David Wants to Fly
Von Frau Suk // 1. Juli 2012 // Tagged: Deutsches Kino, Dokumentation, featured // Keine Kommentare
David Sieveking, ein Berliner Nachwuchsregisseur, will das wissen, was alle gerne wissen wollen: Wie wird man glücklich, und zwar mit überschaubarem Zeitaufwand und überdurchschnittlichen Erfolgschancen? Was liegt näher, als auf der Suche nach der Antwort Wege zu beschreiten, die sich bereits bewährt haben? Klar, dass man sich dann nicht irgendeine x-beliebige Religion, eine langweilige Geldanlage oder einen abseitigen Fetisch aussucht, sondern den glorreichen Pfad wählt, auf dem das eigene Vorbild wandelt. Im Fall von David Sieveking heißt das nachahmenswerte Idol David Lynch, und aus der Sicht von David Lynch heißt der Schlüssel zum Glück „TM“, transzendentale Meditation. TM hat einen guten Leumund (die Beatles und die Rolling Stones können ja wohl kaum irren) und ist dank immer neuer Initiativen und Projekte noch nicht so angestaubt wie etwa die katholische Kirche. Außerdem scheint TM nicht mit allzu vielen Einschränkungen im Alltag verbunden zu sein. Und überhaupt, meditieren tut schließlich keinem weh. Also nichts wie hin zu den Leuten, die wissen, wie das mit dem Meditieren geht.
Dank der guten Connections seiner Freundin Marie bekommt Sieveking tatsächlich eine Audienz bei Lynch, der sich wie so oft in letzter Zeit auf Werbefeldzug für die TM-Organisation befindet. Alles scheint so gut und so einfach: TM sei gut für die Konzentration, die Gesundheit und das innere Gleichgewicht. Der Erfolg (und die Entwicklung als Regisseur) komme dann von ganz alleine, informiert Lynch seinen aufmerksamen Jünger. Zurück in Berlin begibt sich Sieveking von Euphorie getragen zur örtlichen TM-Niederlassung, gibt die geforderten abgezählten Blumen, das süße Obst und ein paar Tausend Euro ab und nimmt sein persönliches Mantra in Empfang.
Sieveking meditiert fleißig und besucht zudem etliche von der TM-Organisation organisierte Veranstaltungen – unter anderem die Beisetzung des großen Guru Maharishi. Wenn nur genügend yogische Flieger gleichzeitig meditierten, lernen Sieveking und wir, werde die Menschheit in Glück und Wohlstand leben. TM sei der sichere Weg zum Weltfrieden. Als Filmemacher wird Sieveking von den publicity-geilen TMlern schnell als vielversprechender Multiplikator erkannt und umschwänzelt. Allerdings muss er nach einiger Zeit feststellen, dass er sich zwar beim Meditieren nicht schlecht fühlt, von Erfolg in seinem Leben aber keine Rede sein kann. Die Filmförderung lässt auf sich warten, ohne Mama und Papa ließe sich die Berliner Stadtwohnung nicht finanzieren, und Freundin Marie ist für eine Beziehungspause nach New York abgedampft.
Sieveking beginnt, die TM-Methode zu hinterfragen, und plötzlich steht er nicht mehr auf dem goldgepflasterten Weg zur Erleuchtung, sondern vor einer stacheldrahtbewährten Stahlbetonwand. Die Atmosphäre kippt. Fragen hört man nämlich bei TM gar nicht gern, erst recht keine kritischen. Auch der große Lynch gibt sich auf einmal zugeknöpft und fordert die Herausgabe von Sievekings Aufnahmen für eine Vorveröffentlichungssichtung durch TM-Vertreter. Dabei gibt es durchaus Anlass, den ein oder anderen Zweifel an der TM-Masche anzumelden. Ist das überhaupt richtig, dass Mitglieder nur gegen Millionenzahlungen zu TM-Lehrern ausgebildet werden? Sind die TM-Upper-Class-Machos mit den albernen goldenen Krönchen, die sich gleich nach dem Tod ihres geliebten Gurus beharken, tatsächlich nur am Weltfrieden interessiert? Meinen die das ernst mit dem Fliegen, und hat das schon mal jemand live gesehen? Wollen wir wirklich, dass TM schon an Schulen unterrichtet wird und unsere Kinder Leistungskurse im Lotussitz-Zirkeltraining belegen? Und wo geht die ganze Kohle wirklich hin, die von den TM-Anhängern für Workshops, zweifelhafte Bauprojekte und die Beschäftigung von Vollzeityogis gespendet wird?
Je mehr Fragen Sieveking sich und den TM-Anhängern stellt, desto dubioser wirkt die Sache; je tiefer er bohrt, desto energischer werden die Maßnahmen, mit denen die Mitglieder der Organisation den Regisseur zur Aufgabe seiner Nachforschungen zu bewegen suchen. Da der heilige Lynch nicht mehr für Audienzen zur Verfügung steht, macht sich Sieveking notgedrungen auf seinen eigenen Weg. Und der führt ihn von neurowissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirkweise von Sanskrit-Mantras über Menschen aus der Vergangenheit des plötzlich nicht mehr ganz so heiligen Maharishi bis zur Quelle des Ganges.
Handwerklich ist die Doku nicht überragend, aber solide. Optisch schwankt sie zwischen dem Erklärteil aus der Sendung mit der Maus und den wunderbaren Naturaufnahmen eines David Attenborough. Aber die zuweilen zerfahrene Erzählweise, die abrupten Zeitsprünge, Ortswechsel und Situationsänderungen werden durch den Kommentar immer ausreichend kompensiert, so dass der Zuschauer orientiert bleibt. David Wants to Fly ist tendentiös und sentimental. Aber genau das ist die Stärke des Films. Sieveking wählt die Ich-Perspektive, um die Geschichte vom guten und vom bösen David zu erzählen, und versucht gar nicht erst, einen Eindruck von Objektivität zu erzeugen. Sieveking spricht den Kommentar selbst, spart auch Peinlichkeiten aus seinem bröckeligen Beziehungsleben nicht aus und outet sich selbst als schwärmerisches Weichei, das neben seiner zielstrebigen, flippigen Freundin zu Eiklar verblasst.
Er ist der nette Träumer im Hintergrund, den kaum jemand wahrnimmt. Genau deshalb wird er aber von den Repräsentanten der TM-Organisation erst dann als potentielle Bedrohung erkannt, als er die kompromittierenden Aufnahmen schon im Kasten hat. Auf einmal erweist sich der scheinbar harmlose David als ausdauernder Wadenbeißer, der auch dann nicht von seiner Beute ablässt, wenn er Fußtritte kassiert. Für die Wahrheit zahlt Sieveking einen hohen Preis. Er wird in vielerlei Hinsicht enttäuscht, sieht mehr als einem Traumgebäude beim Einstürzen zu und muss gegen Menschen opponieren, die er bewundert. Der Gewinn ist eine sehr persönlicher Film, in dessen Handlungsverlauf sich Sieveking selbst überraschend als Held erweist. David Wants to Fly ist das filmdokumentarische Pentant zum Entwicklungsroman. Es geht um ihn, David Sieveking, und seinen Weg ins Erwachsenenleben, die Loslösung von übermächtigen Vorbildern und den Erwerb von Vertrauen in die eigenen Wahrnehmung. Dass Sieveking dabei immer öfter über die Praktiken der TM-Organisation stolpert und die skandalösen Vorgänge hinter den Kulissen enthüllt, ergibt sich fast beiläufig daraus, dass er seinen gesunden Menschenverstand nicht über Bord wirft und sich in seinen Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit nicht erschüttern lässt. Nicht jeder, der’s glaubt, wird selig.
Deutschland/Österreich/Schweiz 2010, Regie: David Sieveking
Die DVD ist im November 2010 bei good!movies erschienen.
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David Wants to Fly