Point Blank
Von Eckhard Heck // 12. Juli 2012 // Tagged: featured // 2 Kommentare
Point Blank ist ein bis auf den blanken Knochen reduzierter Thriller. Lee Marvin hat als Walker (dessen Vornamen wir nie erfahren werden) gefühlte vier Halbsätze. Man hat Walker um dreiundneunzigtausend Dollar betrogen. Und die will er wiederhaben. Was gibt es dazu noch zu sagen?
Walker ist selbst ein Dieb, doch wir müssen annehmen, dass er dieser Betätigung weder aus Überzeugung noch mit der notwendigen Hingabe nachgeht. Außerdem hat er ein unglückliches Händchen, was die Wahl seiner Bekanntschaften angeht. Gemeinsam mit seinem Komplizen Reese (John Vernon), überfällt er zwei Kuriere während einer konspirativen Geldübergabe. Statt seines Anteils bekommt er von Reese jedoch lediglich ein paar Kugeln zwischen die Rippen. Reese macht sich mitsamt Walkers Frau und dem erbeuteten Geld aus dem Staub, nicht ahnend, dass Walker die Schüsse überlebt hat und ihm schon bald auf den Fersen sein wird, um seinen Anteil an der Beute (von der Frau ist keine Rede) zurückzufordern. Einige Zeit später: Reese hat sich bei „der Organisation“ eingekauft, einem verdeckt agierenden, kriminellen Syndikat. Erste Hinweise über Reese und die Organisation erhält Walker von einem ominösen Unbekannten, der vorgeblich ein Interesse daran hat die Organisation auffliegen zu lassen. Walker findet Reese. Doch der Versuch, das Geld einzutreiben endet leider mit dem vorzeitigen Ableben des Schuldners. Für Walker ist die Sache klar: Die Organisation muss die dreiundneunzig Riesen zahlen. Dort fühlt sich aber niemand so recht zuständig. Muss man denn immer erst laut werden?
Kameramann Philip H. Lathrop setzt Los Angeles und der Bay Area mit Point Blank ein filmisches Denkmal. Seine Bilder sind eine einzige, ausschweifende Huldigung an die Horizontale (die architektonische, wie zu betonen mir in diesem Blog angezeigt scheint). Aber die Stadt ist hier bedeutend mehr als nur Kulisse. Sie ist das Spiegelbild ihrer desolaten Bewohner, eine Metapher für den totalen Stillstand einer dekadenten Gesellschaft, die sich selbst noch in Höchstgeschwindigkeit wähnt. Der Abgesang auf die Neuzeit steht dem europäischen Existentialismus näher, als dem zu jenen Zeiten in Nordamerika vorherrschenden Fortschrittsglauben. Und nicht von ungefähr beginnt der Film in Alcatraz, dem ehemals angeblich ausbruchssichersten Gefängnis der USA. Die zur Zeit der Filmhandlung bereits geschlossene Verwahranstalt, auf einer Insel in der Bucht vor San Francisco, ist der Ort des initialen Verbrechens. Und wem gelingt – schwimmender Weise und schwer verletzt – wiederum das Entkommen von dort? Natürlich Walker, der den kalten Fluten gegen jede Wahrscheinlichkeit trotzt und sich fortan als wandelnder Anachronismus durch den Plot schlägt.
Neben Lee Marvin agiert ein brillant besetztes und facettenreiches Ensemble (allen voran Angie Dickinson als Walkers Schwägerin Chris) in den Rollen depressiver, korrupter oder berechnender Charaktere, die alle darauf aus sind Walker das Leben möglichst schwer zu machen. Walker indes wächst mit der Größe der Herausforderung. Der Instinkt diktiert das Handeln, die Umstände die Methoden. Walker hat den Blick für die Schwachstellen des Systems, in dem jemand, der nicht vor ihm in die Knie geht, nicht vorgesehen ist. Er „riecht“ jeden „Setup“ meilenweit gegen den Wind und lockt einen nach dem anderen seiner Widersacher in die eigentlich für ihn gestellten Fallen – wo sie sich dann gegenseitig ins Messer laufen. Ein Thriller ohne Killer?! Nicht nur das unterscheidet Point Blank von eingängigeren US-Thrillern. Neben der bereits erwähnten „Architekturfotografie“ sorgen auch dramaturgische Leckerbissen wie abrupte Tempowechsel und Flashbacks (die zeitweise ins nahezu Surreale abdriften und uns Einblicke in die fragile Psyche der Hauptfigur erlauben) dafür, dass der Film das durchschnittliche amerikanische Publikum überforderte. Dass der „Held“ am Ende triumphiert, aber einen gänzlich glanzlosen Sieg davon trägt, dürfte dem Fass dann die Krone ausgeschlagen haben. Ausnahmsweise darf man der Beurteilung des Internationalen Lexikons des Films einmal uneingeschränkt folgen, das über Point Blank sagt: „[Ein] meisterhaft und mit eisiger Kälte inszenierter Thriller von konsequent pessimistischer Grundhaltung.“
USA, 1967. Regie: John Boorman
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Point Blank
2 Kommentare zu "Point Blank"
Sehr schöner Text über einen sehr schönen Film. Einerseits steht er, was den Existenzialismus betrifft, in einer Reihe mit BLAST OF SILENCE oder Siegels Version von THE KILLERS (mit dem er sich natürlich auch personell überschneidet (Marvin & Dickinson)), andererseits macht ihn der Schluss auch schon zu einem Vorläufer der Paranoia-Filme der 70er. Aber ich finde ihn auch rein handwerklich grandios und liebe Szenen wie die in diesem dampfenden (trotz „eisiger Kälte“) Soul-Schuppen.
Du hast absolut Recht. Ich wollte auch noch „Dirty Harry“ erwähnt haben. Natürlich hagelt es da Parallelen.
Ich liebe diese Szene in dem Club. Vor allem, weil Boorman ihr so unendlich viel Raum gibt und bis zum letzten Quäntchen sich steigernder Verzweiflung (beim Betrachter) durchprügelt (bevor Marvin reinprügelt). Auch, dass sie kurz unterbrochen und dann wieder aufgenommen wird, ist genial. Schreit nach Bild-für-Bild Analyse.