DVD: Der Mann mit der Stahlkralle
Von Michael Schleeh // 28. September 2012 // Tagged: featured, Kriegsheimkehrer, Rachefilm, Vietnam // Keine Kommentare
Zurück aus dem Vietnamkrieg und nach siebenjähriger Kriegsgefangenschaft ist nicht nur Charles Rane (William Devane) ein anderer geworden, sondern auch das Land ein anderes, in das er heimkehrt. Obwohl die Offiziere am Flughafen noch mit dem Pomp, den eine Kleinstadt zu bieten hat, empfangen werden, also mit einer Blaskapelle des Colleges und den jubelnden Angehörigen am Rollfeld, den obligatorischen Bannern, Wimpeln und Amerikaflaggen, verziehen Rane und sein Leidensgenosse Johnny (Tommy Lee Jones) kaum eine Miene. Die Begrüßungsrede erschöpft sich in knackig vorgetragenen patriotischen Floskeln, während die Augen hinter den zurückspiegelnden Wänden der Sonnenbrillengläser verborgen bleiben.
Endlich zu Hause, sieht er seinen jugendlichen Sohn zum ersten Mal wieder, spielt Baseball mit ihm, und weiß sich nicht zu verhalten, wenn er ins Bett gebracht wird. Er wartet auf die Aufforderung seiner Frau, das Zimmer betreten zu dürfen. Tief sind die Gräben der Entfremdung im Laufe der Jahre geworden. Auf dem Sofa offenbart sie dem stillen und zurückhaltenden Mann, dass sie sich auf einen anderen eingelassen habe, sie dies nun bedaure, dass aber echte Liebe im Spiel sei und sie sich scheiden lassen möchte. Charles Rane ist weniger geschockt, als man zunächst denken würde. Er verstehe das, sagt er bedauernd, doch habe er sich alles Menschliche in der Gefangenschaft und unter der Folter austreiben müssen, um überleben zu können. Einwände habe er also nicht.
Charles Rane ist ein Vietnamveteran, der den Anschluss an sein altes Leben nicht mehr findet. Sein Sohn erinnert sich nicht mehr an ihn, die Frau ist weg. Mit dem neuen Freund, der ins Haus kommt, muss er ein Bier trinken, Verständnis zeigen. Da soll er ein weiteres Ritual über sich ergehen lassen: für seine Tapferkeit und sein Durchhaltevermögen bekommt er in einem festlichen Akt einen Koffer Silberdollar überreicht. Wegen dieses Koffers wird er später von einer Bande Mexikaner überfallen, sein Sohn und seine Frau werden getötet. Sein Arm wird verstümmelt und er verliert seine Hand.
Was nun folgt, könnte eine geradlinige Rachegeschichte im Stile der DEATH WISH-Filme sein. Geskriptet von Paul Schrader (der etwa auch das Drehbuch zu Scorseses TAXI DRIVER (1971) schrieb), entwickelt sich der Film aber in eine markant andere Richtung. Zum einen fasert er sich in einen zweiten Erzählstrang auf, in dem eine Blondine aus einem Diner aufkreuzt, die sich in die stille Berühmtheit verknallt. Hier bewegt sich der Film überraschenderweise nicht aus seiner enormen Dialoglastigkeit heraus (bzw. thematisiert weiterhin das verbale Verstummen, die Kommunikationsunfähigkeit, die nie körperlich überwunden wird), und führt vor Augen, wie unmöglich es Rane geworden ist, sich anderen Menschen zu öffnen. Er ist ein Außenseiter der Gesellschaft, unintegrierbar, auch wenn er permanent von ihr vereinnahmt wird. Fühlen etwa kann sich der Mann nur, wenn er die traumatischen Szenen seiner Gefangenschaft zuhause nachstellt, sich fesseln lässt und den neuen Freund seiner Frau dazu bringt, ihn zu quälen. Ein Mann, der sich nur noch im Schmerz wiederfinden kann, psychisch und physisch gedemütigt durch eine verloren gegangene Heimat, die ihm den Verlust seines Status als funktionierendes Mitglied der Gesellschaft bestätigt.
Funktionieren kann Rane nur noch als Soldat, und als sich ihm also die Möglichkeit dazu bietet, nämlich Rache zu üben an den Mördern seiner Familie, schlüpft er zurück in die Rolle des Soldaten. Johnny unterstützt ihn dabei, denn auch er kann sich in seine Familie nicht mehr integrieren, fühlt sich wie ein Fremdkörper. Gehandicapt durch den Verlust seiner Hand, wird diese ersetzt durch ein Mordinstrument: eine Stahlklaue, die er mit dem Schleifstein schärft und zur Waffe umfunktioniert. Die beiden Soldaten tragen dann wieder Uniform, wenn sie im Nachbarland ankommen, in den Taschen die Gewehre. Als Helden indes, werden sie von Regisseur John Flynn nicht dargestellt. Empathie wird nicht erzeugt, distanziert bleibt die insgesamt recht kühle Inszenierung. Musik verführt hier nicht. Denn es gibt kaum welche. Hier haben zwei Männer eine Mission, in der sie für eine Sache einstehen, für die ihnen niemand danken wird. Denn Amerika kann mit ihnen nichts mehr anfangen, wenn sich der Pomp um die Heimkehrer gelegt hat – da diese Männer nicht mehr so funktionieren, wie sie sollen. ROLLING THUNDER ist keiner der kontroversen Vigilanten-Reisser. Hier geht der Krieg weiter im Kopf. Und dann beginnt das große Töten. In einem Hurenhaus in Mexiko.
Der Mann mit der Stahlkralle / Rolling Thunder, USA 1977; Regie: John Flynn.
Der Film erscheint am 28.9.2012 als DVD und Bluray bei Koch Media
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