fat Girl ein wahres Fegefeuer schrecklich-schöner Eindrücke auslösen. Das – leider etwas unmotiviert wirkende – Ende, an dem ein Psychopath ex machina steht, den der Film nicht gebraucht hätte, tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch.
Fat Girl / Meine Schwester / À ma sœur! Frankreich/Italien 2001, Regie: Catherine Breillat
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