DVD: A hole in my heart
Von Katrin Krause // 20. September 2012 // Tagged: Drama, Eskapismus, featured, Porno, Schwedenfilm // 2 Kommentare
A hole in my heart erzwingt einen voyeuristischen Blick in die schwedische Sozialbautenmülltonne. Der Deckel wird aufgeklappt und der erste Blick fällt auf die verrottende Tristesse, die stinkende Lebenslangeweile, die ordinäre Plastikpornografie, auf die stumpfe Erstarrtheit, und die vier Protagonisten, die es in 94 Minuten schaffen sich selbst durch Zügellosigkeit und extreme Amateuerpornos innerhalb dieses modrigen Mikrokosmos vollkommen zu verderben.
Rikard und Geko versuchen mit Hilfe der jungen und schamlosen „Schauspielerin“ Tess gegen die Langeweile anzuficken. Sie drehen Pornos mit Skimaske und Demütigung, mit Baseballschläger und Verachtung und sind dabei rauschhaft besessen vom Extremen und Extremitäten. Während der Vater in seinem Wohnzimmer versucht sich mit Geilheit, sexuellen Superlativen und Eurotrancemusik zu betäuben, übt sich sein Sohn in aktiver Taub- und Blindheit, um dem wilden Treiben vor seiner Zimmertür zu entkommen. Er setzt sich Kopfhörer auf, um seine Gehörgänge mit krachiger Noise- Musik zu verschließen und verdunkelt sein Zimmer um sich auf 10 Quadratmetern vollkommen abkapseln zu können. Die Perspektive bleibt statisch. Man fühlt sich selbst gefangen, während man dem jungen Erik minutenlang beim stummen Gefangensein, wie einem toten Fisch im Glas zusieht. Man wünscht sich fast die gespielte, raue grausame Rasantheit, die schnellen Schnitte, die kurzen Szenen in denen klinisch-grausam-kalt eine Vagina zugenäht wird, oder Barbiepuppen von zittrig-gierigen Fingern gequält werden, die pinken Haare, die bunte Unordnung, das wilde Treiben des Pornotrios zurück. Man wünscht sich fast die Innovativität zurück, mit der die drei sich gegenseitig quälen, um die innere Befangenheit loszuwerden die einen fesselt wenn man zusieht, wie Erik sich selbst quält. Man kotzt sich an, man vergewaltigt sich, man schlägt sich, man fesselt sich, man verachtet die anderen und sich selbst, man widert sich an, man schließt sich ein, man schließt sich aus. Aber je länger man diesem perversen Spiel zusieht umso deutlicher wird es, dass die „Pornisten“ und der Einzelgänger unter der gleichen Stumpfheit und Bewegungslosigkeit im Wohnungsabfalleimer leiden. Je offensichtlicher die Hoffnungslosigkeit und die Tristesse werden, desto weniger bewegt sich Erik und desto mehr bewegen Rikard und Geko Tess. Aber die Bewegungslosigkeit bleibt, man findet bis zum Ende keinen Ausweg oder eine Lösung. Man wird nach 94 Minuten einfach ausgespuckt, mit der Gewissheit, dass es im Container weitergammeln wird.
Man fühlt sich schlecht, jede Minute. Befangen irgendwie. Gefangen irgendwie. Eng im Brustkorb. Man wünscht sich Seele. Man wünscht sich irgendwas würde tief im Inneren dieses Abfalleimers leben und man sucht bis auf den Grund nach Lebendigkeit und Hoffnungsfunken, zwischen Gruppensex und Verachtung. Und wenn in diesem Loch schon nichts lebt, so wünscht man sich wenigstens etwas würde sterben. Sterben und langsam und heftig wuselnd verwesend. Hauptsache irgendetwas bewegt sich und hebt diese sich im ganzen Körper ausbreitende unangenehme Unbeweglichkeit auf. Aber Lukas Moodysson bleibt erbarmungslos und schmeißt uns in den Dreck ohne eine Lösung oder ein Ende vorzugeben und holt uns nach 94 Minuten wieder raus und macht den Deckel zu. Was bleibt ist ein unangenehmes Gefühl der Gewissheit dass es in der Tonne auch ohne meine Beobachtung weitergammeln wird, und der Gedanke daran, dass dies nicht die einzige Tonne war, nur die einzige in die ich reingucken durfte. Ich fühle mich pervers, voyeuristisch, schlecht, eklig. Ich fühle mich unwohl auf meiner eigenen Couch und auch sonst überall in meiner Wohnung. Ich möchte lieber raus. Und irgendwie richtig leben.
A hole in my heart ist in der Neuauflage der Reihe Kino Kontrovers bei Bavaria Media erschienen.
Ett hål i mitt hjärta, Schweden/Dänemark 2004, Regie: Lukas Moodysson
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A Hole in My Heart
2 Kommentare zu "DVD: A hole in my heart"
Ein Monstrumfilm, genau diese am Ende beschriebene Wirkung, „leben zu wollen“, als einzige mögliche Alternative zu diesem Wahnsinn, macht ihn wohl auch so groß. Man muß den Film auch vor allem im Kontext zu Moodyssons übrigem Werk sehen..
Der Film war seiner Zeit etwas vorraus und ist leider vielleicht deshalb zu sehr unterschätzt worden. Heute bewertet man einzelne Handlungen ganz anders, als man es beim ersten Erscheinen tat. Das flaue Gefühl im Magen jedoch blieb.